AKW Biblis: Schadensersatz für RWE-Beihilfe vom hessischen Ministerpräsidenten und Bundesministern?

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Direkt nach Fukushima gab es ab Mitte März 2011 ein Moratorium, einige AKWs – wie das in Biblis (Betreiberfoto RWE) – wurden zunächst vorübergehend abgeschaltet. Erst mit der Atomgesetzänderung im Sommer wurde eine gesetzliche Grundlage für die Stilllegung geschaffen. RWE hat gegen das Land Hessen erfolgreich auf Schadensersatz geklagt, weil der Konzern Rechtsfehler nachweisen konnte.

Haben der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier und Bundesminister dem Atomkonzern RWE geholfen, Schadensersatzklagen zum Atom-Moratorium für das AKW Biblis zum Schaden der SteuerzahlerInnen erfolgreich durchzusetzen? Briefe zwischen dem damaligen RWE-Chef Großmann und Bouffier, in denen auch Kanzleramtsminister Pofalla genannt wird, erwecken diesen Eindruck. Das ARD-Magazin Monitor legt nun nach: Ein  internes Schreiben des Bundesumweltministeriums – Fachreferat für die Bundesaufsicht bei Atomkraftwerken – belegt, dass der „damalige Bundesumweltminister Norbert Röttgen schon frühzeitig darauf hingewiesen wurde, „welche rechtlichen und finanziellen Risiken mit der Durchsetzung der dreimonatigen Betriebseinstellung verbunden sind“. Allerdings wurden entsprechende Warnungen nicht berücksichtigt oder sogar ignoriert, wie aus den MONITOR-Recherchen hervor geht.“ (Monitor auf seiner Homepage als Vorabbericht für einen Beitrag heute Abend in der Sendung.)

Auch die Tagesschau greift das Thema auf: „Politik ermöglichte Konzernen Klagen“, heißt es dort. Demnach erhärten die Monitor-Recherchen „den Verdacht, dass die Politik den deutschen Atomkonzernen den Weg zu millionenschweren Schadensersatzklagen geebnet hat. Entsprechende Warnungen von Experten wurden offenbar bewusst ignoriert.“ (Mehr siehe unten.)

Bereits vor zwei Wochen hatte das ARD-Magazin darüber berichtet, dass ein vom „damaligen RWE-Chef Jürgen Großmann ausdrücklich bestellter und vom damaligen Kanzleramtschef Ronald Pofalla zugesagter Brief des hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier den deutschen Atomkonzernen zu Schadenersatzklagen verholfen haben könnte. Die hessische Landesregierung bestreitet, dass der Brief juristisch relevant sei, obwohl der Energiekonzern RWE seine Klage unter anderem damit begründet.“

Weiter heißt es vorab zum Beitrag heute Abend: „Danach hatte der damalige Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium, Gerald Hennenhöfer, bei der Begründung des Moratoriums darauf verzichtet, sicherheitstechnische Mängel der Altreaktoren aufzuführen. Für den Vorgänger Hennenhöfers im Bundesumweltministerium, Wolfgang Renneberg, wurde damit der Grundstein für die heutigen Schadensersatzklagen der Atomkonzerne gelegt: „Man wollte keine sicherheitstechnischen Mängel in die Begründung der Anordnung reinschreiben, um das zu ermöglichen, was jetzt passiert, nämlich Schadenersatzforderungen für die Betreiber zu ermöglichen“, vermutet er.“

Damit aber nicht genug. Der WDR weiter: „Auch bei der damaligen Analyse der Sicherheitsmängel der deutschen Atomkraftwerke wurde das Fachreferat des BMU absichtlich außen vor gelassen. Aus einem internen Vermerk des Abteilungsleiters Gerald Hennenhöfer selbst geht hervor, dass man bei den entsprechenden Sachverständigensitzungen der Reaktorsicherheitskommission (RSK)  „ohne Aufpasser“ diskutieren wollte. Die Ursache für den Ausschluss seines eigenen Fachreferats sei ein „massiv gestörtes Vertrauensverhältnis.““

  • Großmann und die früheren CDU-Bundesminister Norbert Röttgen und Ronald Pofalla (Kanzleramt) sind als Zeugen vor den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags geladen. Pofalla wird am 6. März aussagen (Der Westen). Auch der Ministerpräsident Bouffier ist als Zeuge geladen.

Die Frankfurter Rundschau berichtete gestern auch über Recherchen der Grünen im Bundestag. Dort heißt es: „Der Energiekonzern RWE hat offenbar versucht, die Politik auch nach dem Atomunfall von Fukushima im März 2011 von der Notwendigkeit seiner Atomkraftwerke zu überzeugen. Der damalige RWE-Vorstandschef Jürgen Großmann schrieb am 27. Mai 2011 einen Brief an Ronald Pofalla (CDU), der seinerzeit das Kanzleramt von Angela Merkel (CDU) leitete. Darin wies er auf die „Bedeutung des Kernkraftwerkes Biblis für die Netzstabilität in der Region“ hin.“ Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen-Bundestagsabgeordneten Sylvia Kotting-Uhl hervor, die der FR vorliegt. Danach hat Pofalla auf den Brief nicht geantwortet. Auch zu einem Schreiben vom 5. Juni 2011, das Großmann an Merkel geschickt hatte, um „Regelungen zu den Reststrommengen in der Atomgesetz-Novelle“ zu thematisieren, gab es nach den Angaben keine Antwort aus dem Kanzleramt.“
Die FR zeichnet die bisher bekannten Informationen nach und schreibt dann: „Unklar bleibt daher auch nach der Auskunft der Bundesregierung, ob Pofalla die von Großmann behauptete Zusage in Sachen Biblis gegeben hat oder nicht. Staatsminister Braun schreibt, „nach Aktenlage“ habe es keine telefonischen oder persönlichen Kontakte zwischen den beiden gegeben. Der Chef des Bundeskanzleramtes pflege jedoch wegen seiner Aufgabe „Kontakte zu einer Vielzahl von Unternehmen, ohne diese systematisch zu erfassen“. Daher verfüge die Regierung nicht über eine vollständige Aufstellung der persönlichen Kontakte. „Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass es am Rande von Veranstaltungen oder sonstigen Terminen zu weiteren persönlichen Kontakten mit hochrangigen RWE-Managern gekommen ist“, formuliert Staatsminister Braun. “

Die Tagesschau berichtet heute: „Es ist ein völlig unübliches Verfahren, die Einzigen, die fachkompetent sind in einer Behörde, aus einem Verfahren herauszuhalten“, sagt Wolfgang Renneberg, früherer Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit im Umweltministerium. Aber nicht nur das. Selbst ein Brandbrief an den damaligen Umweltminister Röttgen wurde ignoriert, in dem mehrere Mitarbeiter des Fachreferats RS I,3 vor den „rechtlichen und finanziellen Risiken“ des schlecht begründeten Moratoriums warnen. Das ist schwer nachzuvollziehen, meint der damalige stellvertretende Abteilungsleiter Majer – zumal es gute Argumente für die Stilllegung gegeben hätte: „Durch Fukushima wurden diese Anlagen ja nicht sicherer oder unsicherer. Also hätte man hier mit der nicht vorhandenen Sicherheit der Altanlagen argumentieren müssen.“ Solche Sicherheitsdefizite hätte es auch bei den Altanlagen gegeben. „Es wäre aus meiner Sicht kein Problem gewesen, die Sicherheitsdefizite zu benennen und damit eine rechtlich einwandfreie Stilllegungsverfügung zu erlassen.““

Weiter schreibt die Tagesschau auf ihrer Seite: „Aber warum hat die damalige Bundesregierung trotzdem eine unzureichende Begründung abgeliefert, die nun Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe ermöglicht? Eine Antwort könnte Gerald Hennenhöfer geben. Er war damals Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium – und über Jahre hinweg Lobbyist der Atomindustrie.
„Ich persönlich habe es eigentlich nicht für möglich gehalten, dass jemand, der über Jahre hinweg eine führende Funktion bei den Energieversorgungsunternehmen hat, nun ins Ministerium kommt und dort an verantwortlicher Stelle für die Aufsicht über gerade diese Unternehmen zuständig ist“, sagt Hennenhöfers damaliger Stellvertreter Majer heute.“ Weiter heißt es: „Hennenhöfer selbst wollte sich auf Anfrage des WDR nicht zu den Vorgängen äußern. Und so kann man über die Motive der Verantwortlichen für das unzulänglich formulierte Moratorium nur spekulieren – so wie Hennehöfers Vorgänger als Chef der Abteilung Reaktorsicherheit, Wolfgang Renneberg: „Es gibt für mich eigentlich nur eine Antwort: Man wollte keine sicherheitstechnischen Mängel in die Begründung der Anordnung hineinschreiben.“ Dies sei sicherlich auch deshalb geschehen, um gerade das zu ermöglichen, was jetzt passiert: Dass die Betreiber Schadenersatzforderungen stellen können.“

Reaktionen im hessischen Landtag und der Untersuchungsausschuss

Die Aufgaben für den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss im hessischen Landtag werden mit diesen Berichten größer und dringlicher. Immer mehr verdichten sich die Hinweise, dass die Bundesebene – und dort nicht nur das Bundesumweltministerium – maßgeblich beteiligt ist.

Von „Kumpanei zwischen CDU und RWE kann die Steuerzahler teuer zu stehen kommen“, sprach gestern Janine Wissler, Vorsitzende und energiepolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, im Hessischen Landtag anlässlich der Landtagsdebatte zum ‚Atom-Moratorium‘ im Jahr 2011 und zu Presseberichten über Briefe von RWE-Chef Großmann an das Bundeskanzleramt. Vor dem heutigen Monitorbericht sagte sie gestern: „Nun, nach dem beschlossenen Atomausstieg, droht das fahrlässige Agieren führender CDU-Politiker, darunter Kanzlerin Angela Merkel und Ministerpräsident Volker Bouffier, die Steuerzahler teuer zu stehen zu kommen. Das Vorgehen von Merkel, Bouffier und Co. war eine freundliche Einladung an die Konzerne zu klagen.“ Außerdem stellte sie fest: „Der nun bekannt gewordene weitere Brief von Großmann an den damaligen Kanzleramtsminister Pofalla (CDU), mit der Aufforderung, das AKW Biblis wieder ans Netz gehen zu lassen, sei nur ein weiterer Beleg für das enge Verhältnis zwischen Politik und Atomwirtschaft“.

„Wenn eine Abfolge von Versäumnissen und merkwürdigen Pannen in CDU-Ministerien in Land und Bund dafür sorgt, dass der Steuerzahler den Konzernen auch noch den Atomausstieg mit hunderten Millionen Euro versilbert, dann muss das persönliche Konsequenzen für die Beteiligten haben. Angesicht der Juristendichte in den Ministerien fällt es schwer, an Versäumnisse zu glauben. Die Vorgänge riechen vielmehr nach Kumpanei. Da das Kanzleramt hier eine zentrale Rolle spielt, fordert DIE LINKE. im Hessischen Landtag, dass die Kanzlerin im Biblis-Untersuchungsausschuss Rede und Antwort stehen muss.“

Die Grünen im hessischen Landtag, Partner der CDU in der Landerregierung unter dem Ministerpräsidenten Volker Boffier, erklärten: „Die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist erfreut, dass alle Fraktionen des hessischen Landtages erneut einmütig das weitere Vorgehen im Biblis-Untersuchungsausschuss beraten haben. „Wir haben einstimmig einen Beweisantrag der SPD beschlossen, mit dem der ehemalige Chef des Bundeskanzleramts, Ronald Pofalla, geladen werden soll“, erläutert Frank Kaufmann, Obmann der GRÜNEN im Ausschuss. „Der Ausschussvorsitzende hatte juristische Hinweise zu diesem Beweisantrag gegeben, auf deren Annahme sich alle Fraktionen geeinigt haben. Auch die Terminplanung für die weiteren Sitzungen haben wir einvernehmlich abgeschlossen.“
„Ich erwarte, dass Herr Pofalla eine umfassende Aussagegenehmigung erhält“, so Kaufmann weiter. „Und ich hoffe auch immer noch, dass Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) ihre Entscheidung überdenkt, leitenden Mitarbeitern der Atomaufsicht keine Aussagegenehmigung für den hessischen Untersuchungsausschuss zu erteilen. Auf Bitten aller Fraktionen hat der Ausschussvorsitzende in diesem Sinne beim Ministerium in Berlin nachgefasst. Nur mit umfassenden Aussagen lässt sich die Verantwortung für die Stilllegung der deutschen Atomkraftwerke klären, die unserer Auffassung nach eindeutig beim Bund liegt.“
Außerdem stellt Kaufmann mit Blick auf die Debatte im Landtag fest: „Eine sorgfältige Aufklärung ist insbesondere deshalb wichtig, weil wir andernfalls im Eifer der parteipolitischen Scharmützel Gefahr laufen, der Atomlobby die Argumente für ihre dreiste Schadenersatzklage frei Haus zu liefern.“ Damit bezieht er sich wohl auf die Aussage von Wissler: „Die Grünen müssen sich fragen, ob sie mithelfen wollen, den Sumpf aus Atomwirtschaft und Politik trocken legen oder mit darin versumpfen wollen. Dass sie sich in Hessen schützend vor Volker Bouffier stellen, ist enttäuschend.“

Dirk Seifert

3 Gedanken zu “AKW Biblis: Schadensersatz für RWE-Beihilfe vom hessischen Ministerpräsidenten und Bundesministern?

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