Energiewende Hamburg: Zahlentricks gegen die Wirklichkeit – CDU-Fraktionsmitglied Walter Scheuerl entdeckt die Statistik

logo_rgb_balkenHamburg Energie: „Im vergangenen Jahr erwirtschaftete das Unternehmen, das zu einhundert Prozent der Stadt gehört und eine Erfindung des schwarz-grünen Senats ist, einen Jahresüberschuss von 763.000 Euro“, meldet das zum Springer-Verlag gehörende Hamburger Abendblatt.  Eine gute Nachricht? Nein. Denn der Artikel erscheint unter der Überschrift: „Senat bestätigt hohe Verluste bei Hamburg Energie„. Alles klar?
Das Abendblatt berichtet über die Ergebnisse einer Kleinen Anfrage des Abgeordneten der CDU-Fraktion, Walter Scheuerl. Laut Angaben des SPD-Senats „machte Hamburg Energie zwischen 2009 und 2011 einen Verlust von 6,399 Millionen Euro. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete das Unternehmen, das zu einhundert Prozent der Stadt gehört und eine Erfindung des schwarz-grünen Senats ist, einen Jahresüberschuss von 763.000 Euro. Im Jahr 2010 war der Fehlbetrag mit 3,218 Millionen Euro am höchsten.“
In der Summe also eine Katastrophe, denn – so stellt das Abendblatt gestützt auf Scheuerl fest: Seit „seiner Gründung im Jahr 2009“ hat Hamburg Energie „bis heute rund 5,63 Millionen Euro Verlust erwirtschaftet…“ Oh Gott!
Aber das dicke Ende kommt noch: „Selbst bei konstant bleibenden Gewinnen bräuchte Hamburg Energie angesichts seiner desaströsen Geschäftslage einschließlich der Zinsen mindestens zehn Jahre, um die bereits angefallenen Verluste zu decken, bevor an eine Gewinnzone zu denken ist“, kommentiert Scheuerl.
Ach, Herr Scheuerl und leider auch lieber Oliver Schirk vom Abendblatt. Es ist doch so offenkundig, dass diese Zahlenverdrehungen und Interpretationen nur auf einem – wenn überhaupt – albernen Grundkurs Statistik basieren und so absolut gar nichts mit realen wirtschaftlichen Abläufen zu tun haben.
Ich erkläre das mal: Hamburg-Energie wurde als städtisches Unternehmen 2009 aus der Taufe gehoben und soll Ökostrom herstellen und verkaufen. Inzwischen hat das Unternehmen nach nur vier Jahren laut eigenen Angaben insgesamt 80.000 KundInnen. Das ist eigentlich eine gute Zahl, wenn man sie z.B. mit bundesweit agierenden Ökostromunternehmen wie Greenpeace Energy oder  EWS Schönau vergleicht, die bereits seit über zehn Jahren am Markt sind. GPE liegt bei ca. 120.000 KundInnen, EWS bei ca. 140.000.
Um zu seiner gruseligen Einschätzung zu kommen, macht Scheuerl eine Setzung: Der Gewinn von 2012 bleibt „konstant“, alle anderen Faktoren blendet er aus. Warum das so „konstant“ sein sollte, begründet er mit keiner Silbe.
Um das mit einem anderen Faktor darzulegen: In den vier Jahren seit seiner Gründung hat Hamburg Energie insgesamt 80.000 KundInnen gewonnen, also im Mittel 20.000 pro Jahr. Wenn das „konstant“ so weiter geht, dann hat Hamburg Energie nach acht Jahren, also 2016, bereits 160.000 KundInnen. Und wenn 80.000 Kunden einen Gewinn von 783.000 Euro bringen, dann verdoppelt sich total „konstant“ der Gewinn im Jahr 2016 auf über 1,5 Milllionen Euro!
Das bedeutet so über den Daumen: Nach nur fünf Jahren wären die Schulden aus der Anfangszeit eingespielt. (siehe noch ein Zahlenspiel unten im Text…)
Anständiger Weise bringt das Abendblatt aber die Wirklichkeit in den Artikel: „Die roten Zahlen begründet der Unternehmenssprecher (von Hamburg Energie) mit Anlaufinvestitionen. Für Stromerzeugungsanlagen, Marketing und Kundenmanagementsysteme seien größere Investitionen nötig gewesen“ und außerdem: „Nach den Worten von Hamburg-Energie-Sprecher Carsten Roth hatte man die anfänglichen Verluste bei der Gründung des Unternehmens einkalkuliert. Die Planung habe für das vergangene Jahr erstmals einen positiven Abschluss vorgesehen, was eingetreten sei. „Zudem waren alle unsere Jahresergebnisse bislang besser als geplant.““
Interessant irgendwie. Das Dumme daran ist nur: Die Wirklichkeit passt nicht in das Konzept eines Walter Scheuerls. Der will nämlich mit seinen absurden Zahlenspielen nur eins erreichen: Stimmungsmache gegen den anstehenden Volksentscheid für die vollständige Rekommunalisierung der bislang von Vattenfall und E.on betriebenen Energienetze. Siehe hier: “Achtung, Hochspannung! Der Kampf um die Stromnetze in Hamburg und Berlin”
Und das Abendblatt hilft mit. Zwar darf Hamburg Energie über die Anlaufkosten berichten, aber dennoch folgt das Blatt weiter der Sicht von Scheuerl: „Angesichts der Millionenverluste von Hamburg Energie kritisierte Scheuerl den für September angesetzten Volksentscheid über einen vollständigen Rückkauf der Hamburger Energienetze. „Die jetzt vorgelegten Zahlen belegen, dass auch die Kampagne der Initiative ‚Unser Hamburg – unsere Netze‘ letztlich auf einer Verbrauchertäuschung aufgesetzt ist.“ Eine völlige Verstaatlichung der Energienetze würde keineswegs automatisch zu Gewinnen für die Stadt führen. Der Verlust von Hamburg Energie beweise vielmehr, „dass städtische Unternehmen im Energiesektor nicht zwingend Gewinne abwerfen“ würden.“
Die Zahlen, die Scheuerl als „Beweis“ anführt, beweisen, wie gezeigt, gar nichts. Sie zeigen nur, wie wenig Argumente Scheuerl und Co gegen den Volksentscheid haben. Schade nur, dass das Abendblatt sich für so offenkundige Zahlen-Verdreher hergibt.
Anmerkungen:
Nur am Rande: Die Aussage von Scheuerl, es braucht angesichts der aufgehäuften Schulden zehn Jahre bis zur „Gewinnzone“ rechnet er so: 6,4 Millionen Euro Schulden in vier Jahren teilt er durch 763.000 Euro Gewinn 2012. Dabei kommen aber gar nicht 10 Jahre raus, sondern: 8,2870 Jahre.
Das Abendblatt schreibt: „Ein Hamburger Haushalt verbraucht durchschnittlich 2800 Kilowattstunden Strom im Jahr. Nutzt man den auf der Internetseite des Unternehmens installierten Rechner, summieren die jährlichen Stromkosten sich auf 816,80 Euro.“ Daraus kann man im Grunde den Umsatz errechnen. Bei 80.000 KundInnen in 2012, die durchschnittlich 816,80 Euro zahlen ergibt das rund 65 Millionen Euro. Mit Blick auf den Gewinn von 763.000 Euro bedeutet das: Die Rendite liegt derzeit bei nur knapp über einem Prozent! Auch diese Daten sind aber real nicht wirklich aussagekräftig und eine Spekulation. Allerdings begründen sie, dass bei z.B. sinkenden Kosten bei Hamburg Energie und einem auch nur geringen weiteren Kundenwachstum eher mit deutlich steigenden Gewinnen gerechnet werden könnte. Auch hier wäre also eher das Gegenteil der von Scheuerl behaupteten Entwicklung zu erwarten.
 

Dirk Seifert

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