Atommüll-Alarm: Reaktordruckbehälter in Geesthacht – Atommüll oder Forschungsobjekt?
Strittige Debatte bei dem seit fast zwei Jahren laufenden „konsensorientierten Dialog“ zwischen Begleitgruppe und dem Betreiber HZG in Sachen Stilllegung der ehemaligen Atomforschungsanlage der GKSS bei Geesthacht. Dort lagert seit Anfang der 80er Jahre auch der Reaktordruckbehälter (RDB) des einzigen bundesdeutschen Atomschiffs, der „Otto Hahn“. Laut Genehmigung erfolgt die Lagerung seitdem „für wissenschaftliche Untersuchungen“. Die Begleitgruppe hat im Rahmen des Dialogs nun festgestellt, dass die Rechtsgrundlage für die Lagerung des RDB nicht mehr tragbar ist. Der Betreiber erklärt: „Vor dem Hintergrund, dass der Aufsichtsrat 2008 beschlossen hat, sämtliche kerntechnischen Einrichtungen des ehemaligen GKSS-Forschungszentrums endgültig abzuschalten und zurückzubauen können wir die Überlegungen der Begleitgruppe hinsichtlich der Zukunft des Reaktordruckbehälters zwar nachvollziehen“, erklärt Dr. Torsten Fischer, Sprecher am Helmholtz-Zentrum Geesthacht (HZG), „das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die von der Atomaufsicht erteilte Lagerungsgenehmigung weiterhin gültig ist“, so Fischer weiter.
Die ganze Geschichte ist heute in einer gemeinsamen Presseerklärung von Begleitgruppe und Betreiber nachzulesen, in der die strittige Debatte um die Rechtsgrundlage für die Lagerung des RDB öffentlich gemacht wird. Über den gemeinsamen Dialog zwischen Begleitgruppe und HZG sind hier auf der Seite des Betreibers die gemeinsamen Ergebnisse nachzulesen. (Ich bin an diesem Dialog in der Begleitgruppe beteiligt.) Siehe auch bei Lüneburger Aktionsbündnis gegen Atom (LAgA).
- Siehe auch vo wenigen Tagen den Newsletter: Konsensorientierter Dialog zur Stilllegung der Atomforschungsanlagen Geesthacht
Pressemitteilung der Begleitgruppe „Stilllegung Atomanlagen des HZG (ehem. GKSS)“ und des Helmholtz-Zentrums Geesthacht – Zentrum für Material- und Küstenforschung (HZG)
Atommüll oder Forschungsobjekt?
Um die Lagerung des Reaktordruckbehälters (RDB) des stillgelegten Atomschiffes „Otto Hahn“ findet im Rahmen des Dialog-Prozesses zur Stilllegung der Atomanlagen des ehemaligen GKSS-Forschungszentrums derzeit eine kontroverse Diskussion zur Rechtsgrundlage statt. Während die Begleitgruppe „Stilllegung Atomanlagen des HZG (ehem.GKSS)“ die derzeitige Rechtsgrundlage für abgelaufen hält, ist aus Sicht des Helmholtz-Zentrums Geesthacht (HZG) die bestehende Genehmigung nach Strahlenschutzverordnung zur „Lagerung von Komponenten des Nuklearschiffes „Otto Hahn“ für wissenschaftliche Untersuchungen“ gültig.
Der RDB ist aus Sicht des HZG der einzige Reaktordruckbehälter eines nuklearangetriebenen Schiffes in Deutschland, dessen Betriebshistorie detailliert dokumentiert wurde und an dem wissenschaftliche Untersuchungen sowohl durchgeführt werden dürfen als auch noch möglich sind. 1981 wurde der 480 Tonnen schwere Reaktordruckbehälter des stillgelegten Atomschiffes „Otto Hahn“ des ehemaligen GKSS-Forschungszentrums brennstofffrei in einem dafür eigens errichteten Betonschacht auf dem Gelände des Geesthachter Forschungszentrums eingelagert.
Das Magazin „Spiegel“ berichtete damals, es sei lediglich geplant, den Reaktordruckbehälter für fünf bis sechs Jahre zu lagern, um die „einmalige Chance“ nutzen zu können, „Stahlqualitäten von einem Reaktor zu untersuchen“.
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14343028.html
Schon zu dieser Zeit hatten Umweltinitiativen die Befürchtung geäußert, dass daraus eine unbefristete Zwischenlagerung werden könnte. Aus Sicht der Begleitgruppe „Stilllegung Atomanlagen des HZG (ehem. GKSS)“ ist diese Annahme bereits seit den 90er Jahren, spätestens aber mit der Entscheidung zur Stilllegung der Forschungsreaktoranlage eingetroffen: „Wir halten den ursprünglichen Zweck der Genehmigung zur Lagerung des RDB für nicht mehr erfüllt und sehen dringenden Handlungsbedarf. Hier sind Betreiber, Atomaufsicht und das Bundesforschungsministerium, das die notwendigen Finanzmittel zur Verfügung stellen muss, gefragt, um zügig eine rechtlich ausreichende Grundlage für den weiteren Umgang mit dem Reaktordruckbehälter zu erreichen.“, fordert Bernd Redecker, einer der Sprecher der Gruppe.
„Vor dem Hintergrund, dass der Aufsichtsrat 2008 beschlossen hat, sämtliche kerntechnischen Einrichtungen des ehemaligen GKSS-Forschungszentrums endgültig abzuschalten und zurückzubauen können wir die Überlegungen der Begleitgruppe hinsichtlich der Zukunft des Reaktordruckbehälters zwar nachvollziehen“, erklärt Dr. Torsten Fischer, Sprecher am Helmholtz-Zentrum Geesthacht (HZG),
„das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die von der Atomaufsicht erteilte Lagerungsgenehmigung weiterhin gültig ist“, so Fischer weiter.
Mittelfristig ist es das erklärte Ziel des Helmholtz-Zentrums Geesthacht, den brennstofffreien Reaktordruckbehälter des ehemaligen GKSS-Forschungszentrums abzubauen. Von Seiten des HZG wurden schon 2008 sowohl eine Transportstudie als auch ein Zerlegungskonzept erstellt. Nach derzeitiger Planung solle der Beginn des Genehmigungsverfahrens zur Zerlegung nicht vor 2018 erfolgen.
„Wir nehmen die aktuellen Hinweise der Begleitgruppe ernst und werden die nächsten Schritte zur Zukunft und Zerlegung des Reaktordruckbehälters gemeinsam diskutieren. Der Prozess HZG im Dialog lebt von dem Austausch unterschiedlicher Standpunkte.“, so Fischer weiter.
Die zentrale Frage: Handelt es sich bei dem Behälter also um Atommüll oder um ein Forschungsobjekt?
Mit wissenschaftlichen Untersuchungsprogrammen durch externe Wissenschaftler ist bis zum Abbau in der Tat nicht mehr zu rechnen. Dennoch ist aus Sicht des HZG der RDB als Forschungsobjekt nach wie vor von Interesse. Das ehemalige GKSS-Forschungszentrum etablierte 1981 eine radiologische Untersuchung zum Abklingverhalten des Reaktorstahls, deren Langzeitmessung und wissenschaftliche Begleitung von Mitarbeitern des Helmholtz-Zentrums Geesthacht bis zum endgültigen Abbau des RDB fortgesetzt wird.
„Als Begleitgruppe haben wir intensive, offene und konstruktive Gespräche über diese Problematik mit dem HZG geführt. Der Betreiber konnte uns aufzeigen, dass er verschiedene Maßnahmen geprüft hat, um zu einer Verbesserung der Lage zu kommen.“, erklärt Bernd Redecker.
Jenseits der konkreten Fragen um den Reaktordruckbehälter in Geesthacht haben die Gespräche mit der Begleitgruppe aber auch gezeigt, dass der bundesweite Umgang mit den radioaktiven Hinterlassenschaften der Atomenergie-Nutzung insgesamt rechtlich und faktisch noch ungelöst ist.
Ein Transport des Behälters in seiner unzerlegten Form wäre aufgrund der hohen aktuellen Sicherheitsanforderungen nicht mehr möglich. Der für die dauerhafte Lagerung des zerlegten mittelradioaktiven Reaktordruckbehälters der „Otto Hahn“ vorgesehene Schacht Konrad in Salzgitter steht auf absehbare Zeit nicht zur Verfügung und wird von Teilen der Begleitgruppe außerdem als nicht ausreichend sicher betrachtet. „Vor dem Hintergrund der gültigen Genehmigung und den Plänen, den Reaktordruckbehälter abzubauen, ist für uns eine Änderung des Status Quo keine praktikable Option“, ergänzt Torsten Fischer.
Das Ergebnis der radiologischen Untersuchung des HZG zeigt, dass die Messwerte für den äußeren Bereich des RDB unterhalb der gesetzlichen Grenzwerte für den Überwachungsbereich liegen und keine Gefahr darstellen. Vor einer Zerlegung ist eine intensive Untersuchung des Innenbereichs des RDB erforderlich.
Ansprechpartner
Dr. Bernd Redecker (Lüneburger Aktionsbündnis gegen Atom – LAga)
Sprecher der Begleitgruppe „Stilllegung Atomanlagen des HZG (ehem. GKSS)“
Telefon: 0175 / 688 3899
Dr. Torsten Fischer
Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Helmholtz-Zentrum Geesthacht
Zentrum für Material- und Küstenforschung
Telefon: 04152 / 87 1677
Das Nuklearschiff „Otto Hahn“
Das Forschungszentrum wurde 1956 im Geesthachter Ortsteil Krümmel gegründet und der ehemalige Name „GKSS“ aus Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schifffahrt GmbH geht auf das Engagement im Bereich der Schifffahrt zurück. Um die Entwicklung des Kernenergieantriebes im Rahmen der zivilen Schifffahrt zu ermöglichen, begann ein Jahr später der Bau des Forschungsreaktors (FRG-1). 1958 wurde der Reaktor zum ersten Mal in Betrieb genommen. Rund zehn Jahre später lief das Nuklearschiff OTTO HAHN vom Stapel und fand die erste Fahrt mit Reaktorantrieb statt. Mitte der 70er Jahre führten Studien zu dem Ergebnis, dass ein wirtschaftlicher Einsatz nuklearbetriebener Frachtschiffe nicht möglich ist. Diese Neueinschätzung führte nach über zehnjährigem Betrieb im Februar 1979 zur Stilllegung der NS OTTO HAHN. Nach einigen Jahren der Forschung zur Reaktorsicherheit wurde die Forschungsreaktoranlage bis zu ihrer endgültigen Abschaltung für die Materialforschung genutzt.
Im Juni 2010 wurde der Forschungsreaktor des ehemaligen GKSS-Forschungszentrums endgültig abgeschaltet. Der Forschungsreaktor ist seit Juli 2012 frei von Brennelementen und befindet sich derzeit in der so genannten Nachbetriebsphase. Nachdem der Antrag auf Stilllegung und Abbau der Forschungsreaktoranlage und des Heißen Labors nach einer Bewertung durch den Diplom-Physiker und kritischen Experten Wolfgang Neumann und Diskussionen im Dialogprozess bei der zuständigen Aufsichtsbehörde eingereicht worden ist, läuft nun das Genehmigungsverfahren an.
HZG im Dialog
2012 hat das Helmholtz-Zentrum Geesthacht BürgerInnen und Anti-Atom-Initiativen eingeladen, die geplante Stilllegung und den Abbau der kerntechnischen Anlagen des ehemaligen GKSS-Forschungszentrums in einem konsensorientierten Dialog-Prozess durchzuführen.
Dieser – bundesweit ungewöhnliche – Vorschlag des HZG wurde nach einer Auftaktveranstaltung im Herbst 2012 positiv aufgegriffen und inzwischen hat sich auf dieser Basis eine Begleitgruppe „Stilllegung Atomanlagen des HZG (ehem. GKSS)“ gebildet. Der Dialogprozess strebt an, im Konsens zwischen Begleitgruppe und HZG unter Beachtung der gesetzlichen Rahmenbedingungen einvernehmliche Lösungen zu entstehenden Anforderungen und Maßnahmen zur Stilllegung des FRG1 sowie dem Abbau der kerntechnischen Anlagen des ehemaligen GKSS-Forschungszentrums zu finden. Für das HZG und die Begleitgruppe ist dabei selbstverständlich, dass Sicherheit stets oberste Priorität hat.
Sollte es nicht möglich sein, einen Konsens zwischen Begleitgruppe und HZG zu erzielen, sind sich alle am Dialog Beteiligten darüber im Klaren, dass im atomrechtlichen Sinne die Entscheidung beim zuständigen Reaktorleiter bzw. beim Strahlenschutzbeauftragten liegt. Der Begleitgruppe und dem HZG ist es jedoch wichtig, dass auch gegenteilige Standpunkte und der daraus resultierende Dissens öffentlich werden.
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