Gefahr der Kettenreaktion: Atombehörde und Vattenfall wollen Urteil zum Castor-Lager kippen

irgendwo-atommuell-umweltfairaendernDas Urteil des Oberverwaltungsgerichts Schleswig aus dem Sommer 2013, in dem die Genehmigung für das Castor-Lager am AKW Brunsbüttel aufgehoben wurde, soll vom Tisch. Das wollen das Bundesamt für Strahlenschutz (Genehmigungsbehörde) und der AKW-Betreiber Vattenfall mit einen Antrag auf Zulassung der Revision beim Bundesverwaltungsgericht Leipzig erreichen. Die Sorge: Nicht nur das Castor-Lager in Brunsbüttel könnte ohne Genehmigung dastehen. Auch für weitere Castor-Lager könnte die Aufhebung der Genehmigungen drohen.

Nach einer Verfahrensdauer von rund 10 Jahren hatte das OVG Schleswig im Sommer 2013 die Genehmigung für das Castor-Lager am AKW Brunsbüttel aufgehoben (eine weitere Klage vor dem OVG Lüneburg über die Genehmigung für das Castor-Lager in Esenshamm ist außerdem noch anhängig). Als Gründe für diese weitreichende Entscheidung stellt das Gericht Defizite der Genehmigung in Bezug auf Störmaßnahmen und Einwirkungen Dritter (terroristische Angriffe) fest. Erhebliche Sicherheitsnachweise, z.B. bezüglich des Absturzes eines Flugzeuges vom Typ Airbus A-380 und des Beschusses von Behältern mit panzerbrechenden Waffen, seien nicht geführt oder falsch erbracht worden.
Bereits unmittelbar nach der schriftlichen Begründung des Urteils haben das BfS und Vattenfall angekündigt, die Zulassung der Revision zu beantragen. Unter allen Umständen soll verhindert werden, dass dieses Urteil des OVG rechtskräftig wird. Nicht nur, weil die genannten Mängel bei den Sicherheitsnachweisen bestehen, sondern auch, weil das Gericht für Dritte erheblich mehr Schutzrechte einräumt. Dies wiederum könnte in anderen atomrechtlichen Verfahren Auswirkungen auf Genehmigungen haben.
In getrennten Begründungen von zusammen fast 500 Seiten Umfang haben die dem Bundesumweltministerium unterstellte Behörde und Vattenfall entsprechende Schriftsätze verfasst, in denen sie eine Neubefassung erreichen wollen. Laut SHZ wird eine Entscheidung bereits im Frühsommer erwartet. Das aber dürfte eher fraglich sein. Denn erst im Dezember hatten BfS und Vattenfall ihre schriftlichen Begründungen vorgelegt.
Die SHZ schreibt: Mit dem Urteil des OVG Schleswig „wollen sich Betreiber und das BfS nicht abfinden“, sagt Ulrich Wollenteit, Anwalt des Brunsbütteler Anwohners, der erfolgreich gegen das Zwischenlager geklagt hatte. Mehrere hundert Seiten Unterlagen, die die Beschwerde begründen sollen, zeigten, „welch erstaunlichen Aufwand“ Vattenfall und BfS betreiben.“
Sollte das BVG die Revision zulassen, könnte es die Sache entweder selbst neu verhandeln oder aber an das Gericht in Schleswig zurück verweisen. Bereits vor einigen Jahren hatten die Kläger aus Brunsbüttel mit diesem Weg Erfolg. In der ersten Instanz hatte das OVG Schleswig die Klage abgewiesen und eine Revision nicht zugelassen. Erst durch eine Beschwerde vor dem BVG erreichten die Kläger gegen das Castor-Lager, dass sich das OVG erneut mit der Sache befassen musste. Ergebnis war das jetzige Urteil, bei dem das Gericht erneut keine Revision zuließ.
Die Komplexität des Verfahrens hat es insgesamt in sich. Das macht die SHZ in ihrem Bericht deutlich: „Es wird nicht einfach, das Gericht davon zu überzeugen, die Beschwerde abzuweisen“, sagt Wollenteit. Dann wäre das OVG-Urteil rechtskräftig, der Kampf um das Zwischenlager aber nicht vorbei. Betreiber Vattenfall müsste eine neue Genehmigung beantragen. Und die müsste das BfS auch daraufhin prüfen, ob das Lager ausreichend gegen Abstürze großer Verkehrsmaschinen und Angriffe mit neuesten panzerbrechenden Waffen geschützt ist. Genau das hatte das OVG bemängelt. In jedem Fall könnte das Verfahren Jahre dauern.“
Bedeutsam ist, dass dieses Urteil auch für Castor-Lagerhallen an den anderen 11 Atomstandorten Folgen haben kann: „Die Sicherheitsmängel, die es in Brunsbüttel gibt, gibt es auch in den anderen Zwischenlagern – und die müssen aus meiner Sicht ausgeräumt werden“, sagt Wollenteit.“ Eine Sichtweise, die das BfS nicht teilt. Die SHZ stellt in dem Text fest: „Noch ist also unklar, ob Bürger an anderen Zwischenlagern gegen die Genehmigung klagen können – und wollen. Eine Chance hätten sie, meint Ulrich Wollenteit.“
Und nicht zuletzt ist das Ganze eine maßgebliche Panne für die Bundespolitik. Dort wird gerade für einen vermeintlichen Neustart bei der Endlagersuche getrommelt. Nach 40 Jahren gibt es immer noch kein Endlager für den hochradioaktiven Atommüll. Jahrelang versuchten Betreiber und Bundespolitik Gorleben als Standort durchzusetzen. Und während also ein Neustart herbei geredet wird, bei dem Gorleben immer noch eine Rolle spielt, droht jetzt das atomare Entsorgungs-Kartenhaus insgesamt zusammen zu brechen, wenn das Urteil des OVG Schleswig rechtskräftig wird.
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Dirk Seifert

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