„Verweigerte Diskussion“: Axel Schildt über die „Rettung Hamburgs in letzter Minute – Zur Wiederauflage hanseatischer Legenden über NS-Herrschaft und Kriegsende“
Im letzten Jahr sorgte eine Buchveröffentlichung der Handelskammer Hamburg über ihre Rolle im Nationalsozialismus für Aufsehen. Als „geschönte Geschichte“ wurde das von Uwe Bahnsen im Auftrag geschriebene Werk kritisiert. Der später auf Initiative der Reformer „Die Kammer sind Wir“ im Plenum der Handelskammer veröffentlichte Werkvertrag zwischen HK und Bahnsen machte deutlich, dass der Autor den Auftrag hatte, ein möglichst positives Bild der Handelskammer vor allem am Ende des Faschismus zu malen. In ihrem Jahresband 2015 hat die Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH) jetzt einen Aufsatz von Prof. Dr. Axel Schildt veröffentlicht, der sich intensiv mit diesem Werk und der folgenden Befassung auseinandersetzt, u.a. auch mit einer der Handelskammer-Selbstdarstellung weitgehend unkritisch folgenden NDR-„Dokumentation“.
- Geschönte Geschichte – Die Hamburger Handelskammer im Nationalsozialismus
- Die Handelskammer Hamburg präsentiert das Buch in einem Video auch auf Youtube: „Unglaublich authentisch“, findet Hauptgeschäftsführer Hans-Jörg Schmidt-Trenz. Auch die NDR-Doku wird hier präsentiert.
Im Vorwort des Jahresberichts heißt es dazu mit Blick auf eine Veranstaltung des Zentrums für Zeithistorische Forschung (Potsdam), des Instituts für Zeitgeschichte (München/Berlin) und der FZH: „Berichtet wurde dort auch über den Versuch, die längst überwunden geglaubte Legende der Rettung Hamburgs im Jahre 1945 durch einige Helden, die vor allem aus den Reihen der Handelskammer kamen, zu reanimieren. Zu den geschichtspolitischen Auseinandersetzungen über dieses lokale Phänomen findet sich ein Artikel von Axel Schildt in diesem Jahresbericht.“
Der Aufsatz von Prof. Dr. Axel Schildt mit dem Titel: „RETTUNG HAMBURGS IN LETZTER MINUTE – Zur Wiederauflage hanseatischer Legenden über NS-Herrschaft und Kriegsende“ ist hier als PDF online. Der Jahresband „Zeitgeschichte im Hamburg 2015“ der Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg ist hier als PDF vollständig online.
Schildt schreibt zur Einleitung: „Im Gedenkjahr 2015 blieb es geschichtspolitisch ruhig. In Hamburg allerdings spielte sich, von der allgemeinen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, siebzig Jahre nach Kriegsende eine Episode schönfärberischer Legendenbildung ab, die im Mantel geschichtswissenschaftlicher Seriosität daherkam. Worum ging bzw. geht es, denn die Angelegenheit ist nicht abgeschlossen?“
- Siehe auch Brigitta Hunke auf den Nachdenkseiten: Wie in Hamburger Medien durch fragwürdige Heldenverehrung das Leid von NS-Opfern und deren Nachkommen 70 Jahre nach der Befreiung verdrängt wird.
Schildt setzt sich sowohl mit dem Bahnsen-Buch, mit dem Auftrag der Handelskammer, mit der NDR-Dokumentation als auch mit den Reaktionen auf die vorgetragene Kritik daran auseinander, bevor er von der „verweigerten Diskussion“ spricht.
Wörtlich schreibt er: „Den bisher letzten Versuch, den Film zu diskutieren, unternahmen wir mit einem Schreiben an den Rundfunkrat des NDR, der dann zu einem von seinem stellvertretenden Vorsitzenden Uwe Grund moderierten Gespräch einlud, das am 2. September 2015 stattfand.
Allerdings hatten wir den Eindruck, einer geschlossen abweisenden Gruppe gegenüber zu sitzen, die kompromisslos den Film verteidigen wollte. Das gesamte Produktionsteam von jumpmedientv, Uwe Bahnsen, die Verantwortlichen des NDR und einige Rundfunkräte –
Namensschilder gab es nicht – betonten, dass der Film hervorragend gemacht sei, eine hervorragende Quote erzielt und viel professionelle Anerkennung gefunden habe. Nicht einmal ein Halbsatz der Selbstkritik war hörbar, dafür aber die Ablehnung der als hochmütig empfundenen Kritik von Historikern, die eben nicht verstünden, wie historische Stoffe im Fernsehen aufzubereiten seien. Am Schluss stand der Appell, wir sollten doch miteinander und nicht übereinander reden. Wir stimmten selbstverständlich zu, merkten aber an: Nicht im Hinterzimmer, sondern in der Öffentlichkeit. Es war leider keine Sternstunde eines öffentlich-rechtlichen Kontrollgremiums.“
Und außerdem berichtet Axel Schildt: „Ein Versuch der Landeszentrale für politische Bildung, die Diskutanten auf ein Podium zu bringen, scheiterte dann. Der Reimarus-Saal der Patriotischen Gesellschaft war zu diesem Zweck zwar bereits für den 1. Oktober 2015 angemietet, aber sowohl Bahnsen als auch Schmidt-Trenz (Handelskammer) verweigerten die Diskussion; der eingeladene Intendant des NDR, Lutz Marmor, antwortete nicht. Wegen der Absagen konnte die Landeszentrale die gewünschte Diskussion nicht durchführen.
Seither ruht die Auseinandersetzung. Der vielgelobte Film ist bislang nicht wieder ausgestrahlt worden und ist auch nicht in der Mediathek des NDR aufzufinden. Aber das ist gar nicht in unserem Sinne. Wir sind vielmehr für eine erneute Ausstrahlung, allerdings mit anschließender Diskussion, für Transparenz, für Aufklärung. Und dies gilt für die gesamte geschichtspolitische Episode des letzten Jahres.“
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