Spurensuche: Gebaut auf den Verbrechen der Nationalsozialisten – „Versagen der jungen Bundesrepublik“
Die immer noch notwendige Aufarbeitung der deutschen Nazi-Vergangenheit stellt immer öfter (erneut) die Frage, wie die junge Bundesrepublik mit diesem verbrecherischen Erbe umgegangen ist und welche Rolle die Nazi-Täter beim Aufbau in der Nachkriegszeit spielten. Eine der bedeutsamsten Fragen der sogenannten 68er Generation bekommt damit neue und verdiente Aufmerksamkeit. Viele Studien und Berichte kommen zu erschreckenden Ergebnissen, die deutlich machen, wie sehr braune Täter nach 1945 nahezu nahtlos am Aufbau der westdeutschen Behörden und Verwaltungen – aber auch der Wirtschaft – beteiligt wurden und dabei sogar wiederum gegen ihre Opfer aus der Nazi-Zeit nun in der neuen Demokratie tätig wurden. Am Beispiel der Justiz spricht der zuständige Minister Heiko Maas jetzt in einer aktuellen Studie (Akte Rosenburg) von der „Perversion des Rechts während der Nazi-Zeit und das Versagen der jungen Bundesrepublik bei deren Aufarbeitung…“. Aktuelle Untersuchungen zeigen: Dieses Versagen ist nicht auf die Justiz beschränkt. In Hamburg sorgten Alt-Nazis dafür, dass das NSDAP-Vermögen nach 1945 erneut gegen die Opfer unter Kontrolle der Stadt kam und Nazi-Richter nach 1945 einfach weitermachten. Und „Braune Geologen“, die in Nazi-Deutschland die Rohstoffe für den Krieg organisierten, wurden ungestört Präsidenten einer Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) und sorgten dafür, dass Atommüll im maroden Salzstock der ASSE versenkt wurde.
Braune Geologen
Erst vor wenigen Tagen haben die Tagesschau und die Süddeutsche auf diese Kontinuität bei den Geologen aufmerksam gemacht. Anlass dafür waren Hinweise, dass eine nach einem ehemaligen BGR-Präsidenten benannte Hans-Joachim-Martini-Stiftung möglicherweise mit Geldern aus der Wirtschaft auf Studienergebnisse der BGR Einfluss genommen haben könnte (siehe hier Tagesschau: Extra-Kasse statt Extra-Klasse). Ein Vorwurf, der es in sich hat, denn immerhin sind die staatlichen Ober-Geologen in vielen wichtigen Fragen am Start, sei es bei der Atommülllagerung, beim Fracking und auch bei Klimafragen. Brisant aber auch: Im Rahmen dieser Berichte wurden Journalisten und Politiker (erneut) darauf aufmerksam, wie sehr ehemalige BGR-Präsidenten in die Nazi-Geschichte und Kriegsführung involviert waren und später ungestört in ihre gewichtigen neuen Ämter kamen.
WDR-Journalist Jürgen Döschner berichtete in der Tagesschau über die „Aufarbeitung der NS-Vergangenheit“ und „Braune Geologen“. Der SWR sendete per Audio über den „Rohstoff-Raub“. Und in der Süddeutschen schrieb Michael Bauchmüller die Geschichte vom „Erdöl für den Führer“ und stellte fest: „Geologen waren in der NS-Zeit gefragt, weil sie die für den Krieg benötigten Rohstoffe suchen konnten. Nach dem Krieg setzten sie ihre Karrieren nahtlos fort – und die braune Vergangenheit wird bis heute totgeschwiegen.“
Namen wie Hans-Joachim Martini, Alfred Bentz und Gerhard Richter-Bernburg werden damit zum Thema. Erste Recherchen zeigen, dass diese Präsidenten der späteren BGR auf vielfältige und bedeutsame Weise mit ihrem geologischen Rohstoff-Knowhow in die Kriegsführung der Nationalsozialisten eingebunden waren. Auch der Linke Bundestagsabgeordnete Hubertus Zdebel hat über Hans-Joachim Martini Original-Dokumente veröffentlicht, die das unterstreichen.
- Die Bundesregierung reagiert inzwischen und hat erklärt, dass sich die Vertreter der BGR zumindest aus der Martini-Stiftung zurückgezogen haben. Eine unabhängige Historikerkommission soll nun auch die BGR und ihre braune Geschichte untersuchen. Die BGR wiederum hat auf ihrer Homepage einen entsprechenden Hinweis veröffentlicht – und gleichzeitig die Liste der bisherigen Präsidenten aus dem Netz genommen. Siehe dazu bei Hubertus Zdebel.
Die BI Lüchow-Dannenberg greift diese Recherchen auf und spricht von den „merkwürdigen „Traditionslinien“ der BGR„. Dort ist zu lesen: „Martini und Richter-Bernburg hatten die Atommülllagerung in dem ehemaligen Salzbergwerk Asse II befürwortet, das bekanntlich havariert ist – das geht aus dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Asse-Dilemma hervor und wird auch von Beuge (Sprecher der BGR, Anmerk. d. A.) nicht bestritten. Jahrelang hat die BGR – oft im Verbund mit der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) – auch an geologischen Expertisen gearbeitet, die die Eignungshöffigkeit des Salzstocks Gorleben-Rambow als nukleares Endlager belegen sollen. Diese Arbeit gipfelte in einer Eignungsaussage. Die fragliche Studie wurde im Geologischen Jahrbuch 2008 veröffentlicht.“
- Richter-Bernburg änderte seine Auffassung zur Atommülllagerung im Salz später. 1977 berichtete der Spiegel hier über entsprechende Warnungen von ihm in dem Artikel „Saftet schon„.
Hintergrund dieser Aussagen der BI LüDan ist der Verdacht, dass die Endlagerung in Salzstöcken vor allem aus den Arbeiten der ehemaligen Nazi-Geologen resultierte, die im Zweiten Weltkrieg nicht nur Rohstoffe für die Kriegsführung der Nazis suchten, sondern maßgeblich auch daran beteiligt waren, die wichtige Kriegsproduktion untertage zu verlegen. Hier werden Seilschaften vermutet, die in den späteren Jahren nicht Wissenschaft oder ähnliches in den Vordergrund des Handelns stellten, sondern im Dienst der Sache begutachtet wurde. In diesem Fall: Für den Einstieg und Ausbau der Atomenergie brauchte es schlicht Orte, in denen man den Atommüll vergraben konnte.
- Während des ASSE-Untersuchungsausschusses kam auch ein weiteres Thema am Rande auf. Nämlich die Frage, ob möglicherweise die radioaktiven Abfälle aus der Atomforschung in Nazi-Deutschland in dem Salzstock bei Wolfenbüttel beseitigt worden sind. Siehe dazu: Atommülllager ASSE: Strahlenschrott aus der Nazizeit und militärisches Erbe?
- UmweltFAIRaendern.de hat sich in einer Spurensuche vielfältig mit dem Thema Atom(waffen)forschung in Nazi-Deutschland befasst und hat dabei auch immer wieder die Rolle der damaligen Atomforscher in der frühen Bundesrepublik und dem Aufbau des bundesdeutschen Atomprogramms in den Blickwinkel gerückt. Nicht nur die Arbeiten der Gruppe um Heisenberg sind dabei zu nennen, sondern vor allem auch die Tätigkeiten von Kurt Diebner und seinen Forscher. Diebner war u.a. für das Heereswaffenamt eine zeitlang Quasi-Chef des sogenannten Uran-Vereins.
Nazi-Geschichte und Täter nach 1945 in der Hamburger Verwaltung
Doch nicht nur bei den Geologen kommt die Nazi-Vergangenheit und ihr ungestörtes weiteres Wirken in der jungen Bundesrepublik in den Blick. Auch auf anderen Feldern wird diese Geschichte verstärkt Thema.
„Die Stadt strich den Gewinn ein“ titelt Die Zeit und meint Hamburg und wie die Stadt sich mit ihren neuen Behörden nach dem Zweiten Weltkrieg das Nazi-Vermögen aneignete – auch und erneut zum Schaden von Nazi-Opfern. Darüber berichtet das Interview mit Marc-Simon Lengowski (Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg) und auch der Deutschlandfunk informiert über dieses Thema.
Lengowski berichtet in dem Zeit-Interview z.B., wie sich Stadt und Bund über das Nazi-Vermögen stritten und Hamburg seine Ansprüche erbittert verteidigte, – „auch gegen Rückerstattungsansprüche von Menschen, die vom NS-Regime verfolgt worden waren.“ Zeit-Autor Hauke Friederichs fragt nach Beispielen und bekommt zur Antwort:
„Die Finanzbehörde hat ein Grundstück aus dem NS-Vermögen übertragen bekommen. Dann meldete ein Mann Anspruch darauf an. Er war Jude, hatte das aber vor den Nationalsozialisten verheimlichen können. Als eine NS-Organisation ein Gelände von ihm kaufen wollte und einen niedrigen Preis bot, traute er sich nicht, das Geschäft auszuschlagen – aus Angst, jemand könne seine Identität überprüfen. Nun trägt er nach dem Krieg seine Situation den Hamburger Behörden vor. Dort stellen die Beamten fest, dass der damals gezahlte Preis zwar niedrig, aber gerade noch marktgerecht war. Eine Entschädigung wird abgelehnt. Als Zeugen nannte die Verwaltung ausgerechnet die ehemaligen Funktionäre aus der NSDAP. Die haben sich selbst bescheinigt, dass der Kauf damals völlig in Ordnung gewesen sei und sie niemanden unter Druck gesetzt hätten.“ (Es lohnt sich, das ganze Interview zu lesen.)
- Geschönte Geschichte – Die Hamburger Handelskammer im Nationalsozialismus
- Hamburgs Kaufleute und die Befreiung vom Faschismus: Die Todesmärsche der „KZ-Elendsgestalten“
Über „Hamburgs schreckliche Richter“ berichtete Die Zeit bereits im Juli: „Während der Nazizeit schickten Hamburgs Kriegsgerichte 227 Menschen in den Tod. Nach 1945 wurden die Opferfamilien vergessen – und die Täterjuristen blieben unbehelligt.“
- Stromkonzern im Nationalsozialismus – Zwangsarbeit bei HEW
- Nationalsozialismus: Zwangsarbeiter bei HEW – Kraftwerk Alt Garge – Einige parlamentarische Anfragen
Bundes-Justiz: Kontinuität und Versagen…
Über sein eigenes braunes Erbe hat jüngst auch das Bundesjustizministerium eine Studie vorgelegt: Die Akte Rosenburg – Das BMJV und die NS-Zeit. Bundesjustizminister Heiko Maas schreibt dort im Vorwort von der „Perversion des Rechts während der Nazi-Zeit und das Versagen der jungen Bundesrepublik bei deren Aufarbeitung…“. Die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die die Studie zur Aufarbeitung der Justiz-Geschichte in Auftrag gegeben hatte, spricht laut DLF davon: „Es gab sehr große Kontinuitäten“.
Zu lesen ist dort u.a.: „Von 170 Juristen, die zwischen 1949 und Anfang der 70-er Jahre in Leitungspositionen gewesen seien, gehörten 90 der NSDAP an, 34 von ihnen zugleich der SA. Viele von ihnen hätten auch als Richter bei Sondergerichten gewirkt und seien damit verantwortlich für Todesurteile. Später hätten sie als Abteilungsleiter, Unterabteilungsleiter oder Referatsleiter im Bundesjustizministerium gearbeitet. So sei etwa ein Mitarbeiter, der an den Rassegesetzen der Nazis mitgewirkt habe, später für Familienrecht zuständig gewesen.“ Weitere Berichte dazu im Blog des ARD-Hauptstadtstudios und hier beim Deutschlandfunk.
- Siehe auch: Das Nazi-Verbrechen geht weiter: Richter und die Verweigerung der Ghetto-Rente
- Erinnert sei an dieser Stelle noch an den Film „Der Staat gegen Fritz Bauer“, hier in einer Besprechung beim DeutschlandRadioKultur.
Es werden in vielen Politikfeldern neue und alte Fragen nach den Kontinuitäten der Nazi-Geschichte gestellt und betrachtet. Das fällt vielen vermutlich heute leichter, weil die meisten Akteure aus damaliger Zeit inzwischen gestorben sind. Allerdings darf das nicht dazu führen, diese Geschichte als Vergangen zu betrachten. Die Frage, in welcher Weise die Nazi-Verbrecher in der Bundesrepublik weiter an altem und neuem Unrecht gearbeitet haben, verdient in jedem Fall große Aufmerksamkeit. umweltFAIRaendern wird sich dem Thema weiterhin stellen.
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