Hochradioaktiver Atommüll: Wie lange hält der Castor dicht? USA haben nachgesehen

Hochradioaktiver Atommüll: Wie lange hält der Castor dicht? USA haben nachgesehen

Die Zwischenlagerung hochradioaktiver Atomabfälle wird deutlich länger als die bislang genehmigten 40 Jahre dauern. Für diesen Zeitraum haben staatliche Stellen und Gutachter den zur Zwischenlagerung eingesetzten Castor-Behältern Sicherheit attestiert. Das meint: Die Behälter bleiben dicht, die Einbauten und die Brennelementehüllen stabil. Doch was tatsächlich mit und in solchen Castorbehältern passiert, ist kaum bekannt. Bislang gibt es nur sehr wenige reale Untersuchungen, die Auskunft darüber geben können, ob Annahmen und Rechenmodelle mit der Realität übereinstimmen – oder nicht. Nachgesehen wurde bislang kaum. Ein mit abgebrannten Brennelementen beladener Castor ist 2000/2001 nach einer Lagerzeit von 15 Jahren in den USA geöffnet und untersucht worden. In Deutschland werden nicht nur abgebrannte Brennelemente, sondern auch hochradioaktive Glaskokillen zwischengelagert. (Foto: Castor im Zwischenlager Brunsbüttel, Vattenfall)

In Deutschland wird die Zwischenlagerung erst seit Mitte der 2000er Jahre als Standardmodell betrieben. Vorher wurden die bestrahlten Brennelemente aus den Reaktoren zur Wiederaufarbeitung transportiert. Zurück kam hochradioaktiver Müll, der in Glaskokillen eingeschmolzen wurde und vor allem in Gorleben zwischengelagert wird. In den letzten Jahren ist klar geworden, dass die Zwischenlagerung hochradioaktiver Atomabfälle weit über die bislang genehmigten 40 Jahre hinaus dauern wird. Einige Fachleute sprechen sogar von möglichen 100 Jahren, die die hochradioaktiven Brennelemente bzw. Glaskokillen oberirdisch in ihren Castoren verbleiben und erst dann – vermutlich in andere Behälter verpackt – in einem Untertage-Lager versenkt werden können.
Mit der Laufzeitverlängerung für die Zwischenlagerung stellt sich insgesamt eine Vielzahl von Sicherheitsfragen (siehe unten), denn Behälter und Einbauten müssen deutlich länger die harte radioaktive Strahlung und den Neutronenbeschuss aushalten. Auch die Hüllrohre der Brennelemente müssen längeren Belastungen standhalten, damit das in ihnen enthaltene Uran-Plutonium-Gemisch nicht zu Boden fällt und im schlimmsten Fall zur kritischen Masse wird. Rekritikalität könnte dann sogar zu Explosionen im Behälter führen.
Doch schon bei den genehmigten 40 Jahren Zwischenlagerung ist festzustellen, dass die Sicherheitsnachweise vor allem auf Erfahrungen und Rechenmodellen basieren. Ob diese tatsächlich mit der Wirklichkeit im Einklang stehen, ist weitgehend unbekannt, denn nur in sehr wenigen Fällen wurde auch real nachgeschaut. Bislang halten die Castoren weitgehend dicht. In Deutschland hat es reale Untersuchungen bis heute nicht gegeben. Um real zu prüfen, wie sich der Behälter und sein Inhalt über die Jahre verändern, wären sogenannte Heiße Zellen erforderlich. Die aber gibt es nicht an den AKW-Standorten oder den anderen Zwischenlagern.
In der wissenschaftlichen Literatur wird vielfach auf einen der wenigen Fälle Bezug genommen, bei denen ein Castor-Behälter in den USA zu Prüfzwecken geöffnet wurde. In einem Diskussionspapier der Entsorgungskommission (PDF) aus dem Oktober 2015 wird mitgeteilt, dass „in den USA ein beladener CASTOR®-V/21-Behälter nach 15 Jahren geöffnet, inspiziert und dies als Nachweis des einwandfreien Zustands der Brennelemente (Abbrand bis zu 45 GWd/tSM) und des Behälters akzeptiert wurde, um eine bestehende 20-jährige Lagergenehmigung zu verlängern [18].“ (Seite 9) Bezug genommen wird dabei auf die 2001 veröffentlichte Studie „Dry Cask Storage Characterization Project-Phase 1: CASTOR V/21 Cask Opening and Examination„(PDF, auch hier online). Die Untersuchungen fanden statt im Idaho National Environmental and Engineering Laboratory (INEEL), USA.

Der Physiker Wolfgang Neumann von der INTAC Hannover nahm 2014 in einer Studie für Greenpeace (PDF) Bezug auf die Untersuchungen in den USA und stellte dazu fest: „In den USA wurde die Zwischenlagerung in Transport- und Lagerbehältern mit einem Forschungsprogramm begleitet. In diesem Rahmen wurde ein Behälter nach 15 Jahren Zwischenlagerung geöffnet. An Primärdeckeldichtung, Nickelbeschichtung des Behälterinnenraumes und am Tragkorb wurden Defekte gefunden. Am Tragkorb gab es auch Risse [INE 2001]. Die Defekte wurden zwar als nicht direkt sicherheitsgefährdend bezeichnet, sie zeigen aber, dass diese Einbauten nicht mehr im Zustand vor der Beladung waren. Die jeweiligen Ursachen für die Defekte wurden vermutet, konnten aber nicht belastbar ermittelt werden. Bei den Brennelementen fanden sich Längenveränderungen von Brennstäben, Durchbiegungen von Brennelementen und nicht erwartete Oxidschichtbelege auf ihren Oberflächen [INE 2001]. Die Untersuchung der Integrität einiger Brennstäbe ergab keine auffälligen Befunde [CONLEY 2003].“
Neumann verweist in der Studie auch darauf, dass sich die in den USA festgestellten Ergebnisse nicht direkt auf die Situation in Deutschland übertragen lassen. „Die Ergebnisse aus den USA lassen keine direkten Schlüsse für die Zwischenlagerung in der Bundesrepublik zu, da sich Brennelemente und Lagerbedingungen unterscheiden und das näher untersuchte Brennelement einen relativ geringen Abbrand hat. Die hier zwischengelagerten Brennelemente sind aufgrund des höheren Abbrands und weil es sich teilweise um Mischoxid-Brennelemente handelt, als problematischer anzusehen. Insofern müsste aus den Untersuchungen in den USA eher eine Empfehlung zur Kontrolle auch in der Bundesrepublik abgeleitet werden.“
Als Fazit stellt Neumann fest: „Die bisher bekannten Untersuchungen zu den Effekten im Behälterinnenraum sind unzureichend. Vor allem sind die teilweise durchgeführten theoretischen Berechnungen nicht durch praktische Untersuchungen verifiziert und schon gar nicht validiert.“ (Seite 17)
In der genannten Studie gibt Wolfgang Neumann in einem Kapitel einen Überblick, welche Anforderungen hinsichtlich des Langzeitverhaltens von Behälter und Inventar von Bedeutung sind. Deshalb dokumentiert umweltFAIRaendern dieses Kapitel im Anschluss:
Dokumentation: Auszug Wolfgang Neumann, Intac: Heiße Zellen für Zwischenlager (Seite 13-17, Studie 2014 im Auftrag von Greenpeace)
„5.2 Langzeitverhalten von Behälter und Inventar
Mit zunehmender Zwischenlagerdauer ist von einer Veränderung der Materialien bzw. des Zustandes von Behältereinbauten und Brennelementen bzw. Kokillen auszugehen. Dies kann Auswirkungen auf die Sicherheit der Zwischenlagerung, des späteren Transports und bei der Entladung oder sonstigen Vorbereitung von Brennelementen und Kokillen für die Endlagerung haben. Betriebserfahrungen im Sinne einer praktischen Überprüfung gibt es diesbezüglich für die trockene Zwischenlagerung in der Bundesrepublik Deutschland nicht. Im verschlossenen Behälterinnenraum bestehen Inventar und Behältereinbauten aus vielen unterschiedlichen Materialien. Zusammen mit den vorhandenen Gasen und den nach der Behälterbeladung verbliebenen Rückständen kann eine Vielzahl chemischer Reaktionen auftreten. Bei den Rückständen kann es sich zum Beispiel um Borsäure, Verunreinigungen wie Kupferspuren, Halogenradikale oder Halogenide, Chlor und Fluor, Spaltprodukte aus defekten Hüllrohren handeln, deren Wirkung im Zusammenwirken mit den hohen Temperaturen verstärkt werden kann [UIM 2001]. Die chemischen Reaktionen können zu Materialschwächung in den betroffenen Bereichen von Einbauten und Strukturen führen.
Darüber hinaus sind Einbauten und Inventar während der Zwischenlagerung ionisierender Strahlung, darunter Neutronenstrahlung, ausgesetzt. Dies verursacht Versprödung und damit Schwächung von Materialien und steht in Wechselwirkung mit den chemischen Reaktionen.
Sicherheitstechnisch relevant sind Material- und Zustandsänderungen vor allem an Primärdeckeldichtung, Tragkorb zur Aufnahme von Brennelementen oder Kokillen, Behälterinnenwand, Neutronenabsorber sowie Inventar (Brennelement oder Kokille).
Primärdeckeldichtung
Die Primärdeckeldichtung ist vielfachen Belastungen und Einflüssen ausgesetzt. Es sind dies

  • Mechanische Belastungen durch Zusammenpressung und Ermüdung des Dichtungswerkstoffes, durch Verdrallen oder Verschieben der Dichtungen beim Verschließen des Deckels, durch Ablagerungen oder Verunreinigungen auf der Dichtfläche vor dem Verschließen sowie durch Erschütterungen bei Handhabung und Transport der Behälter.
  • Thermische Belastungen durch die von den Brennelementen bzw. Kokillen abgegebene Wärme.
  • Versprödung der Dichtungswerkstoffe durch die aus den Brennelementen bzw. Kokillen abgegebene Neutronen- und Gammastrahlung.
  • Korrosion des Dichtungsmaterials durch Restfeuchte im Behälter bzw. aus den Brennelementen und vorhandenen gas- oder aerosolförmigen Stoffen.

Ursache und Auswirkungen der Belastungen sind ausführlich beschrieben in [UB 2002]. Zu einem Teil der oben genannten Effekte werden bei der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung Untersuchungen durchgeführt [WOLF 2014]. Da-bei wird aber von postulierten Umgebungsbedingungen ausgegangen, die nicht den realen entsprechen müssen.
Tragkorb
Der Tragkorb hat die Aufgabe, die Brennelemente bzw. Kokillen im Behälter zu fixieren. Damit soll deren Unversehrtheit bei Handhabung und Transport des Behälters sowie die geordnete Endladung für die Endlagerung gewährleistet werden. Bei den Brennelementen hat der Tragkorb zusätzlich Aufgaben zur Verhinderung von Kritikalität. Daraus folgt, dass Materialschwächungen oder -schäden besonders negative Auswirkungen haben können.
Schäden können am Tragkorb vor allem durch Korrosion und mechanische Belastungen (z.B. bei Beladung oder durchgeführtem Transport) auftreten. Beides kann auch Risse an Schweißnähten verursachen, die durch Erschütterungen bei Handhabung und Transport der beladenen Behälter initiiert oder verstärkt werden können.
Behälterinnenwand
Zur Vermeidung von Korrosion der Behälterwand ist diese bei Behältern für bestrahlte Brennelemente im Innenraum mit einer Nickellegierung beschichtet. Bei der Beladung der Behälter mit den Brennelementen kann es zu Beschädigungen kommen. Kommt es an diesen Stellen zu Korrosion bestimmter Art, kann das langfristig bis zur teilweisen Ablösung der Schicht führen. Es ist dann nicht vollständig auszuschließen, dass es zu einer Wegsamkeit bis in den Dichtungsbereich kommt.
Neutronenmoderator
Das Neutronenmoderatormaterial befindet sich zwar nicht gemeinsam mit dem Inventar im Behälterinnenraum, sondern beim CASTOR in eigenen Bohrungen in der Behälterwand, ist dort aber auch Strahlung und Wärme ausgesetzt. Dies kann zu Versprödung, radiolytischer Zersetzung und Volumenveränderung führen. Über lange Zeiträume kann dies einen signifikanten Abschirmverlust verursachen.
Bestrahlte Brennelemente
Nach der Entladung der Brennelemente aus dem Reaktorkern erfolgt eine Erhöhung des Innendrucks, wogegen die Umgebung, anders als im Reaktor, praktisch ohne zusätzlichen Druck ist. Dies ist eine Umkehr der Druckverhältnisse, die zu Spannun-gen in den Brennstabhüllrohren führen. Diese Schwächungen können bei längerer Zwischenlagerung, auch durch weitere Veränderungen der Druck- und Temperatur-verhältnisse, zu Freisetzungspfaden für flüchtige Radionuklide aus den Brennstäben in den Behälterinnenraum führen.
Das Material der Brennstabhüllrohre, aber auch die Brennelementstrukturteile, sind vor allem durch die starke Neutronenstrahlung versprödet. Dies kann bereits bei der Beladung der Behälter, aber vor allem bei späteren Erschütterungen durch Handhabung, Transport oder anderen Einwirkungen von außen zu Freisetzungspfaden führen.
An den Oberflächen der Brennstabhüllrohre kann es durch chemische Reaktionen zur Oxidschichtbildung kommen, die ebenfalls zu Freisetzungspfaden führen können. Korrosion kann auch an Brennelementstrukturteilen auftreten und die Halterung der Hüllrohre beeinträchtigen.
Alle vorstehenden Effekte können zu Einschränkungen der Handhabbarkeit (insbesondere Behälterentladung) der Brennelemente führen. Dies muss für die Vorbereitung zur Endlagerung soweit wie möglich verhindert werden.
Das durch Versprödung, Korrosion oder Spannungsänderungen verursachte größer flächige Versagen von Hüllrohren muss auf jeden Fall verhindert werden. Andernfalls können Kernbrennstoffpellets herausfallen und sich am Behälterboden sammeln. Würde das an mehreren Hüllrohren passieren, kann es zu Kritikalitätsproblemen kommen.
Kokillen
Die verglasten radioaktiven Abfälle befinden sich in Stahlkokillen. Die Kokillen sind mit einer Schweißnaht verschlossen, an die keine weitergehenden Qualifizierungs-anforderungen gestellt werden.
Kokille und Schweißnaht sind während der Zwischenlagerung einer starken Strahlung und hoher Temperatur ausgesetzt. Dies führt zu Gefügeveränderungen und damit Schwächung des Materials. Zusätzlich sind Korrosion und andere chemische Reaktionen durch Rückstände im Behälter möglich, auch wenn der Behälter nicht unter Wasser beladen wurde. Die Kokille ist zwar relativ robust, die Annahme, dass es während der Zwischenlagerdauer nicht zu Schädigungen mit nicht vernachlässig-baren Freisetzungen kommt, sollte jedoch auch praktisch überprüft werden.
Am angeschweißten Kokillendeckel befindet sich auch der Greifpilz, an dem die Ko-killen in und aus dem Behälter geladen werden. Deshalb ist die Vermeidung von Rissen in der Schweißnaht besonders wichtig. Kann die Schweißnaht das Gewicht der Kokille nicht mehr tragen und reißt ab, kann die Kokille nur noch unter äußerst problematischen Umständen aus dem Behälter gehoben werden.
Fachliche Diskussion
Im Rahmen der Diskussion zu Periodischen Sicherheitsüberprüfungen (PSÜ) von Zwischenlagern wurde die Forderung nach Öffnung einzelner Behälter zur Kontrolle von Brennelementen, Primärdeckeldichtung und weiteren Behältereinbauten erhoben [ÖKO 2003]. Hierfür wäre eine Heiße Zelle erforderlich. In den Empfehlungen der Entsorgungskommission des Bundesumweltministers (ESK) zu Leitlinien für die trockene Zwischenlagerung [ESK 2013] und für die periodische Sicherheitsüberprüfung sind aber keine Vorgaben zur Prüfung der Brennelemente bzw. Kokillen sowie zur Prüfung von Korrosionserscheinungen an den Primärdeckeldichtungen und des Behälterinnenraumes bzw. der in ihm befindlichen Einbauten enthalten [ESK 2014].
Die IAEA deutet in einer neueren Publikation die mögliche Notwendigkeit einer Heißen Zelle in einer anderen Anlage zwar an, fordert sie aber nicht. Vielmehr wird darauf hingewiesen, dass eine Abschätzung ohne den Behälter zu öffnen ausreichend sein könnte [IAEA 2012].
In den USA wurde die Zwischenlagerung in Transport- und Lagerbehältern mit einem Forschungsprogramm begleitet. In diesem Rahmen wurde ein Behälter nach 15 Jahren Zwischenlagerung geöffnet. An Primärdeckeldichtung, Nickelbeschichtung des Behälterinnenraumes und am Tragkorb wurden Defekte gefunden. Am Tragkorb gab es auch Risse [INE 2001]. Die Defekte wurden zwar als nicht direkt sicherheitsgefährdend bezeichnet, sie zeigen aber, dass diese Einbauten nicht mehr im Zustand vor der Beladung waren. Die jeweiligen Ursachen für die Defekte wurden vermutet, konnten aber nicht belastbar ermittelt werden. Bei den Brennelementen fanden sich Längenveränderungen von Brennstäben, Durchbiegungen von Brennelementen und nicht erwartete Oxidschichtbelege auf ihren Oberflächen [INE 2001]. Die Untersuchung der Integrität einiger Brennstäbe ergab keine auffälligen Befunde [CONLEY 2003].
Die Ergebnisse aus den USA lassen keine direkten Schlüsse für die Zwischenlagerung in der Bundesrepublik zu, da sich Brennelemente und Lagerbedingungen unterscheiden und das näher untersuchte Brennelement einen relativ geringen Abbrand hat. Die hier zwischengelagerten Brennelemente sind aufgrund des höheren Ab-brands und weil es sich teilweise um Mischoxid-Brennelemente handelt, als problematischer anzusehen. Insofern müsste aus den Untersuchungen in den USA eher eine Empfehlung zur Kontrolle auch in der Bundesrepublik abgeleitet werden.
Die bisher bekannten Untersuchungen zu den Effekten im Behälterinnenraum sind unzureichend. Vor allem sind die teilweise durchgeführten theoretischen Berechnungen nicht durch praktische Untersuchungen verifiziert und schon gar nicht validiert. Dies kann nur durch Öffnen von Behältern in einer Heißen Zelle geschehen.“

Dirk Seifert

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