Ärzteorganisation IPPNW warnt: Nuklearer Katastrophenschutz überfordert und falsch aufgestellt

Wenn es in Brokdorf kracht, sind Evakuierungen in bis zu 170 Km Entfernung erforderlich.

Seit Monaten wird an vielen Atomkraftwerk-Standorten über den „katastrophalen Katastrophenschutz“ gestritten (z.B. Grohnde und Brokdorf). Die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW hat jetzt mit einem Brief an die für den Katastrophenschutz zuständigen Innenminister auf die gravierenden Mängel hingewiesen und Maßnahmen gefordert. Vom 5.-7. Dezember findet die Innenministerkonferenz in Rostock-Warnemünde statt.
Im Frühjahr hatte das Bundesamt für Strahlenschutz auf Basis des Unfallverlaufs von Fukushima geprüft, welche Auswirkungen sich daraus bei deutschen AKWs ableiten lassen und kam zu dem Ergebnis, dass der derzeitige Katastrophenschutz erhebliche Lücken habe: Einerseits wäre die Dauer der Freisetzung von Radioaktivität länger als bislang angenommen und daher durch veränderte Wetterbedingungen eine größere Zahl von Menschen betroffen. Andererseits müssen Evakuierungen auch in erheblich größerer Entfernung vom Atomreaktor vorgenommen werden, als bislang angenommen. Auf beide Anfordergungen ist der Katastrophenschutz in keiner Weise ausgelegt. Auch der oberste Katastrophenschützer hat dies vor wenigen Wochen bestätigt.
Insgeheim warnen Katastrophenschützer schon seit längerer Zeit, dass es im Katastrophenfall kaum eine Rettung geben wird.
In der Pressemitteilung der IPPNW vom 30. November heißt es unter der Überschrift: „Innenminister tatenlos und Katastrophenschutzbehörden überfordert
Atomarer Katastrophenschutz veraltet und zu kleinräumig
Anlässlich der Herbsttagung der Innenministerkonferenz vom 5.-7. Dezember 2012 in Rostock-Warnemünde wendet sich die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW mit einem Offenen Brief zum Katastrophenschutz an alle Innenminister Deutschlands. Auf der Konferenz wird über die Konsequenzen beraten, die sich aus dem Super-GAU von Fukushima für die noch laufenden Atomkraftwerke in Deutschland ergeben. Eine Studie des Bundesamts für Strahlenschutz vom Frühjahr dieses Jahres zeigt die Unmöglichkeit auf, im Fall einer Atomkatastrophe notwendige Zwangsumsiedlungen von  Hunderttausenden von Menschen zu realisieren.
„Der Katastrophenschutz bei einem AKW-Unfall mit Freisetzung radioaktiver Spaltprodukte ist veraltet und zu kleinräumig ausgelegt“, sagt IPPNW-Vorstandsmitglied Reinhold Thiel. „Das gilt für ganz Deutschland und für alle noch laufenden Atomkraftwerke in Gundremmingen, Philippsburg, Grafenrheinfeld, Grohnde, Brokdorf, Isar, Emsland und Neckarwestheim.“
Mit einem Hintergrundpapier und neu ausgearbeitetem Kartenmaterial zeigt die IPPNW, dass radioaktive Spaltprodukte im Falle eines atomaren Unfalls nicht an einer 25-km-Grenze Halt machen werden, so wie es die bisherigen veralteten Vorsorgeplanungen vorsehen. Laut der Studie des Bundesamts für Strahlenschutz würden große Gebiete bis zu 170 Kilometer verstrahlt. Evakuierungspläne existieren nur bis 25 Kilometer. Bei über mehrere Tage und Wochen anhaltenden Belastungen sind  wechselnde Windrichtungen für die radioaktive Kontamination wahrscheinlich. Zügige Evakuierungsmaßnahmen würden so in vielen Regionen gleichzeitig erforderlich. Die Katastrophenschutz-Rahmengesetzgebung der Innenminister ist vor dem Hintergrund der Neubewertung der Folgen einer Atomkatastrophe nach Fukushima komplett überholt. Alle ausführenden Katastrophenschutzbehörden wären nicht in der Lage, schnell die erforderlichen Evakuierungen durchzuführen.
„Wegen der Unmöglichkeit einer verantwortlichen Katastrophenschutzvorsorge im dicht besiedelten Deutschland ist die umgehende Abschaltung aller Atomkraftwerke bei uns zwingend geboten. Der Schutz der Bürger muss Vorrang haben vor wirtschaftlichen Interessen der Konzerne“, so Thiel.
Den Offenen Brief der IPPNW an die Innenminister finden Sie unter http://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Atomenergie/offener_brief_innenminister_30112012.pdf
Das Hintergrundpapier der IPPNW mit Grafiken zu Katastrophenschutz-Radien und radioaktiven Belastungen für Erwachsene und Kinder am AKW Gundremmingen finden Sie unter http://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Atomenergie/20121130_Hintergrundpapier_Katatrophenschutz.pdf

Dirk Seifert

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