Soziale Energie: Prepaid-Stromzähler in der Kritik – ein Diskussions-Papier

Stromkosten und Armut.  Foto Dirk Seifert
Stromkosten und Armut. Foto Dirk Seifert

In der Debatte um die sozialen Folgen steigender Strompreise wird immer wieder auf Prepaid-Stromzähler als Instrument verwiesen, um Menschen mit geringem Einkommen eine Möglichkeit an die Hand zu geben, mit den Problemen umzugehen. Sie sollen helfen, Stromabschaltungen und hohe Schuldenberge bei den Betroffenen zu erzeugen  zu vermeiden. Auch Linke oder soziale Einrichtungen bezeichnen diese Zähler als eine Möglichkeit. Selbst die Bundesregierung verweist auf sie. Die Berliner Gruppe FelS hat dazu einen Beitrag verfasst, in dem sie die Einführung der Prepaid-Zähler stoppen will. Der Text folgt zur Dokumentation:

„Smart-Metering soll soziale Not unsichtbar machen –  Prepaid-Zähler verhindern! von FelS (Für eine linke Strömung)

Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung aus CDU und SPD steht es recht lapidar: „Wir wollen Regelungen für einen besseren Schutz vor Strom- und Gassperren, zum Beispiel durch den Einsatz von intelligenten Stromzählern mit Prepaid-Funktion.“

Im SPD-Papier `Erfolge für die Verbraucherpolitik´ wird es ausführlicher: „Die SPD hat erreicht, dass endlich Schritte gegen die immer größer werdende „Energiearmut“ ergriffen werden sollen. Stromanbieter sollen nicht mehr einfach Strom und Gas sperren dürfen, sondern sollen zum Beispiel verpflichtet werden, auf Wunsch ihrer Kunden intelligente Stromzähler mit Prepaid-Funktion einzubauen. Das hat sich in Nachbarländern bereits bewährt. Auch die Verbraucherzentralen und Sozialverbände in Deutschland haben diese Maßnahme gefordert.“

Energiearmut

Worum geht es? Energiearmut, dieser Begriff beschreibt den fehlenden Zugang zu einer ausreichenden Menge an Energie (Strom, Wärme, Warmwasser). Menschen die mehr als 10 Prozent ihres Einkommens für einen ausreichenden Energieverbrauch aufwenden müssen, gelten als energiearm. Betroffen sind beispielsweise Hartz IV-Empfänger_innen; nach Angaben des Wuppertal Instituts sind die Stromanteile in den Regelsätzen (15,40 Euro pro Monat) in keinem Fall ausreichend, um den tatsächlichen Energiebedarf zu decken.

An der Spitze dieser Entwicklung steht im Strombereich die horrende Zahl der Abklemmungen (oder Stromsperren) von Haushalten, die ihre Rechnungen nicht bezahlen können. 5,7 Millionen Haushalten, also mehr als 10% der Bevölkerung, wurde im Jahr 2012 die Abklemmung angedroht; in 1,2 Millionen Fällen wurde eine Abklemmung in Auftrag gegeben, und 322.000 Haushalten wurde tatsächlich der Strom abgeklemmt und ihnen dadurch der Zugang zu elementaren Grundrechten geraubt. Energiearmut und Stromschulden sind also ein lange vernachlässigtes Problem.

Prepaid wie beim Handy?

Die Bundesregierung will nun Prepaid-Zähler einführen, und sagt, es gehe darum, den Betroffenen zu helfen. Bei einem Zähler, der für energiearme Haushalte zur Pflicht werden soll, müsste ähnlich wie bei einem Prepaid-Handy im Vorfeld eine Karte aufgeladen werden, damit Strom oder Gas fließen. Auch der Bundesverband der Verbraucherzentralen fordert seit längerem, Prepaid-Zähler einzuführen, um Abklemmungen zu vermeiden. So würden die Betroffenen vor Stromschulden bewahrt und außerdem dadurch beim Energiesparen unterstützt.

Aber ist die Ursache für Energiearmut tatsächlich Stromverschwendung? Studien belegen, dass energiearme Haushalte weit weniger Energie verbrauchen, als zur Deckung ihrer Grundbedürfnisse und zur Aufrechterhaltung ihrer Gesundheit notwendig wäre. Laut einer WHO-Studie aus dem Jahr 2011 sind 30 Prozent der Wintertoten (excess winter deaths) in Europa – und das sind 75.000 – auf unterkühlte Innenräume zurück zu führen, die hauptsächlich durch Energiearmut verursacht werden. Nach Angaben der britischen Regierung starben im Winter 2012/13 in Großbritannien 31.000 Menschen an den Folgen des kalten Winters; in vielen Fällen sieht selbst die britische Regierung einen Zusammenhang zu Energiearmut und der unzureichenden Möglichkeit, die eigenen Räume ausreichend zu heizen.

Die Geschichte von dummen Armen, die aus Unwissenheit mit Energie verschwenderisch umgehen, wird immer wieder gern hervorgeholt. In Österreich verbraucht das reichste Viertel der Bevölkerung doppelt so viel Energie wie das ärmste Viertel, und das, obwohl arme Menschen erheblich benachteiligt sind, wenn es darum geht, ihre Wohnung mit Wärmedämmung auszustatten oder energiesparende Geräte neu anzuschaffen.

Das Wuppertal Institut schreibt zu diesem Sachverhalt: „Diese Zahlen widerlegen das Vorurteil, dass sozial schwache Haushalte aufgrund von ihnen eigenen Verhaltensweisen wie Sorglosigkeit und Uninformiertheit einen höheren Energieverbrauch gegenüber einkommensstärkeren Haushalten aufweisen. Werden objektive Kriterien hinzugefügt, wie die längere Aufenthaltsdauer in der Wohnung (Arbeitslosigkeit), die schlechtere Energieeffizienz der Gebäude und der Geräteausstattung und weitere Merkmale wie die häufige Überbelegung der Wohnungen in armutsgefährdeten Haushalten, dann ist eher von einer sparsameren Verhaltensweise von sozial schwachen gegenüber wohlhabenderen Menschen auszugehen.“ Das Einsparpotential, das bei Durchschnittshaushalten bei 10 Prozent liegt, wird bei Energiearmen sicherlich nicht zu realisieren sein. Wenn es nun darum ginge den Energieverbrauch armer Haushalte weiter zu senken, dann müssten sie bei der Neuanschaffung energiesparender Geräte finanziell unterstützt werden. Ein solches Vorhaben ist im Koalitionsvertrag aber wegen Kostenvorbehalt gestrichen worden.

Aber helfen die angekündigten Maßnahmen überhaupt, die angestrebten Ziele zu erreichen? Können Prepaid-Zähler energiearme Haushalte zumindest von den besonderen Härten entlasten, indem sie Abklemmungen verhindern?

Erfahrungen in England

Als Vorreiter bei Prepaid-Zählern gilt Großbritannien, wo die Auseinandersetzung um Energiearmut seit den 90er Jahren geführt wird. Hat sich dort das System tatsächlich „bewährt“, wie die SPD behauptet? Das System von Prepaid-Zählern bringt erheblich höhere administrative und technische Kosten mit sich, die auf die Energiearmen abgewälzt werden. In UK nutzen rund 18 Prozent der energiearmen Haushalten einen Prepaid-Zähler für Strom, 12 Prozentfür Gas. Dadurch zahlen sie im Schnitt 66 Euro mehr als Haushalte, die auf Rechnung zahlen, und 173 Euro mehr als Haushalte, die ihre Ausstände per Lastschrift begleichen.

Nach einem Bericht des Spiegel vom Dezember 2013 plant eine Arbeitsgruppe des Bundeswirtschaftsministerium, die Kosten für die geplanten Smart-Meter mit Prepaid Funktion auf Privatverbraucher_innen umzulegen, „wonach zunächst jeder Haushalt acht Euro im Jahr bezahlen soll, auch wenn er noch mit einem alten Stromzähler ausgestattet ist. Für Neubauten und bei Modernisierungen hingegen würde der obligatorische Einbau eines Smart-Meter bis zu 72 Euro im Jahr kosten. Gleiches gelte für die etwa zwei Millionen Haus- und Wohnungsbesitzer_innen, die bereits über Solaranlagen, Wärmepumpen oder Mini-Blockheizkraftwerke verfügen.“ Billiger wird es also nicht.

Als Maßname gegen Abklemmungen sind Prepaid-Zähler nutzlos. Das Problem ist ja gerade, dass Hauhalten damit der Zugang zu wichtigen Grundbedürfnissen (Wärme, Licht, Kochen, Kommunikation…) verwehrt wird. Wenn ich mir die Stromkosten nicht leisten kann, bleibt das bei Prepaid-Zählern aber genauso: Ich klemme mich nur quasi selbst vom Strom ab. Prepaid-Zähler als Instrument zur Verhinderung von Abklemmungen zu bezeichnen ist also entweder makaber, oder Augenwischerei.

Wozu also das Ganze? Prepaid-Zähler erweitern die Macht der Stromkonzerne und simulieren für ein technisch eigentlich universell vorhandenes Gut wie Strom eine künstliche Verknappung zur Nutzbarmachung imMarkt. Marktmechanismus. In England sind Prepaid-Haushalte nicht nur mit den erheblich höheren Stromkosten gebeutelt. Die Konzerne treiben mit den Zählern auch säumige Schulden automatisch ein. Vor dem Verbrauch wird einfach ein bestimmter Prozentsatz zur Schuldentilgung von der Strom-Prepaidkarte abgezogen. Die Installation der Geräte wird meistens gegen den Widerstand der Betroffenen durchgesetzt; oft werden (manchmal sogar ohne richterliche Genehmigung) Wohnungen aufgebrochen, um die Zähler zu installieren. Und einmal installiert, ist es gar nicht so einfach, sie wieder los zu werden. Die Betroffenen sind der Willkür der Energiekonzerne ausgeliefert.

Einzelfälle sind noch schlimmer: Die britische Organisation „Fuel Poverty Action“ sammelt auf ihrer Homepage erschreckende Berichte von Betroffenen: http://fuelpovertyaction.org.uk/speak-out-on-your-situation/

Bislang folgt „nur“ auf 5,4 Prozent der Sperrandrohungen eine tatsächliche Abklemmung. Um von den verschuldeten Haushalten überhaupt Geld zu sehen, lassen sich die Konzerne oft auf Ratenzahlungen und Entschuldungsvereinbarungen ein. Wie würde sich dieses Verhältnis entwickeln, wenn die Abklemmung automatisiert und unsichtbar vonstatten geht – wie durch Prepaid-Zähler technisch möglich? Wer kein Geld hat, muss frieren und im Dunkeln sitzen, und niemand kriegt etwas davon mit. Die Menschen haben halt einfach ihre Prepaid-Karten nicht aufgeladen – lag wahrscheinlich wieder an mangelndem Wissen!

Für ein Recht auf Energie

Deshalb wird es für eine Bewegung gegen Energiearmut von entscheidender Bedeutung sein, die flächendeckende Einführung von Prepaid-Zählern zu verhindern. In einem ersten Schritt muss dafür Druck auf die eigentlich eher progressiven Akteure ausgeübt werden, die irrsinnigerweise Prepaid-Zähler befürworten (zum Beispiel der Bundesverband der Verbaucherzentralen). Es ist unbestreitbar, dass Prepaid-Zähler Energiearmut nicht bekämpfen können. Stattdessen stellen sie ein neues Hindernis auf dem Weg zu einem Recht auf Energie dar und verschlechtern die Widerstandsmöglichkeiten der Betroffenen erheblich.

Alternativen sind stattdessen:

  • Das Verbot von Abklemmungen
  • Die Anhebung von Sozialleistungen und Wohngeld
  • Eine progressive Tarifstruktur, in der nicht mehr diejenigen am wenigsten zahlen, die am meisten verbrauchen: Kostenloser Grundbedarf, darüber hinaus mit dem Verbrauch steigende Kosten pro KWh
  • Ungleiche Voraussetzungen beenden: Die Unterstützung von Armen bei der Anschaffung von stromsparenden Geräten und eine sozial gerechte Gebäudedämmung.
  • Keine Profite mit Grundbedürfnissen: Der Energiemarkt muss entprivatisiert und radikal demokratisiert werden.

Umweltbewegungen können das Problem nicht auf die Sozialpolitiker schieben. Die werden nicht helfen. Wer glaubwürdig für eine menschen- und umweltgerechte Energieversorgung eintreten will, muss die Interessen der Energiearmen als selbstverständlichen Bestandteil des Kampfes gegen Energiekonzerne und Regierung begreifen. Beenden wir endlich unsere (stillschweigende) Duldung von Sozialchauvinismus und zum Himmel schreiender Armut, die niemand sehen möchte! @“

Dirk Seifert

5 Gedanken zu “Soziale Energie: Prepaid-Stromzähler in der Kritik – ein Diskussions-Papier

  1. Auch ich habe über 6 Jahre auf der Insel gelebt und Prepaid-Zähler genutzt.
    Im Prinzip ein akzeptables System für“unsichere Kunden“. Assozial bedenklich wird ein solches System erst dann, wenn die Energiekosten diese ja doch meisten armen Menschen dann noch zusätzlich über erhöhte Kosten belastet werden. Es stellt sich doch die Frage, warum jemand der im Vorraus bezahlt auch noch extra hoch zur Kasse „gebetet“ wird? Mir kann heute niemand erklären, was an „intellegenten Zählern“ heute noch extrem teuer sein soll, wenn jedes Handy mehrfach Power hat wie ein Rechner noch vor ein paar Jahren hatte. Solange rein kapitalistische Renditerechnungen und seien diese noch so verkehrt zum Maßstab aller Dinge erhoben und zur Norm erklärt werden, werden soziale Probleme nie gelöst werden. Gewiss gibt es auch Menschen die Leistungen anderer nicht als bezahlbaren Wert anerkennen, also auch nicht bezahlen müssen, also selber assozial sind. Aber Menschen die in einem selbigen System nicht mithalten können nun Ihrerseits mit erhöhten Forderungen zur Kasse zu bitten ist genauso assozial. Es gibt ein uraltes kapitalistisches Prinzip: Mit armen Menschen, kann man keine Geschäfte machen. In diesem Prinzip ist eine soziale Komponente mit drin. Nur vergessen das immer wieder die assiozialen „möchtegern Kapitalisten“.
    mfG RABA
    In UK nutzen rund 18 Prozent der energiearmen Haushalten einen Prepaid-Zähler für Strom, 12 Prozentfür Gas. Dadurch zahlen sie im Schnitt 66 Euro mehr als Haushalte, die auf Rechnung zahlen, und 173 Euro mehr als Haushalte, die ihre Ausstände per Lastschrift begleichen. – See more at: http://umweltfairaendern.de/2014/02/soziale-energie-prepaid-stromzaehler-in-der-kritik-ein-diskussions-papier/#sthash.OKYbJGBz.dpuf

  2. Noch ein Kommentar zu den Antwort- und Kommentarfunktionen im allgemeinen. Immer wieder ist zu beobachten, das Antworten und Kommentare in ihrer Gestaltung unnötig mit Einschränkungen behaftet sind. Warum ist ein Tag nicht zulässig? Auch dieses kleine Beispiel läßt uns zu der Frage kommen, wer eigentlich die Richtlinien bestimmt? Dumme kleingeistige Programmierer oder total verängstige Webseitenbetreiber. Das Ratespiel ist eröffnet, zu allen Problemen.
    mfG RABA

  3. Sorry, ich meinte unter Tag ein br Tag also einem „break return“ oder Zeilenumbruch. Selbst das darf ja nicht mal mehr frei geschrieben werden, wenn es nicht explizit als Code gekennzeichnet wird. Denke ich falsch, oder läuft etwas falsch? Es darf gemeckert werden, aber auch nachdenken ist erlaubt.
    mfGRABA

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