Kein Olympia: Jetzt droht Unregierbarkeit – Hamburg am Abgrund

mehr-demokratieNun kommt es knüppeldick, Hamburg vor dem Untergang. Jedenfalls aus Sicht der Handelskammer: „Volksentscheide machen Hamburg unregierbar“, titelt nun die Zeitung, die gern in Partnerschaft mit der Handelskammer die Olympischen Spiele nach Hamburg geholt hätte – und sich vermutlich immer noch wundert, wie das schief gehen konnte. Egal, nun freut man sich, dass die Handelskammer die nächste Kuh durchs Dorf jagt. Diese dummen Volksentscheide, wo BürgerInnen entscheiden was die Handelskammer gar nicht will, müssen weg, wenn Hamburg nicht untergehen soll. Oder was?

Andreas Dey vom Abendblatt meint doch allen Ernstes, man müsse sich bei der Handelskammer bedanken, wenn die nun den Abbau von Mitbestimmungsrechten für die BürgerInnen fordert, weil sich „die Politik“ das angeblich nicht traut: „Insofern hat Melsheimer der Politik vielleicht sogar einen Dienst erwiesen: indem er es ihr abgenommen hat, eine wichtige Debatte anzustoßen.“

Da wird Helmut Schmidt ins Rennen geworfen, was immer nach großer staatsmännischer Geste aussehen soll. Puh, ja wenn Schmidt das gesagt hat… (Der Helmut Schmidt übrigens, der gegen die Olympia-Bewerbung von Hamburg gewesen sein soll!)
Dass diese jetzt von der Handelskammer aufgeworfene Forderung nicht nur eine Reaktion auf das Olympia-Desaster ist, ist zutreffend. Schon in der Neujahrsansprache 2013/2014 hatte Melsheimer scharf kritisiert, dass Volksentscheide und Gerichte das Parlament und den Senat untergraben. Damit zielte er auf den im September 2013 aus Sicht der Handelskammer versemmelten Volksentscheid „Unser Hamburg – Unser Netz“ und auf ein Urteil eines Bundesverwaltungsgerichts, mit dem die Elbvertiefung vorerst gestoppt wurde. Beide Vorgänge, die irgenwie ziemlich demokratisch und rechtsstaatlich daher kommen, nervten Melsheimer schon damals.

Interessant ist, was der Eingangs genannte Abendblatt-Reakteur in seinem Kommentar in Sachen Demokratie-Verständnis zum Thema Volksentscheide mit Bezug auf Helmut Schmidt von sich gibt. Er schreibt dazu: „Natürlich wird das Regieren komplizierter, wenn man vor oder nach einer Entscheidung auch noch auf das Votum der Bürger warten muss – erst recht, wenn diese Bürger dann nicht einmal über angemessene Sachkenntnis und die nötige Weitsicht verfügen, was aus Sicht des großen Langenhorners ja im Prinzip für fast alle Mitbürger galt. So gesehen war dieser Satz auch immer ein niederschmetterndes Zeugnis für eigene Bevölkerung.“
Was soll uns das nun sagen? Dey erklärt es uns: „Wenn der Kammer-Präses sich dieses Zitat in Zusammenhang mit der Olympiabewerbung zu eigen macht, meint er unterm Strich nichts anderes, als dass die Hamburger einfach nicht verstanden haben, welch großartiges Angebot sie da ausgeschlagen haben. Damit könnte er vielleicht sogar richtig liegen, denn vermutlich werden sich nicht alle Wähler bis ins Detail über die Chancen und Risiken Olympischer Spiele informiert und am Ende eine ausgewogene und am langfristigen Wohl der Stadt orientierte Entscheidung getroffen haben. Wirklich belegbar ist diese Behauptung aber nicht.“
Nun ließen sich Fragen stellen: Wo steht geschrieben, dass die WählerInnen „ausgewogene“ Entscheidungen zu treffen haben, die auf das „langfristige Wohl der Stadt“ orientiert zu sein haben?  Und wieso stellt sich diese Frage überhaupt, wenn der Chef der Handelskammer seine Kritik auffährt? Weil er irgendwas Nahe dran ist, am „Wohl der Stadt“? Und was eigentlich ist dieses „Wohl der Stadt“? Und wie könnten wir uns das vorstellen mit der „angemessenen Sachkenntnis“ und der „nötigen Weitsicht“, die die WählerInnen irgendwie haben sollten? Braucht es da gar eine Wahlberechtigungs-Prüfung?
Dey bleibt irgendwie ausgewogen, räumt ein: „Denn es sprach eben nicht nur viel für diese Bewerbung, sondern es gab auch gute Gründe dagegen zu sein: Korrupte Sportverbände, finanzielle Risiken, jahrelange Baustellen oder gar Terrorangst – aus welchem Grund welcher Hamburger nun seine Entscheidung traf, wissen wir nicht genau. In gewisser Hinsicht ist das auch unerheblich, denn wer an freien und geheimen Wahlen teilnimmt, ist niemandem gegenüber Rechenschaft darüber schuldig, warum er wo sein Kreuz gemacht hat.“

Na, dann ist doch eigentlich alles gut und wir könnten die Debatte einstellen, oder? Nein, denn für den Abendblatt-Kommentator ist klar: „Kritik an Volksgesetzgebung: Die Politik muss sich stellen.“

Es ist dem SPD-Fraktionschef Andreas Dressel zu danken, wenn er – in seinem eigentlichen Artikel führt Dey das an – „jüngst im Abendblatt allen Überlegungen in diese Richtung eine Absage erteilt. Wer nach dem Olympia-Aus beleidigt die Volksgesetzgebung beschneiden wolle, sei „auf dem Holzweg“. Die Bürger hätten nur ihre Rechte wahrgenommen.“ (Richtig, würde Melsheimer nun vermutlich sagen: Deshalb müssen ihnen die Rechte ja wieder abgenommen werden.)
Allerdings: Die Debatte um Bürgerdemokratie und Referenden wird noch im Januar wieder auf der Tagesordnung der Bürgerschaft stehen. Gegen die im Eiltempo für Olympia durchgepeitschte Verfassungsänderung, mit der Senat und Bürgerschaft nun grundsätzlich die Möglichkeit erhalten, Referenden durchzuführen, hatte sich eine Volksinitiative „Rettet den Volksentscheid“ erfolgreich auf den Weg gemacht.
Auf der Homepage von „Mehr Demokratie“ ist dazu zu lesen: „Am 27. Oktober hat der Senat das Zustandekommen unserer Volksinitiative „Rettet den Volksentscheid“ festgetellt, nachdem wir am 30. September rund 14.500 Unterschriften im Rathaus übergeben hatten.

Bis zum 28. Januar 2016 muss die Bürgerschaft nun entscheiden, ob sie unseren Gesetzentwurf übernehmen will. Tut die Bürgerschaft dies nicht, können wir vom 29. Januar bis 27. Februar 2016 einen Antrag auf Durchführung eines Volksbegehrens stellen. Das Volksbegehren wird dann voraussichtlich im Juni 2016 stattfinden.“

Dirk Seifert

2 Gedanken zu “Kein Olympia: Jetzt droht Unregierbarkeit – Hamburg am Abgrund

  1. Merkwürdig,
    da regt sich der Präses der Handelskammer überein anheblich ZUVIEL der Bürgerrechte auch, aber wer gibt ihm das Recht, ohne Mandat der Handelkammer überhaupt irgendeine Stellungnahme für die HK oder als deren Präses abzugeben.
    Öffentlichrechtliche Körperschaften der Selbstverwaltung sind wie die unmitterlbare Staatsverwaltung an das Demokratiegebot gebunden.
    Offensichtlich hat Melsheimer das bis heute nicht begriffen. Also sollte das Versäumnis bei der nächsten Wahl der HK berichtigte werden.

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