Atomausstieg: Hand in Hand zum Schaden der Bürger – Haben Regierungsvertreter Atomkonzernen geholfen?
Parlamentarischer Untersuchungs-Ausschuss im Landtag Hessen. Haben Regierungsmitglieder aus dem Land und möglicherweise auch aus der Bundesregierung, dem Atomkonzern RWE geholfen, Schadensersatz für die Abschaltung der AKWs in Biblis für das nach Fukushima verhängte Moratorium durchzusetzen? Letzten Freitag waren Bundespolitiker und der damalige Leiter der Fachabteilung geladen. „Norbert Röttgen beschuldigt das Land Hessen, ein Beamter die Ministeriumsleitung und Ronald Pofalla streitet Geheimabsprachen ab“, schreibt die FAZ. „Kritische Beamte stillgelegt“ stellt die taz fest.
Das ARD-Magazin Monitor hatte über den unglaublichen Verdacht zuerst berichtet: Danach könnten Landes- und Bundespolitiker den Atomkonzernen – allen voran RWE – durch möglicherweise absichtlich schlampige Anordnungen für das Moratorium nach der Fukushima-Katastrophe quasi Beihilfe im Amt geleistet haben, damit diese Schadensersatzklagen erfolgreich durchbringen können. Ein Briefverkehr zwischen dem Ministerpräsidenten Bouffier und dem damaligen RWE-Chef Grossmann begründet diesen Verdacht. Darin wird auch der damalige Kanzleramts-Minister Pofalla ins Gespräch gebracht. Bekannt wurde außerdem, dass es zwischen der zuständigen Fachabteilung im Bundesumweltministerium und dem Abteilungsleiter Gerald Hennenhöfer und Umweltminister Norbert Röttgen Konflikte um die Begründung zum Moratorium gegeben hatte. Die Fachabteilung hatte auf Schadensersatzansprüche hingewiesen, wenn nicht auch eine sicherheitstechnische Begründung mit der Verfügung erfolge. Doch Hennenhöfer und die Ministeriumsspitze in Berlin ignorierten die Warnungen ebenso wie Warnungen des hessischen Finanzministeriums.
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Letzten Freitag haben Pofalla, Röttgen und der inzwischen in Baden-Württemberg für Atom zuständige Gerrit Niehaus – damals der Chef des Fachreferats Bundesaufsicht bei Atomkraftwerken, das vor den Schadensersatzrisiken angesichts der nur formalen Begründung warnte – vor dem Untersuchungsausschuss in Wiesbaden ausgesagt.
Niehaus laut Taz: „Es ist bewusst ein Bescheid formuliert worden, der offensichtlich rechtswidrig ist“, sagte Gerrit Niehaus am Freitagnachmittag nach Angaben von Teilnehmern. Er leitete 2011 im Bundesumweltministerium die Arbeitsgruppe „Bundesaufsicht bei Atomkraftwerken“ und hätte bei der Stilllegung daher eigentlich eine entscheidende Rolle spielen müssen. Doch der Beamte, der heute die Atomaufsicht im grün-regierten Baden-Württemberg leitet, wurde seinerzeit offenbar komplett kaltgestellt.
So landete ein ausführliches Papier zur detaillierten Begründung und Umsetzung der Stilllegung, das die Arbeitsgruppe von Niehaus erstellt hatte, nach seinen Angaben im Papierkorb. Stattdessen verschickte der als atomfreundlich geltende Abteilungsleiter Gerald Hennenhöfer an die für die unmittelbare Atomaufsicht zuständigen Bundesländer nur eine kurze, formale Begründung für die Abschaltung der AKWs. Und mit der Begründung, dass seine Arbeitsgruppe für die Atomwirtschaft ein „rotes Tuch“ sei, sei diese auch bei der anschließenden Sicherheitsüberprüfung der Reaktoren komplett außen vor geblieben, klagte Niehaus. „Wir wurden regelrecht ausgeschaltet.““ So zitiert auch die FAZ in einem Artikel auf Basis einer DPA-Meldung.
Dort ist aber genauer nachzulesen: „Zu einer solchen Anhörung der Energiebetreiber habe er damals geraten, sagte Zeuge Gerrit Niehaus vor dem U-Ausschuss.“ Gemeint ist damit die Anhörung von RWE zu der Moratoriums-Verfügung. Hessen hat diese Anhörung nicht durchgeführt, was für die Schadensersatzklage gegen das Land Hessen als eines der wichtigen Versäumnisse bewertet wurde, mit dem das Gericht den Anspruch von RWE bestätigt hatte. Weiter heißt es in der FAZ: „Der ehemalige Beamte des Bundesumweltministeriums bezeichnete die zeitweilige Stilllegung der ältesten deutschen Kernkraftwerke als „juristisch hochriskant“. Trotzdem habe das Ministerium den Ländern dafür nur einen unzureichenden Formulierungsvorschlag geschickt.“
Dazu auch die Grünen im hessischen Landtag in einer von zwei PMs zur Sitzung (Quellen siehe unten): „Diese Sicht bestätigte ausdrücklich der damalige Leiter der für Atomaufsicht zuständigen Arbeitsgruppe im BMU, Gerrit Niehaus. „Herr Niehaus sagte aus, es habe ein Papier des BMU geben sollen, über dem zwar nicht ,Weisung‘ stehen sollte, das aber die Länder als Verfügungstext hätten verwenden können“, so Kaufmann. „Er selbst sah das Vorgehen der Bundesregierung als Arbeitsauftrag an seine Arbeitsgruppe und ließ ein solches Papier erarbeiten. Herr Niehaus bekräftigte auch, dass der Bund im gesamten Verfahren das Heft des Handelns in der Hand behielt. So führte die Reaktorsicherheitskommission des Bundes die Sicherheitsüberprüfung der alten Atomkraftwerke durch, die Länder lieferten lediglich zu.““
Ausführlich berichtet die FAZ in einem weiteren Artikel: „Die Katastrophe von Fukushima hat Bund und Länder zum schnellen Ausstieg aus der Atomkraft getrieben. Rechtliche Bedenken wurden ignoriert. Schadenersatzklagen wie im Fall Biblis waren die Folge“, heißt es im ersten Text, der noch einmal die Hintergründe um die Entscheidung zum Atommoratorium nachzeichnet.
Dort heißt es z.B.: „Matthias Ullrich, Mitarbeiter im hessischen Umweltministerium, nannte „alles“, was in diesen Tagen 2011 passiert ist, „außergewöhnlich“. Nicht zuletzt: „dass die Entscheidungen schon im Vorfeld gefallen sind“. Die Politik habe entschieden und die Verwaltung sei erst „im Nachgang dran“ gewesen. „Normalerweise ist es umgekehrt.“ Ullrichs Chef Guntram Finke, Leiter der Abteilung Kerntechnische Anlagen und Strahlenschutz im hessischen Umweltministerium, war einer der vielen, die sehr schnell Zweifel an dem geplanten Vorgehen hatten und diese auch äußerten.“
Es ging um zwei Fragen in dieser Phase: a. wer trägt die Verantwortung? BMU oder die Länder und b. wie ist das Moratorium zu begründen?
In der FAZ heißt es im genannten Artikel zum Punkt b. weiter: „Die Ernüchterung folgte am nächsten Tag, dem 16. März, als in Wiesbaden eine E-Mail des Bundesumweltministeriums einging, mit einem Text für eine Stilllegungsverfügung. Die Leute im hessischen Umweltministerium wussten sofort: Das ist nicht das, was man sich erwartet hatte. „Relativ dünn“ sei das Papier gewesen, sagte Ullrich, „eine sehr, sehr vorläufige Entwurfsskizze“ einer Verordnung. Man darf davon ausgehen, dass das kein Zufall war. Jedenfalls begründete Hennenhöfer seine Position, es habe sich nicht um eine Weisung gehandelt, auch damit, dass bundesaufsichtliche Weisungen immer in einer bestimmten Form ergangen seien – und diese Form liege hier eben nicht vor.“
Auch der Chef von Ullrich hat Bedenken: „Tatsächlich fehlen so ziemlich alle Textbausteine, aus denen so eine Verordnung üblicherweise besteht, vor allem die materiellen Gründe für die Stilllegung waren nur „sehr, sehr pauschal“ angegeben, so Finke. Ihm war sofort klar: Das kann ich nicht mittragen. Das Risiko, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig sein würde und daraus Schadensersatzansprüche der Betreiber entstehen, war zu groß.“ Es lohnt, den FAZ-Artikel wegen weiterer Details zu lesen!
Pofalla hat laut FAZ alle Vorwürfe auf Absprachen zurückgewiesen: „Der ehemalige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) hat während seiner Befragung die Unterstellung zurückgewiesen, er habe 2011 Geheimabsprachen mit einzelnen Energieversorgern getroffen. Das sei abwegig, sagte er.“ Und über Röttgens-Aussage heißt es zusammenfassend: „„Es hat keine Anweisung gegeben“, stellte Röttgen in seiner mehr als dreistündigen Anhörung mehrfach fest. Röttgen sprach bei dem damals beschlossenen Moratorium von einer „politischen Verabredung“ von Bund und Ländern auf Basis des Atomgesetzes. Jedes Land hätte das Recht gehabt, sich der „Bitte“ des Bundes zu verweigern. Es habe damals keine vom Bund ausgearbeitete „unterschriftsreife Stilllegungsverfügung“ gegeben, betonte Röttgen. Es sei immer „völlig klar“ gewesen, dass für die rechtliche Umsetzung die Länder zuständig gewesen seien. Dies habe er auch anschließend in einem Telefonat Hessens Umweltministerin Lucia Puttrich (CDU) gesagt.“
Ähnlich berichtet auch die Frankfurter Rundschau hier und hier.
Die Linken-Fraktion im hessischen Landtag kommentiert die Anhörung im Untersuchsausschuss vom letzten Freitag in dieser PM: Hat Ministerin Puttrich das Parlament angelogen? Hessen-CDU endgültig mit dem Versuch gescheitert, die Verantwortung dem Bund zuzuschieben.
Die SPD im Landtag Hessen schreibt: Norbert Schmitt: Röttgen bestätigt: Weisung des Bundes hat es nie gegeben. Bouffier und Puttrich haben Schadenersatzklage zu verantworten.
Die Grünen im hessischen Landtag, Regierungspartner der CDU, verweisen mit zwei PMs auf den Bund: Biblis-Untersuchungsausschuss: „Atomkritische“ Abteilung im Bundesumweltministerium wurde offenbar ausgebootet und: Biblis-Untersuchungsausschuss: Röttgens Aussage bestätigt Verantwortung des Bundes.
Im Bundestag sind die beiden Büros der Grünen (Sylvia Kotting-Uhl) und der Linken (Hubertus Zdebel) dabei, die Bundesregierung zu den Vorgängen auf Basis der Erkenntnisse aus Hessen und der Medienrecherchen zu befragen. Kotting-Uhl hat gerade eine umfassende Kleine Anfrage dazu auf den Weg gebracht. Zdebel hatte vor ein paar Tagen die Antworten der Bundesregierung auf Schriftliche Fragen erhalten, die hier nachzulesen sind: Absichtlich schlampige Anordnungen bei Atom-Moratorium? Bundesregierung antwortet auf Zdebels Fragen.
Ein Gedanke zu “Atomausstieg: Hand in Hand zum Schaden der Bürger – Haben Regierungsvertreter Atomkonzernen geholfen?”