Atomanlagen und „terroristisch motivierte Taten“: Erhöhte Schutzmaßnahmen gegen „bestimmte Angriffsszenarien“

AKW-Brokdorf-Nov2015
AKW Brokdorf mit Anti-Terror-Maßnahme auf den Dächern rund um die Reaktorkuppel.

Informationen gefährden den Sicherungszweck, sagen die Behörden. Immer mehr Fragen der Sicherung von Atomanlagen zum Schutz der Bevölkerung spielen sich im Geheimen ab und entziehen sich damit jeder öffentlichen Kontrolle. Seit 2011 erfolgen an den Atomanlagen Nachrüstungen gegen „terroristisch motivierte Taten“. Beim Castor-Atommülllager in Lubmin scheiterten geplante Nachrüstungen vorerst. Am AKW Brokdorf sind auf den Dächern rund um die Reaktorkuppel Gestänge montiert worden, die offenbar die Landung von Hubschraubern verhindern sollen. Die Genehmigung für das Castor-Lager am AKW Brunsbüttel wurde per Gerichtsbeschluss aufgehoben. Die Behörden mochten selbst den Richtern keinen Einblick in ihre Maßnahmen geben. Zum „Schutz gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter“ (SEWD) haben Hubertus Zdebel und Kerstin Kassner von der Bundestagsfraktion DIE LINKE die Bundesregierung befragt.
Hubertus Zdebel, Sprecher für Atomausstieg der Fraktion DIE LINKE: „Atomanlagen als Terror-Ziele. Das ist eine beklemmende Vorstellung und zeigt auf ganz andere Weise, welch unverantwortlicher Wahnsinn die Atomenergienutzung war und ist. Vor allem die noch in Betrieb befindlichen Atommeiler sollte angesichts ihres enormen Gefährdungspotentials möglichst sofort abgeschaltet werden. Es ist ein Dilemma, aber es kann nicht sein, dass Bürger und Gerichte immer mehr ausgeschlossen werden, die Sicherheit der Atomanlagen überprüfen zu können.“

  • Die Antwort der Bundesregierung ist hier als PDF online.
  • Im Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Schleswig, das zur Aufhebung der Genehmigung für das Castor-Zwischenlager am AKW Brunsbüttel führte, sprach Richter Dierk Habermann mit Blick auf die Geheimhaltung bei Sicherheitsmaßnahmen von einem „Dilemma“ für den Senat. Siehe dazu die SHZ. Ausführlich hat sich das ZDF-Magazin Frontal21 mit diesem Thema beschäftigt. Das Manuscript des Beitrags
    „Angriffsziel Atomkraftwerk – Gefahren nach dem Ausstieg“ aus der Sendung vom 11. März 2014 hier hier online nachzulesen (PDF). Darin kommt Richter Habermann ebenso zu wort wie die Sachverständige Oda Becker, deren Vortrag vor Gericht wesentlich zur Aufhebung der Betriebsgenehmigung für das Castor-Lager in Brunsbüttel sorgte. Ihre Stellungnahme ist hier als PDF nachlesbar.

Insgesamt bestätigt die Bundesregierung auf Nachfrage von Zdebel und Kassner: „Nachrüstmaßnahmen wurden für alle deutschen Zwischenlager erforderlich und 2011 auch an allen Standorten beantragt. Für die standortnahen Zwischenlager Gundremmingen, Biblis und Lingen wurden die Genehmigungen bereits erteilt; die Erteilung der übrigen Nachrüstungsgenehmigungen mit Ausnahme des Zwischenlagers Nord, des AVR-Behälterlagers Jülich sowie des Zwischenlagers Brunsbüttel erfolgt nach derzeitiger Planung spätestens im Jahr 2016.“
Die geplanten baulichen Nachrüstungen für das Castor-Zwischenlager der EnergieWerke Nord (EWN) bei Lubmin hätten sich „letztendlich als nicht genehmigungsfähig“ herausgestellt, teilt die Bundesregierung weiter mit. Der Betreiber prüfe derzeit „Optionen, die dazu geeignet sind, die ausreichenden temporären Maßnahmen durch bauliche und sonstige technische Maßnahmen zu ersetzen. Diese Prüfung ist noch nicht abgeschlossen.“ Ob es dabei auch zu einem Neubau der Castor-Zwischenlagerhalle kommt, wie der NDR jüngst berichtet hat, bleibt offen.
Bis dahin sorgen nach Aussage der Bundesregierung weiterhin lediglich „temporäre Maßnahmen“ für ausreichenden Schutz. Über die Gründe will die Bundesregierung den beiden Abgeordneten Hubertus Zdebel und Kerstin Kassner keine Details mitteilen, „um die Wirksamkeit der Maßnahmen nicht zu beeinträchtigen“.
Doch auch bei den noch in Betrieb befindlichen Atomkraftwerken werden derartige Maßnahmen umgesetzt. Sichtbar ist das am AKW Brokdorf, wo auf allen Dächern rund um die Reaktorkuppel „Gestänge“ montiert wurden. Es ist offensichtlich, dass damit das Landen von Hubschraubern verhindert werden soll, damit kein Terrorkommando von dort aus z.B. mit panzerbrechenden Waffen direkt auf die Reaktorkuppel schießen kann. Dennoch weigert sich die Bundesregierung, über diese Maßnahme nähere Angaben zu machen, um „Rückschlüsse auf die Sicherungsmaßnahmen zu vermeiden“.
Ähnliche Maßnahmen sind der Antwort der Bundesregierung zufolge auch an anderen noch in Betrieb befindlichen Atomkraftwerken umgesetzt oder werden noch umgesetzt: „Zusätzlich zu den vorhandenen Sicherungsmaßnahmen sind ergänzende Sicherungseinrichtungen auf den Dachflächen der Atomkraftwerke im Leistungsbetrieb notwendig. Die technische Ausführung dieser Maßnahmen ist abhängig vom jeweiligen Kernkraftwerk und kann daher unterschiedlich ausfallen. Die Anträge zur Ergänzung der vorhandenen Sicherungsmaßnahmen sind entweder bereits abgearbeitet bzw. wurden oder werden in Kürze gestellt. Weitere Details der Maßnahme können in dieser Beantwortung der Kleinen Anfrage nicht genannt werden, um Rückschlüsse auf die Sicherungsmaßnahmen zu vermeiden.“
Im Januar wurde nach einem Urteil des OVG Schleswig die Genehmigung für das Castor-Zwischenlager am AKW Brunsbüttel aufgehoben. Auch hier spielte die Geheimhaltung der Behörden eine Rolle. Der Grund: „Die zuständige Behörde sah sich aus Geheimschutzgründen, die durch das Bundesverwaltungsgericht nach gerichtlicher Überprüfung bestätigt wurden, gehindert, die getroffenen Sicherungsmaßnahmen gegenüber dem erkennenden Gericht offen zu legen, da hierdurch gerade der Sicherungszweck gefährdet worden wäre“, heißt es dazu in der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage von Zdebel und Kassner.
Hintergrund: Atomanlagen und „Schutz gegen terroristisch motivierte Taten“
An allen bundesdeutschen Atomanlagen werden aufgrund von „Gefährdungslagen“ seit 2011 Sicherungsmaßnahmen zum „Schutz gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter“ (SEWD) vorgenommen. „Als solche werden derzeit insbesondere auch terroristisch motivierte Taten in Betracht gezogen“, heißt es auf der Homepage des Bundesumweltminsterums.
Auch wenn das Ministerium betont, dass die Nachrüstungen „nicht aufgrund einer veränderten Gefährdungslage für kerntechnische Einrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland“ erfolgen. Seit Mitte 2011 hat sich mit Blick auf die Zwischenlager mit hochradioaktivem Atommüll zu „bestimmten Angriffsszenarien im Nahbereich der Transport- und Lagerbehälter, die zu Schutzzielverletzungen führen können“ … „die Bewertung und Erkenntnislage derart verändert, dass die Sicherungsmaßnahmen optimiert werden müssen. Dazu werden bauliche Maßnahmen und – bis zu deren Umsetzung – temporäre Maßnahmen durchgeführt.“
Als „temporäre Maßnahmen“ werden vor allem personelle und administrative Regelungen bezeichnet. Also z.B. verstärkter Einsatz von Sicherheitspersonal rund um die Anlagen. Angestrebt werden aber bauliche Maßnahmen, die mehr Schutz gegen nicht weiter bezeichnete Angriffsszenarien bieten sollen. An einigen Castor-Zwischenlagern sollen bzw. werden z.B. Schutzmauern zusätzlich errichtet. Auch von „Härtungen“ wird dabei gesprochen. Selbst zu der Frage, was man sich darunter vorstellen soll, verweigert die Bundesregierung eine Antwort: „Dies ist von den jeweiligen standortspezifischen Umständen, insbesondere von der Bausubstanz der Halle abhängig. Details können in dieser Beantwortung der Kleinen Anfrage nicht genannt werden, um die Wirksamkeit der Maßnahmen nicht zu gefährden.“

DSe4Zdebel

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