Entscheidung zur Wärmeversorgung Hamburg: Neue Fernwärmetrasse könnte Rekommunalisierung kippen
Die Entscheidung, wie das marode und klimaschädliche Heizkraftwerk in Wedel zur Fernwärmeversorgung in Hamburg ersetzt wird, steht demnächst an. Die Vorbereitungen für den Bau einer neuen Fernwärmetrasse vom Hamburger Süden durch den Hafen in Richtung Othmarschen und Bahrenfeld sind angelaufen. Eine Investitionsentscheidung bei Hamburg Wärme steht im Oktober/November auf dem Plan. Vattenfall hält 74,9 Prozent, die Stadt Hamburg bislang 25,1 Prozent. Bevor Hamburg Wärme entscheidet, findet am 7. September die neunte öffentliche Sitzung des Energienetzbeirats statt. Zwei Anträge liegen zur Sitzung auf dem Tisch, die deutlich machen, worum es geht: Fernwärmeversorgung mit oder ohne Vattenfall und das Kohlekraftwerk Moorburg. Die Entscheidung dürfte maßgeblichen Einfluss auf die Rekommunalisierung der Fernwärme haben, die nach dem Volksentscheid „Unser Hamburg – Unser Netz“ ansteht.
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Der ehemalige Vattenfaller und heutige Vertreter der Handelskammer im Energienetzbeirat, Dietrich Graf, will die Klimabilanz der Wedel-Alternativen mit Moorburg bewertet wissen (PDF). Der Antrag ignoriert im Kern die Beschlusslagen in der Hansestadt: Nach dem Volksentscheid „Unser Hamburg – Unser Netz“, nach dem auch die Fernwärme demnächst rekommunalisiert werden muss, schließt Kohle in der Wärmeversorgung grundsätzlich aus. Darüber hinaus ist auch der rot-grüne Koalitionsvertrag gegen eine Berücksichtigung von Kohle in der Fernwärme. Eine vorzunehmende Klima-Betrachtung der derzeit behandelten Alternativen ist sinnvoll. Moorburg darf dabei aber keine Rolle spielen.
Ein weiterer Antrag vom BUND Hamburg (PDF, siehe unten) spricht sich entschieden gegen eine Planung aus, bei der das Klimamonster Moorburg zugunsten von Vattenfall wirtschaftliche Vorteile erhält und künftig mehr klimaschädliche Wärme verkaufen kann. Der Antrag vom BUND spricht sich vor dem Hintergrund der bestehenden Alternativ-Betrachtungen im Ergebnis dafür aus, die mit einem Süd-Szenario verbundene neue Fernwärmeleitung nicht zu bauen, sondern die Nord-Variante umzusetzen, die nicht nur Moorburg außen vor hielte, sondern auch einen schnelleren Ersatz von Wedel ermöglichen würde.
Nach derzeitigen Behörden-Planungen ist davon auszugehen, dass sich der rot-grüne Senat hinter die Vattenfall-Variante mit dem Neubau einer teuren Fernwärmeleitung stellen wird. Das könnte mit Blick auf die anstehende Entscheidung zur Rekommunalisierung der Fernwärmeversorgung vor dem Hintergrund des Volksentscheids „Unser Hamburg – Unser Netz“ erhebliche Folgen haben: Die Kosten für die neue Leitung müssten bei einer Übernahme dann ebenfalls von der Stadt getragen werden. Ob das aber dann noch wirtschaftlich darstellbar ist, kann angezweifelt werden.
Bis spätestens zum 19. Januar soll Vattenfall laut der Antwort des Senats aus eine Kleine Anfrage des LINKEN-Abgeordneten Stephan Jersch (Drucksache 21/9466, PDF) mitteilen, welchen Unternehmenswert die Fernwärme haben soll. Die Gespräche dazu haben laut Senat bereits begonnen: „Mit Vattenfall sind Gespräche aufgenommen worden, um schon in diesem Jahr eine Verständigung auf einen Schiedsgutachter zu erzielen, dessen Aufgabe die Bestimmung des Unternehmenswertes wäre, wenn die HGV den von Vattenfall unterbreiteten Vorschlag nicht akzeptiert.“ Spätestens Ende Januar bzw. im Februar 2018 dürfte dann möglicherweise schon Klarheit darüber bestehen, ob Hamburg der Verpflichtung des Volksentscheids folgt und nach dem Strom- und dem Gasnetz auch die Fernwärme von Vattenfall zu 100 Prozent übernimmt.
Klar dürfte angesichts der Bedeutung dieser Frage (verbindliche Umsetzung des Volksentscheids) sein, dass nicht allein die grün geführte Umweltbehörde mit Vattenfall am Tisch sitzt, sondern auch die SPD mit ihren zuständigen und meist mächtigeren Behörden. Bürgermeister Scholz hat zwar versprochen, den Entscheid umzusetzen, aber dabei spielen auch haushaltsrechtliche Rahmenbedingungen eine Rolle. Stimmen die nicht, kann er die Übernahme abblasen. Auch seitens der CDU- und FDP-Fraktion erhält Vattenfall trotz des verbindlichen Volksentscheids Unterstützung (siehe den Link oben).
Es liegt auf der Hand, dass eine Investionsentscheidung für die neue Fernwärmetrasse also auch den Unternehmenswert belasten würde und damit die Umsetzung des Volksentscheids zur Rekommunalisierung gefährden kann. Doch von dieser enormen Bedeutung spricht von Seiten der grünen und sozialdemokratischen Fraktionen in der Bürgerschaft bzw. von SenatsvertreterInnen derzeit niemand. Vattenfall dürfte das gefallen.
umweltFAIRaendern.de dokumentiert den BUND-Antrag im Energienetzbeirat:
Der Energienetzbeirat möge beschließen: Der Energienetzbeirat empfiehlt nach Abwägung der vorliegenden Gutachten und Expertenmeinungen der Behörde für Umwelt und Energie (BUE) die Kombination verschiedener Erzeugungsanlagen nördlich der Elbe (Nord-Szenario) als beste Möglichkeit, das veraltete Kohlekraftwerk am Standort Wedel zu ersetzen.
Begründung:
Der Ersatz des Kraftwerkes in Wedel mit einem Nordszenario bietet folgende Vorteile:
- Ein Nord-Szenario ist schneller umzusetzen. Damit würde ein früheres Abschalten des alten Kohlekraftwerkes Wedel möglich. Dies käme
- dem Klimaschutz, der Verminderung des Schadstoffeintrages im Westen Hamburg und den Anliegern in Wedel direkt zu gute.
- Der teure Bau einer Elbquerung mit einer ggf. strittigen Trassenführung im Bezirk Altona würde entfallen. Damit wäre zudem eine wie immer geartete Einspeisung von Wärme aus dem Kohlekraftwerk Moorburg in das Fernwärmenetz der VWH verhindert. Dies entspräche den Vereinbarungen des Koalitionsvertrages „Zusammen schaffen wir das moderne Hamburg“, der zufolge ein Neuanschluss kohlebefeuerter Erzeugungsanlagen an das städtische oder andere Wärmenetze ausdrücklich nicht unterstützt werden soll.
- Nach Einschätzung der Beratungsgesellschaft LBD, die von der BUE mit einer Bewertung der Handlungsoptionen zur Ablösung des HKW Wedel beauftragt wurde, liegt mit dem Szenario Nord C eine ökonomisch darstellbare Lösung (Wärmekosten inkl. Infrastruktur) mit einem vergleichsweise hohen Anteil an erneuerbarer Wärme (EE-Anteil ca. 50 %) vor (siehe Präsentation auf der 07. Energienetzbeiratssitzung vom 11. Mai 2017).
- Das Nordszenario entspricht größtenteils der Vorzugsvariante, die bereits im sogenannten „BET-Prozess“ im Jahre 2015-2016 vom Gutachterbüro BET zusammen mit unabhängigen Experten der Hamburger Fernwärme als bestmögliche Lösung für den Wedel-Ersatz erarbeitet wurde.
- Der Einsatz von Erdgas-KWK-Lösungen (z. B. „Kieler Modell“ – während der 7. Energienetzbeiratssitzung am 11. Mai 2017 vorgestellt) bietet die Möglichkeit, eine modulare und damit flexible Erzeugung aufzubauen, die perspektivisch für den Einsatz von mit Windstrom gewonnenem Wasserstoff offen ist (Power-to-Gas-Lösung). Damit ließe sich mittelfristig der Anteil an EE in der Wärmebereitstellung imNord-Szenario wesentlich stärker erhöhen als bei einem Süd-Szenario.
- Mit der Umsetzung eines Nord-Szenarios werden die Vorgaben des Volksentscheides zur Rekommunalisierung konsequent umgesetzt. Die identifizierten EE-Wärme-Potenziale des Süd-Szenarios könnten weiterhin südlich der Elbe genutzt werden.
Manfred Braasch, BUND Hamburg, 17.08.2017