Könnte Deutschland Atomwaffe?

Könnte Deutschland Atomwaffe?

In der FAZ wurde als Reaktion auf eine drohende neue US-Außen- und Sicherheitspolitik unter Trump die Frage aufgeworfen: Müssen wir „das für deutsche Hirne ganz und gar Undenkbare, die Frage einer eigenen nuklearen Abschreckungsfähigkeit, welche die Zweifel an Amerikas Garantien ausgleichen könnte„, denken? Eine eigene, eine deutsche Atomwaffe? Diese Frage hat eine Diskussion und vielfältige Reaktionen ausgelöst. Die Zeit schreibt jetzt: „Atommacht D? Warum Deutschland die Bombe nicht will und sie auch nicht bauen kann“. Ist das so?
In sehr grober Überblicksform geht Josef Joffe in der Zeit durch die deutsche Nuklear-Geschichte seit den 50er Jahren. Über die Frage einer deutschen Atombewaffnung sei damals nachgedacht worden, wenn auch „unartikuliert und verdruckst“, wie Joffe meint. Verzichtet habe man schließlich, weil ohne die Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrages eine neue Ost- und Deutschlandpolitik in der Ära Brandt nicht möglich gewesen wäre.

Aber: Alle notwendigen Atomanlagen wären in Deutschland vorhanden gewesen. Schnell hätte die Bundesrepublik von der zivilen zur militärischen Nutzung umsteigen können: „Uran-Anreicherung, Brennelemente, Wiederaufarbeitung, die Plutonium vom Atommüll trennt, schließlich der „Schnelle Brüter“, der mehr spaltbares Material erzeugen sollte, als im Betrieb verbraucht wird. Wer von der nuklearen Option träumte, wusste, dass Plutonium eine Rückversicherung hergab. Es konnte zu Brennstäben verarbeitet werden, aber – irgendwann – auch zum Bombenstoff. In der Ära Schmidt war alles beisammen, was der friedlichen Nutzung diente, aber theoretisch auch eine Militäroption zuließ“, so Joffe in der Zeit.

  • Für einiges Aufsehen sorgte jüngst die Weigerung der Bundesregierung, sich an den Verhandlungen für einen Atomwaffen-Verbotsantrag zu beteiligen, die im März beginnen. Der Spiegel berichtet darüber: „Deutschland wird nicht an den Verhandlungen zu einem Verbotsantrag von Nuklearwaffen im März teilnehmen. In einem Brief an Nichtregierungsorganisationen begründete das Auswärtige Amt die Entscheidung damit, dass ein Vertrag wirkungslos bleibe, sofern die Länder mit Atomwaffen nicht eingebunden seien. Zwar teile die Bundesregierung das „Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt“, ein sofortiges Verbot halte sie aber nicht für geeignet.“ Siehe dazu auch hier, und Atomwaffen ächten, siehe hier ICAN.
  • Hans Jörg Fell hat jüngst auf seiner Homepage „Recherchen zu Atomforschung in Deutschland“ veröffentlicht. „Umfangreiche Recherchen einer anonymen Gruppe, die klar belegt mit öffentlich zugänglichen Quellen zusammengetragen, wie in Deutschland an Atomreaktoren und -waffenmaterialien geforscht wird.“ Die Rede ist vom Karlsruher KIT und dem Institut für Transurane. Der Text dieser Gruppe hat die Überschrift: „Thorium – die halbe Wahrheit ist die größte Lüge oder der unerkannte Weg zu atomwaffenfähigem Uran-233“.

Diese „Dual-use“-Möglichkeiten der Nutzung der Atomenergie haben der Bundesrepublik in der Außen- und Sicherheitspolitik immerhin einen Status der Atommacht im Wartestand gebracht. Man hatte auf die eigene Atomwaffe verzichtet, hätte sie aber jederzeit realisieren können. Die Infrastruktur war vorhanden.

Wenn heute aber das „Undenkbare“ gedacht werden solle, so Joffe weiter, dann müsse man jetzt feststellen: „Heute ist die „nukleare Option“ weder Träume noch Albträume wert, weil Deutschland schlicht nicht mehr hat, was gebraucht wird. Der Brüter ist weg, die Wiederaufarbeitung und die Brennelement-Fabrik sind es auch. Warum? Weil sich seit den Achtzigern eine wütende Protestwelle gegen alles Atomare über das Land ergoss. Der jüngste Höhepunkt war Fukushima, als die Kanzlerin das letzte Glied in der Kette zerschnitt. Im Jahr 2022 geht der letzte Atommeiler vom Netz.“

Richtig ist: Der Weg zur Plutoniumbombe ist den Deutschen derzeit versperrt bzw. fehlen die Anlagen dafür. Restbestände von separiertem Plutonium wurden zuletzt aus Karlsruhe in die USA transportiert. Ob und wie viel Plutonium noch in Deutschland lagert ist unklar, aber viel dürfte es nicht mehr sein.

Was aber bleibt: Im westfälischen Gronau steht die Technik für eine Uranbombe. Unter dem Dach der URENCO wird dort Uran für die Herstellung von Brennstoff für den Einsatz in Atomreaktoren angereichert. Auf Basis von Ultrazentrifugen, wie sie z.B. auch in der umstrittenen Anlage im Iran im Einsatz sind, werden dort für den Reaktorbetrieb Anreicherungen des spaltbaren Uran 235 zwischen 3-5 Prozent betrieben. Dies könnte aber mit relativ geringem technischen Aufwand sehr schnell verändert werden, so dass auch Anreicherungen von über 80 Prozent erfolgen könnten. Wolfgang Liebert, Professor am Wiener Institut für Sicherheits- und Risikowissenschaft, stellte vor einiger Zeit gegenüber der Wochenzeitung Freitag fest: „Obwohl es sehr unwahrscheinlich ist, dass das in Gronau passiert: Wenn man die Verschaltung für einen kleineren Teil der Zentrifugen ändert und das geschickt anstellt, könnte man innerhalb von wenigen Wochen hoch angereichertes Uran für eine oder mehrere Kernwaffen produzieren. Vielleicht fällt das nicht einmal auf.“ (siehe dazu in dem folgenden Link:)

Der Ausgangsstoff für eine Uran-Waffe wäre damit in Deutschland weiterhin herstellbar. Es braucht sicher mehr als nur hochangereichertes Uran zum Bau einer militärisch nutzbaren Atomwaffe, aber mit der zum URENCO-Konzern gehörenden Anlage in Gronau wäre zumindest für diese Art einer Atomwaffe die Technik vorhanden.

Das Undenkbare denken? Noch schwieriger ist es in Deutschland, darüber zu sprechen! Immer mehr Studien erscheinen in den letzten Jahren, die die deutsche Politik in den 1950er und Folgejahren untersuchen und sich der Frage nach einer Atomwaffen-Option in der damaligen Politik annehmen. Wie heikel und umstritten das ist, zeigte sich noch im Jahr 2000, als Roland Kollert aus Anlass des 40 jährigen Bestehens der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) eine Untersuchung zu  den militärischen Motiven des deutschen Atomprogramms vorlegte:

Joffe zeigt auf, dass bis zu den 1970er Jahren alles an Technik vorhanden war, um nicht nur AKWs zu betreiben, sondern im Zweifelsfall auch ein Atomwaffenprogramm in Gang zu setzen. In den 1980/90er Jahren brach die Fähigkeit zum Bau einer Plutoniumwaffe dann weitgehend zusammen. 2005 folgte dann auch noch das Verbot für die Wiederaufarbeitung bestrahlter Brennelemente im Ausland. Wiederaufarbeitung war nur ein anderes Wort für die Abtrennung und Separierung von Plutonium.
Was aber geblieben ist: Die Urananreicherung in Gronau ist zumindest als technische Möglichkeit eine Option zum Bau einer deutschen Uranwaffe.

Dirk Seifert

2 Gedanken zu “Könnte Deutschland Atomwaffe?

  1. Die Atomenergiepolitik seit der Nazizeit ist ein Beispiel für omnipotentes Machtstreben. Dieses Machtstreben ist noch längst nicht vorbei. Dazu gibt es zwei deutsche Atomkrimis, in denen vermittelt wird, wie sich bis heute fast eine automatische Kette in Wissenschaft und Forschung gebildet hat.
    „Die unheimliche Logik des Halma“ ( 978-3-86622-101-) und die unheimliche Stralgraft des GRAL (ISBN 878-3-86622-103-1) von Wolf Schluchter

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