Fleischland NRW: Massentierhaltung, Schlachtindustrie und Lohndumping
„In Deutschland konzentriert sich die Produktion von Fleisch auf immer weniger Betriebe, während sich zugleich das Höfesterben ungebremst fortsetzt.“ Dies stellt der „Fleischatlas Deutschland Regional 2016“ von Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) und Böll-Stiftung fest, der Daten und Grafiken zur Fleischindustrie in den 16 Bundesländer zusammenträgt. Die negativen ökologischen und sozialen Folgen der Fleischproduktion sind beachtlich und auch für DIE LINKE stellt sich die Frage, wie mit Massentierhaltung und Schlachtindustrie umzugehen ist.
Niedersachsen ist gemeinhin als Fleischland bekannt, doch auch in NRW wird die Massentierhaltung immer intensiver. „Besonders hoch ist der Anteil der Intensivtierhaltung im Münsterland und in Teilen des Niederrheins.“ Die beiden großen Schlachtbetriebe Tönnies und Westfleisch sind in unserem Bundesland beheimatet.
Die Folgen der massenhaften Fleischproduktion: Klimawandel, Umweltzerstörung und Tierleid
In NRW ist bereits die halbe Landwirtschaft auf Fleischerzeugung ausgerichtet. Die Umweltverschmutzung und Klimabelastung daraus sind enorm, wie der Fleischatlas feststellt: Bei der in wenigen Megabetrieben konzentrierten Erzeugung und Verarbeitung von tierischen Lebensmitteln sowie bei langen Transportstrecken der gehandelten Waren entsteht ein großer Ausstoß von klimaschädlichen Treibhausgasen. Die Viehhaltung ist mittlerweile für 18 % der globalen Treibhausgase verantwortlich, daher ist der ökologische Fußabdruck bei der Produktion tierischer Lebensmittel größer als bei pflanzlichen Lebensmitteln (FAO – Food and Agriculture Organization: Livestock’s Long Shadow. FAO, Rom, S. 112, 2006).
Die Produktion tierischer Lebensmittel verbraucht dabei wesentlich mehr Energie und Ressourcen als pflanzliche Produkte. Aus 10 kg Getreide kann nur 1 kg Rindfleisch hergestellt werden. Die pflanzlichen Futtermittel werden bei der Umwandlung in tierische Produkte also nur ineffektiv genutzt. Ein Großteil des Mastfutters für NRW kommt heute aus Argentinien, Brasilien und den USA. Im Fleischatlas wird dazu resümiert: „Statt Nahrungsmittel für die eigene Bevölkerung anzubauen, werden die Landwirte dazu verlockt, Futtermittel für den lohnenswerteren Export anzupflanzen.“ Darüber hinaus macht der Fleischatlas deutlich, dass – anders als von der Fleisch-Lobby behauptet – die anfallende Gülle in NRW keinesfalls mehr als Wertstoff behandelt werden kann: „In der Massentierhaltung in NRW entsteht jedoch mehr Gülle, als der Boden aufnehmen kann.“. Einen zusammenfassenden Überblick über die Folgen des Fleischkonsums ist in einem Schaubild des Vegetarierbundes Deutschland e.V. (VeBu) zu finden.
Nicht zu vergessen, dass die Tiere in den industriellen Mastbetrieben unter unwürdigen Bedingungen leiden, verstümmelt und misshandelt ihr kurzes leidvolles Leben in Gefangenschaft verbringen. Eine politische Bewegung, die sich Solidarität und Gleichheit auf die Fahnen geschrieben hat, muss sich auch der Frage stellen, wie der Mensch mit anderen empfindsamen Lebewesen umgeht und umgehen darf.
Die Schlacht-Mafia: Billigfleisch durch Lohndumping
Wer glaubt, die deutsche Wirtschaft exportiere vor allem hochwertige High-Tech-Produkte, liegt weit daneben. Laut Fleischatlas wurde in NRW in „den letzten Jahren durchschnittlich 18 Prozent mehr Schweinefleisch hergestellt als verbraucht“ und Megamastbetriebe in Deutschland exportieren massiv Billigfleisch ins europäische Ausland. Fleisch ist ein Exportschlager in Deutschland. Der Grund für die niedrigen Preise ist das durch die neoliberalen Arbeitsmarktreformen der letzten Regierungen (Agenda 2010, HartzIV, etc.) erzwungene Lohndumping.
Die Schlacht-Mafia beutet die Beschäftigten gnadenlos aus. Vielfach sind es Menschen aus Osteuropa, die zu Sklavenhalterbedingungen und für Hungerlöhne an den Fließbändern in Deutschland schuften. Nur 30 Prozent der deutschen Fleischbetriebe sind an Tarifverträge gebunden. Bei Westfleisch beispielsweise besitzen nur noch rund 10 Prozent der Beschäftigten einen festen Arbeitsplatz. Die Profite der deutschen Fleischindustrie steigen gleichzeitig – zwischen 2000 und 2013 um gut 100 Prozent!
Bereits 2014 solidarisierte sich DIE LINKE NRW mit den Beschäftigten in der münsterländischen Fleischindustrie, die weder rechtsgültige Arbeitsverträge, noch einen fairen Lohn, menschliche Arbeitsbedingungen geschweige denn würdige Wohnverhältnisse hatten. Folgende Arbeitsbedingungen sind bei der Schlacht-Mafia an der Tagesordnung: „Betroffene berichten von 12- bis 14-Stunden Schichten am Fließband und Entlohnungen von 50 Euro pro Woche. In einem Wohnblock in Emsdetten leben, den Berichten nach, auf nur drei Zimmern verteilt bis zu 14 Menschen, die in Schichten schlafen müssen.“
Profitlogik: Warum Tierschutz antikapitalistisch sein muss
Diese Beispiele zeigen, dass der Einsatz für das Tierwohl mit dem Kampf um eine gerechte Wirtschaftsordnung – jenseits von kapitalistischen Produktionsbedingungen – in Verbindung gebracht werden muss. Was viele nicht wissen oder vergessen haben: Seit es den Kapitalismus und die Tierindustrie gibt, gibt es auch antikapitalistische Proteste gegen Tierquälerei und für mehr oder weniger radikalen Tierschutz. In dieser langen gemeinsamen Tradition gibt es etliche Anknüpfungspunkte für die aktuellen Auseinandersetzungen.
Die erste Fließbandproduktion etwa kam nicht in den Autowerken von Detroit zum Einsatz, sondern viele Jahre zuvor in den Schlachthöfen von Chicago. Hier zeigte sich schon sehr früh, wie das System von Profitmaximierung funktioniert. Nach der Logik des Profites wurden, ohne Rücksicht auf Mensch und Tier, die Tiere im Akkord geschlachtet, die Beschäftigten in unmenschlichen Arbeitsbedingungen ausgebeutet und die Verbraucher*innen systematisch über die miserable Qualität der produzierten Waren getäuscht. Ein Zustand, an dem sich auch heute – 150 Jahre später – wenig verändert hat, wie immer neue Lebensmittelskandale um Gammelfleisch, Antibiotika-Rückstände etc. belegen. Im Kapitalismus spielt die Gesundheit der Menschen genau so wenig eine Rolle wie das Leid der Tiere – einzig und allein der Profit zählt. Die Zustände in den Schlachthöfen und Tierfabriken dürfen uns also auch heute nicht kalt lassen.
Sozial-ökologischer Umbau oder Fleisch nur für Reiche?
Eine durchschnittlich stärkere pflanzliche Ernährung (vegetarische und vegane Lebensweise) und eine Reduzierung des Fleischkonsums sind gut für Gesundheit, Umwelt, Klima und die Tiere. Doch wie sollte linke Politik dies fördern? Eine Fleischsteuer oder gar Verbote für Konsument*innen wirken letztlich kontraproduktiv. Wer Fleisch einfach nur verteuern möchte, entmündigt nicht nur Verbraucher*innen, sondern fordert faktisch ein Fleisch-Verbot für Menschen mit geringem Einkommen. Wer unter finanziellen Zwängen lebt, muss auf Fleisch verzichten, während die Reichen sich weiterhin Fleisch schmecken lassen.
Eine linke Antwort muss stattdessen die Forderung nach einem sozial-ökologischen Umbau der Fleischindustrie sein. Als erste Schritte müssen Tierschutzbestimmungen und Kontrollen ausgeweitet sowie eine deutliche Verbesserung von Haltebedingungen gefordert werden. Außerdem darf die industrielle Agrarwirtschaft nicht weiter durch Milliarden subventioniert werden. Sowohl die Bedürfnisse der Tiere und der Verbraucher*innen auf gesunde Lebensmittel als auch der Umwelt- und Klimaschutz sowie die sozialen Belange der Beschäftigten müssen beim sozial-ökologischem Umbau berücksichtigt werden.
Auch die Förderung von fleischfreien Alternativen kann zu einem Wandel beitragen. Als Beispiel kann die Kampagne „Münster isst veggie“ für einen fisch-und fleischlosen Donnerstag in Münster herangezogen werden, die auch von der LINKEN seit mehreren Jahren unterstützt wird. Alles ist freiwillig! Es geht nicht um Verbote, sondern um Genuss am Essen, Aufklärung über die Zusammenhänge und Freude am Klimaschutz: Wenn beispielsweise wöchentlich alle 300.000 Einwohner*innen Münsters teilnähmen, hätte das den gleichen Effekt auf die Reduzierung der Treibhausgasemissionen als würden 20.000 Autos lang in der Garage blieben.
Langfristige Debatte notwendig: Linke Politik und Tierrechte
Aus den genannten ökologischen und ethischen Gründen muss sich auch DIE LINKE mit den Bedingungen in der Fleischindustrie und mit einem sozialistischen Verständnis von Tierrechten befassen. Tierquälerei, und insbesondere die profitorientierte Schinderei von Tieren in den Mast- und Schlachtbetrieben, muss als gesellschaftliches Problem verstanden werden, das von einer sozialistischen Partei stärker in den Blickpunkt genommen und überwunden werden muss. Ein erster Aufschlag war 2015 die Konferenz „Tiere sind keine Ware“ der Linksfraktion im Bundestag gemeinsam mit der Linksfraktion im hessischen Landtag.