Atomanlagen stilllegen im konsensorientierten Dialog: Neuer Bericht und Gutachten aus Geesthacht

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Dialog-Gruppe zum Rückbau der ehemaligen Atomanlage der GKSS mit Geesthachts Bürgermeister Olaf Schulze und dem Ersten Stadtrat Dr. Georg Miebach (Mitte links) bei der Sitzung am 24. Oktober.

Östlich von Hamburg findet statt, was als Anregung für viele Atomstandorte gelten könnte: Ein konsensorientierter Dialog über die Stilllegung einer Atomanlage. So jedenfalls haben Betreiber und eine Begleitgruppe es miteinander vereinbart, um die ehemalige Atomforschungsanlage der GKSS in Geesthacht stillzulegen. Bereits seit vier Jahren findet dieser Dialog mit dem Helmholtz-Zentrum-Geesthacht (HZG) statt. In einem weiteren gemeinsamen Newsletter berichtet der Dialog-Kreis jetzt über aktuelle Ergebnisse seiner Arbeit und stellt dazu ein weiteres Gutachten des Experten Wolfgang Neumann online, der in Fachfragen die Begleitgruppe als externer Sachverstand berät. Der Dialog-Prozess hatte sich mit der Frage beschäftigt, ob statt eines kompletten Rückbaus der ehemaligen Atomanlage der Teileinschluss des Reaktorpools Vorteile bringen könnte. Außerdem Thema: Die Konditionierung von radioaktiven Materialien und die damit verbundenen Atomtransporte. Die Auslegung der Antragsunterlagen im Genehmigungsverfahren für die Stilllegung wird für das letzte Drittel im November erwartet.

UmweltFAIRaendern (*) dokumentiert den Newsletter, der hier im Original auf der Dialog-Seite online ist. Dort finden sich auch weiter Informationen:
HZG im Dialog –  Newsletter Oktober 2016 der Begleitgruppe „Stilllegung Atomanlagen des HZG (ehem. GKSS)“ und des Helmholtz-Zentrums Geesthacht
Eines der Anliegen des HZG-Dialogs ist es, schon im Vorfeld Fragen zu beleuchten, die an anderen Atomstandorten erst im Erörterungsverfahren und sogar im Anschluss daran gerichtlich geklärt werden müssen. Ziel ist es, gemeinsam akzeptierte Lösungen zu finden. Um dafür eine fachliche Grundlage zu schaffen, wurden in der Vergangenheit bei verschiedenen Themen in dem konsensorientierten Dialog externe Experten hinzu gezogen. Damit die Entscheidungsprozesse transparent werden, sind die hierfür erstellten Gutachten über die Homepage des HZG veröffentlicht. Zu zwei weiteren diskutierten Themen ist jetzt ein Gutachten des unabhängigen Wissenschaftlers Wolfgang Neumann abrufbar.

Teileinschluss des Reaktorpools
An allen Standorten, an denen Atomanlagen rückgebaut werden, stellen Bürgerinitiativen die Frage, ob es zu den Plänen der Betreiber Alternativen gibt. Insbesondere für die grundlegende Rückbaustrategie – Einschluss oder Rückbau – fordern sie eine Prüfung und Abwägung von Vor- und Nachteilen. Eine derartige Prüfung ist im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren jedoch nicht verpflichtend vorgesehen.
Im Gegensatz dazu wurde schon zu Beginn des HZG-Dialoges auf Wunsch der Begleitgruppe der unabhängige Gutachter Wolfgang Neumann mit einer solchen Alternativenprüfung beauftragt. Basierend auf seinem Gutachten hatte die Begleitgruppe dem Antrag des HZG auf „sofortigen Rückbau“ in seinen wesentlichen Aussagen zugestimmt.
Offen blieb dabei, ob nicht ein Teileinschluss des Reaktorpools den Vorteil bieten könnte, durch längere Abklingzeiten Atommüll zu vermeiden und die Strahlenbelastung für das Rückbaupersonal zu reduzieren.
Das HZG kommt jedoch nach eingehender Prüfung unter anderem auch durch ein externes baustatisches Gutachten zu vier wesentlichen Gründen, die gegen die Möglichkeit eines Teileinschlusses sprechen:

  • Es ist keine bauphysikalische Lebensdauerbetrachtung (Standsicherheitsnachweis) für die Reaktorbecken möglich.
  • Im Genehmigungsverfahren kann von der Behörde die Auslegung des Einschlusses gegen Flugzeugabsturz gefordert werden.
  • Für den Betrieb des Einschlusses wären Lüftungsanlage, Abwassersammelsystem und Infrastruktureinrichtungen erforderlich, die nach atomrechtlichen Vorgaben instandgehalten werden müssen.
  • Durch den Einschluss entsteht ein Personalkompetenzverlust.

Auf Wunsch der Begleitgruppe hat der unabhängige Gutachter Wolfgang Neumann diese Einschätzungen überprüft. In Bezug auf den Standsicherheitsnachweis kommt er auf Grundlage der von HZG für diese Überprüfung zur Verfügung gestellten Unterlagen zu den baulichen Gegebenheiten des Reaktorbeckens ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die Option eines Teileinschlusses nicht weiter verfolgt werden sollte. Die drei weiteren Gründe werden nicht als ausreichend schwerwiegend angesehen.
Reduktion von Atomtransporten durch den Einsatz mobiler Konditionierungsanlagen
In einem zweiten Teil seines Gutachtens regt Neumann an, die Möglichkeit des Einsatzes mobiler Konditionierungsanlagen am Standort Geesthacht zu prüfen. Da jeder Atomtransport ein potentielles Risiko darstellt, ist es der Begleitgruppe wichtig, dass die notwendigen Transporte auf ein Mindestmaß reduziert werden. Im Rahmen des Rückbaus fallen dabei unter anderem Transporte in Anlagen zur Konditionierung der Abfälle (z.B. in Jülich, in Karlsruhe oder im schwedischen Studsvik) für die spätere „Endlagerung“ an.
Diese Transporte ließen sich durch den Vorort-Einsatz mobiler Konditionierungsanlagen reduzieren. In den ursprünglichen Planungen des HZG war die Nutzung derartiger Anlagen nicht vorgesehen. Eine Prüfung auf Wunsch der Begleitgruppe ergab, dass die derzeit verfügbaren Anlagen aus Platz- und Gewichtsgründen in den Kontrollbereichen des HZG nicht einsetzbar sind. Diese Einschätzung wird in dem Gutachten von Wolfgang Neumann bestätigt.
Ergänzend schlägt er allerdings vor, für einen Teil der radioaktiven Abfälle die Nutzung möglicher Konditionierungsanlagen im Atomkraftwerk Krümmel zu erwägen. Dadurch würde sich die Transportstrecke verkürzen.
Das Thema Atomtransporte wird den Begleitprozess noch länger beschäftigen. Bei den kommenden Diskussionen wird dabei auch die Auswahl der Konditionierungsanlagen eine Rolle spielen. Neben anderen, rein sicherheitstechnischen Erwägungen ist dabei die Reduktion der Transportstrecken ein ausschlaggebender Punkt.
Die Stellungnahme von Wolfgang Neumann und weitere Informationen hier.
(*) Der Autor ist Mitglied des Dialog-Prozesses.

Dirk Seifert

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