Risiko und nicht geplant – Bundestag hört an: Atommülllagerung oberirdisch für viele weitere Jahrzehnte

Risiko und nicht geplant – Bundestag hört an: Atommülllagerung oberirdisch für viele weitere Jahrzehnte

Von einem „sachlichen Austausch“ sprechen die Bericherstatter:innen von „Heute im Bundestag“ mit Blick auf die heutige Anhörung im Umweltausschuss. Man könnte aber auch sagen: Da haben viele irgendwie jeweils erklärt und berichtet – nur miteinander diskutiert wurde in keiner Weise. Die Abgeordneten der Fraktionen und Gruppe hatten Sachverständige berufen, die zu einem Antrag der CDU angehört wurden: Beschleunungsmöglichkeiten bei der Endlagersuche für hochaktive Abfälle. Anlass oder Hintergrund für den CDU-Antrag im Bundestag ist das Eingeständnis der staatlichen Akteure im Verfahren, dass eine geplante Festlegung für einen Endlagerstandort bis 2031 – wie es im Standortauswahlgesetz festgelegt wurde – nicht haltbar ist und eine solche Entscheidung wohl erst Ende der 2040er oder gar erst in den 2060er Jahren möglich sein könnte. Dass bis dahin der gesamte Atommüll oberirdisch irgendwo rumliegt, ist halt so.

Vertreter:innen aus dem Nationalen Begleitgremium, aus der Begleitgruppe beim Suchverfahren und auch die von den Linken berufene Vertreterin des Atommüllreports listeten die brennenden Fragen auf: Was eigentlich passiert mit dem Atommüll, wenn er nun für weitere Jahrzehnte oberirdisch gelagert wird? Nicht nur hochradioaktiven Probleme sind elementar. Was passiert denn nun bei den Zwischenlagern für diese Abfälle, deren Genehmigungen nach und nach auslaufen. Schon ca. 2028 müssten die NEU-Genehmigungsverfarhren für Gorleben und Ahaus anlaufen. Wie aber muss denn das nach Stand von Wissenschaft und Technik heute aussehen? Wie ist das mit den Behältern und dem Inhalt und dem späteren Antransport an ein Endlager? Halten die solange oder bröseln die radioaktiven Inhalte im Behälter und könnten die Dichtungen versagen? Wird erforscht, heißt es. Endlager kommt 2050, hieß es. Endlager ist Gorleben, hieß es über Jahrzehnte.

Auch bei den leicht- und mittelradioaktiven Abfällen kommt im Grunde nichts voran. Immer wieder verzögert sich das geplante Endlager im Schacht Konrad. Selbst wenn es käme, wäre es zu klein. Aber eigentlich braucht es auch hier einen Neustart. Nur will darüber niemand reden. Auch die Grünen nicht. Das Kritikpotential der ehemaligen Anti-Atom-Partei ist schon erschreckend abgeschmolzen. Sollte das auch eine Folge der Klimakatastrophe sein?

Interessant der Beitrag aus Österreich, der sich noch mal mit dem Unsinn von Wiederaufarbeitung und Transmutation befasste, der im Antrag der CDU enthalten war und von dem die AfD schon seit Jahren schwärmt. Weder würde ein Endlager überflüssig, wenn das Transmutieren funktionieren würde, noch gibt es diese Technik überhaupt in irgendeiner behaupteten Weise, so die Sachverständige. Was nicht Thema war: Immer wieder wäre bei der Transmutation und Wiederaufarbeitung Plutonium im Spiel. Also der Stoff, aus dem die Atombombe ist. Der Traum aller, die gerne spalten.

Sachlicher Austausch über schnellere Endlagersuche

Bei einer Anhörung des Umweltausschusses, wie mögliche Verzögerungen bei der Suche nach einem Atommüll-Endlager zu vermeiden sind, kam es zu einem sachlichen Austausch von Argumenten durch die Sachverständigen. Gegenstand der Anhörung am Mittwoch, 5. Juni 2024, war ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion mit dem Titel „Endlagersuche beschleunigen – Akzeptanz sichern“ (20/5217).

Darin beziehen sich die Abgeordneten auf ein Papier der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), demzufolge sich die Suche nach einem Endlager für hochradioaktiven Atommüll unter Umständen bis ins Jahr 2068 hinziehen könnte, und fordern von der Bundesregierung Maßnahmen zur Beschleunigung von Verfahren sowie die Prüfung von Techniken zur Verringerung der einzulagernden Menge. Im geltenden Gesetz zur Endlagersuche ist eigentlich ein Zeitrahmen bis 2031 vorgesehen.

Zügige, aber ausdiskutierte Entscheidungen

Die Endlagersuche ist derzeit in Phase I, in der auf einer „weißen Landkarte“ von Deutschland flächendeckend geprüft wird, welche Gegend sich geologisch eignen könnte. Vorgesehen ist, dass daraus bis 2027 etwa acht Bereiche hervorgehen, die in Phase II und III eingehender geprüft werden sollen.

Dr. Klaus Nutzenberger vom Deutschen Städte- und Gemeindebund als Vertreter der kommunalen Spitzenverbände betonte das Interesse der Kommunalpolitiker an zügigen, aber auch ausdiskutierten Entscheidungen. Denn je enger sich das Netz für mögliche Standorte ziehe, „desto mehr Probleme werden wir mit der Umsetzung vor Ort haben“, sagte Nutzenberger mit Blick auf die betroffene Bevölkerung. Keinesfalls wollten die Kommunen schnelle Entscheidungen, die dann wieder zurückgenommen werden.

Verfahrensbeschleunigung erst in Phase III

Andreas Sikorski vom Niedersächsisches Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz wies auf die besondere Betroffenheit seines Landes hin, in dem nicht nur das ursprünglich für ein Endlager vorgesehene Gorleben liegt, sondern bundesweit auch die meisten Zwischenlager.

Eine Möglichkeit zur Verfahrensbeschleunigung sehe er in Phase I nicht, sagte Sikorski. Denn die vorhandenen Daten reichten noch nicht aus, um die Suchgebiete einzugrenzen. Mehrere andere Sachverständige stimmten ihm hierin zu. 2027 werde man Informationen haben, wie sich das weitere Verfahren beschleunigen lässt. Potenzial hierzu sehe er insbesondere in Phase III.

Bundestag soll „Richtung vorgeben“

Prof. Dr. Klaus-Jürgen Röhlig von der Technischen Universität Clausthal warnte vor dem Risiko, dass ein Suchverfahren, das zu lange dauert, am Ende ganz scheitern könnte. Gleichzeitig müsse aber auch der Eindruck politischer Einflussnahme auf eine wissenschaftliche Diskussion vermieden werden. Ein solcher Eindruck hatte letztlich zum Scheitern des Projekts Gorleben geführt. Allerdings, so Röhlig, stehe es dem Bundestag durchaus zu, die „Richtung vorzugeben“. Das Verfahren sei ein „wissenschaftsbasiertes, aber nicht wissenschaftsgeleitetes“.

Der von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen benannte Einzelsachverständige Michael Sailer, der die BGE berät, begrüßte ausdrücklich den Antrag der Unionsfraktion. Der Bundestag müsse nochmals deutlich machen, dass es ihm um eine „starke Einengung“ des Suchgebiets geht. „Wir brauchen vom Auftraggeber eine klare Aussage dazu“, betonte Sailer. Egal wie die Standortentscheidung am Ende falle, es werde der dortigen Bevölkerung nicht gefallen, „aber wir brauchen ein Endlager“.

Dr. Tim Vietor von der Schweizer Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) berichtete, dass sein Land für die laufende Endlagersuche nur zwanzig Jahre benötige. Gründe seien unter anderem, dass die Zeitplanung beim Bund zentralisiert sei, alle Verfahrensbeteiligten eng zusammenarbeiteten und manche Schritte parallel erfolgten. „Die Lösung liegt nicht so sehr im Theoretisieren, sondern im Tun“, sagte Vietor.

Zwischenlager nicht aus den Augen verlieren

Elisa F. Akansu als Vertreterin der Gruppe der unter 35-jährigen im Planungsteam Forum Endlagersuche (PFE) wies darauf hin, dass sich heute im Gegensatz zur vorangegangenen Generation nur wenige junge Menschen für die Endlagersuche interessierten. Es gehe aber um den richtigen Umgang mit einem gefährlichen Erbe auch für künftige Generationen. Die Endlagersuche müsse beschleunigt werden, „soweit es nicht zu Lasten der Sicherheit“ gehe.

Arno Sittig als Vertreter der jungen Generation im Nationalen Begleitgremium (NPG) pflichtete ihr bei. Die BGE habe mit ihrem gestreckten Zeitplan „im NPG Vertrauen gebrochen“. Sittig wünschte sich vom Bundestag, schon jetzt und nicht erst in der nächsten Legislaturperiode die Diskussion über das weitere Vorgehen im Phase II und III zu führen. Sowohl Akansu als auch Sittig plädierten dafür, die Zwischenlager nicht aus den Augen zu verlieren. Selbst bei eingehaltenem Zeitplan für die Endlagersuche würden diese noch Jahrzehnte benötigt und bei einer Verzögerung erst recht. Es gelte auch eine Verlängerung der Zwischenlagerung gesetzlich abzusichern.

Unterstützung erhielten sie in dieser Forderung von Ursula Schönberger vom Fachportal Atommüllreport. „Dringender Handlungsbedarf“ bestehe zudem bei der Lagerung schwach- und mittelaktiver Abfälle. Seit 2015 sei klar, dass der dafür vorgesehene Schacht Konrad in Niedersachsen nicht geeignet ist. Schönberger forderte, auch für diese Abfälle ein Standort-Auswahl-Verfahren gesetzlich vorzuschreiben.

„Kein Müll, sondern Wertstoff“

Der von der AfD benannte Einzelsachverständige Dr.-Ing. Klaus-Dieter Humpich forderte, abgebrannte Brennstäbe von Atomkraftwerken zur Wiederaufarbeitung ins Ausland zu geben. Mit der in ihnen gespeicherten Energie ließe sich noch viel Strom erzeugen und Verbrennung von Öl oder Kohle vermeiden. Sie seien „kein Müll, sondern Wertstoff“. Sie zu verbuddeln verstoße „gegen jede Nachhaltigkeit“.

Humpich führte außerdem aus, warum aus seiner Sicht Salzstöcke besser als andere geologische Formationen für die Endlagerung geeignet sind. Wenn man die Politik beiseitelasse und rein wissenschaftlich entscheide, könne man die Endlagersuche schnell beenden, indem man Gorleben als „besterforschtes Projekt der Welt“ auswähle.

Partitionierung und Transmutation

In einem Punkt des Antrags der Unionsfraktion goss Dr. Friederike Frieß von der Universität für Bodenkultur Wien Wasser in den Wein. Darin fordern die Abgeordneten Forschungsförderung im Bereich der Partitionierung und Transmutation (P&T), um mit diesen Verfahren die Menge des hochradioaktiven Abfalls deutlich zu verringern.

Frieß wies darauf hin, dass bei diesen Verfahren noch viele Jahrzehnte der Forschung nötig seien und sich noch nicht absehen lasse, ob eine großtechnische Umsetzung von P&T überhaupt jemals möglich sein wird. Und selbst wenn, helfe es nur bedingt, weil es dann mehr schwach- und mittelaktiven Abfall gebe, der ebenfalls endgelagert werden muss.

Gefahr für Wärmewende

Aus einem besonderen Grund warnte Gregor Dilger vom Bundesverband Geothermie vor Verzögerungen bei der Standortauswahl. Denn diese könnten wegen möglicher Konflikte zwischen Endlagerung und Nutzung der Erdwärme die Wärmewende bis 2045 gefährden.

Dilger äußerte deshalb drei Bitten an die Politik: Das Auswahlverfahren schnell voranzutreiben, bei der Standortprüfung Tiefen bis 400 Meter auszunehmen sowie klarzustellen, dass Standorte unter Wohngebieten nicht für die Endlagerung in Frage kommen. Außerdem äußerte er den Wunsch, die Daten aus der Endlagersuche auch für geothermische Informationssysteme zur Verfügung zu stellen. (pst/05.06.2024)

Zeit: Mittwoch, 5. Juni 2024, 11 Uhr bis 13 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E 700

dirkseifert

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