Atommüll in Jülich: Ehemaliger Mitarbeiter erstattet Anzeige – „Unerlaubter Umgang mit Kernbrennstoffen“

Atommüll: Stellt Strafanzeige gegen
Atommüll: Dr. Rainer Moormann stellt Anzeige gegen Betreiber des ehemaligen Atomforschungszentrums in Jülich. Foto: Wikipedia

Es geht um 152 Castorbehälter, gefüllt mit hochradioaktivem Atommüll. Deren Lager-Genehmigung ist ausgelaufen, weil der Betreiber, das Forschungszentrum Jülich, nicht in der Lage war, rechtzeitig erforderliche Unterlagen und Nachweise für eine neue Genehmigung auf den Weg zu bringen. Jetzt hat ein ehemaliger Mitarbeiter, der Atomexperte Rainer Moormann, Anzeige nach § 328 StGB wegen „Unerlaubten Umgang mit Kernbrennstoffen“ bei der Staatsanwaltschaft Aachen erstattet.

 umweltFAIRaendern.de dokumentiert im Anschluss den Wortlaut der Anzeige:
22.06.2015,
An die Staatsanwaltschaft Aachen,
Sehr geehrte Damen und Herren,
wegen des Verdachts der schuldhaften Verursachung eines ungenehmigten Zustands bei der Lagerung von Kernbrennstoff möchte ich unter Berücksichtigung von § 328 StGB Anzeige gegen des Forschungszentrum Jülich GmbH (FZJ D 52425 Jülich) erstatten.
Das FZJ ist Besitzer von 152 Castoren mit ca. 290.000 abgebrannten Brennelementkugeln aus dem Versuchsreaktor AVR Jülich und lagert diese in einem Zwischenlager auf dem FZJ-Gelände. Die Genehmigung des Lagers ist seit dem 01.07.2013 ausgelaufen, da FZJ die Sicherheit des Lagers nach aktuellem Stand von Wissenschaft und Technik bisher nicht nachweisen konnte. Nach zwei befristeten Duldungsverfügungen seitens der NRW-Aufsichtsbehörde ohne ausreichende Fortschritte bzgl. weiterer Genehmigung wurde am 02.07.2014 behördlicherseits die schnellstmögliche Räumung des Lagers angeordnet. Eine Räumung zur Erzielung einer gesetzeskonformen Lagerung ist aber derzeit unmöglich, da FZJ die Krananlage der Verladezelle, die einer separaten Genehmigung unterliegt, nicht auf dem erforderlichen Stand gehalten hat (Genehmigung abgelaufen Ende 2013), sodass sie aufwändig aufgerüstet werden muss (mindestens bis November 2016).

Aus folgenden Gründen habe ich den Verdacht, dass diese Situation schuldhaft herbeigeführt wurde:
• Dass große Schwierigkeiten bei der Genehmigung des Zwischenlagers über 2013 hinaus auftreten würden, war seit spätestens 2001 bekannt (Attentat auf das World Trade Centre: gestiegene Anforderungen betr. terroristischer Attacken, für die es im Jülicher Lager keinen ausreichenden baulichen Schutz gibt. Paläoseismologische Untersuchungen für den Jülicher Raum von 1995 – 2000, die zeigten, dass deutlich stärkere Erdbeben auftreten können als früher angenommen). Dennoch beschränkte sich FZJ darauf, 4 Tage vor der Frist, bis zu der ein Nachweis zum weiteren Verbleib der Castoren vorgelegt werden musste (30.06.2007), eine längerfristige Verlängerung der Lagergenehmigung zu beantragen, was erwartungsgemäß als aussichtslos zurückgewiesen wurde.
• FZJ reduzierte daher 2009 den Verlängerungsantrag auf 3 Jahre und änderte die Strategie mit Unterstützung des Mehrheitsgesellschafters Bund aus eher sachfernen Gründen dahingehend, die Castoren mittelfristig aus Jülich zu entfernen. „Es ist das erklärte Ziel der Bundesregierung, dieses Forschungszentrum kernbrennstofffrei zu machen, um einen attraktiven Standort zu haben.” (FZJ-Aufsichtsratsvorsitzender Karl Eugen Huthmacher Ende November 2011, lt. Rene Benden, Aachener Zeitung Online 16.12.2011)
• Die naheliegende Option der Errichtung eines neuen Lagers in Jülich wurde nicht ernsthaft geprüft. Das Ziel einer Entfernung der Castoren aus Jülich dominiert vielmehr seither das Agieren von FZJ.
• Die weiteren Planungen zum Kernbrennstoff sind durch einen häufigen Konzeptwechsel gekennzeichnet, was zu erheblichen Zeitverlusten führte:
• Ab 2010 wurde eine Verlagerung der Castoren in das Zwischenlager Ahaus für FZJ prioritär und das Genehmigungsverfahren zur temporären Verlängerung des Jülicher Lagers wurde durch FZJ am 16.07.2010 sogar ausgesetzt (bis 16.05.2012, s.u.).
• Parallel wurden Anträge zur Transport- und Aufbewahrungsgenehmigung in Ahaus gestellt, die aber nicht rechtzeitig vor Ende der Jülicher Lagergenehmigung bearbeitet werden konnten (wie die Genehmigungsbehörde BfS durchblicken ließ, wegen qualitativer Mängel der Antragsunterlagen) und daher im Januar 2013 zurückgezogen wurden.
• Es ist zu vermuten, dass die erst 2012 in das Bewusstsein tretende Kranproblematik/Verladezelle (Genehmigungsbehörde MWEIMH/NRW), die jeglichen Transport für Jahre unmöglich macht, beim Abrücken von der Ahaus- Option ebenfalls eine Rolle gespielt hat und auch dazu führte, das Genehmigungsverfahren zur temporären Verlängerung des Jülicher Lagers im Mai 2012 wieder aufzunehmen.
• Wegen der weiter anhaltenden Genehmigungsprobleme um das Jülicher Lager wurde am 15.12.2014 das Genehmigungsverfahren für einen Transport nach Ahaus von FZJ wieder aufgenommen.
• Schließlich wurde ab 2012 die Verbringung der Castoren in die USA mit erheblichem Aufwand bearbeitet – eine Alternative, die nach Einschätzung des von der Behörde bestellten Gutachters TüV Nord vom Mai 2015 allerdings als weniger erfolgversprechend einzustufen ist.
• FZJ geht derzeit noch davon aus, dass eine temporäre Genehmigung des Jülicher Lagers möglich ist, allerdings einigen Zusatzaufwand erfordert. Die Unterbrechung des Genehmigungsverfahrens für fast 2 Jahre 2010 – 2012 könnte daher für die derzeitige Situation verantwortlich sein.
• Der Umstand, dass FZJ die Genehmigung der Krananlage der Verladezelle, die für jeden Transport zwingend erforderlich ist, offenbar bis 2012 schlicht übersehen oder ignoriert hat und erst Ende 2012, also 1 Jahr vor Ablauf der Genehmigung, einen Verlängerungsantrag gestellt hat, muss wohl als eine im Umgang mit Kernbrennstoff grobe Fahrlässigkeit gewertet werden. Es war jedem Fachmann klar, dass eine Verlängerung der Genehmigung dieser alten Anlage nur nach erheblichen Aufrüstungen möglich sein würde. Die durchzuführenden Aufrüstungen – die zur Beschleunigung mittlerweile sogar schon begonnen wurden, ohne auf die behördlichen Baugenehmigungen zu warten – werden bis mindestens Ende 2016 jeden Castortransport/Lagerräumung verhindern.
• Der insgesamt wenig sachgerechte und eher oberflächliche Umgang mit dem Jülicher
Kernbrennstoff durch FZJ zeigt sich auch durch folgende Fakten:
• Vor dem Landtags-Untersuchungsausschuss zur „Atomkugelaffaire 2011“ rügten sowohl Vertreter von Bundes- als auch von Landesministerien die „nonchalante“ Buchführung über die in den Castoren vorhandenen Brennelemente
• Laut Störungsbericht der NRW-Atomaufsicht regnete es im August 2011 und im Mai 2012 in das Castorenlager durch Dachundichtigkeiten so stark hinein, dass die Feuchtesensoren der Castoren Alarm schlugen
• Der behördlicherseits zum 30.09.2014 geforderte und mit Nachbesserungen am
31.10.14 abgelieferte FZJ-Detailkonzept zum weiteren Umgang mit den Castoren ist nach Einschätzung des behördlichen Gutachters wegen mangelndem Informationsgehalt nicht geeignet, eine abschließende Aussage zu den Optionen zur Zukunft der Castoren zu geben. Die FZJ-Schlussfolgerungen werden vom Gutachter angezweifelt.
Einige Belege zu meinen Aussagen finden Sie in:

Ich hoffe, den komplexen Sachverhalt halbwegs plausibel dargestellt zu haben.
Mit freundlichem Gruß
Moormann.

Dirk Seifert

2 Gedanken zu “Atommüll in Jülich: Ehemaliger Mitarbeiter erstattet Anzeige – „Unerlaubter Umgang mit Kernbrennstoffen“

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