Was kosten Klimaschutz und Demokratie? Hamburg muss Fernwärme von Vattenfall übernehmen

Was kosten Klimaschutz und Demokratie? Hamburg muss Fernwärme von Vattenfall übernehmen

Die Übernahme der Hamburger Fernwärme-Gesellschaft von Vattenfall durch die Stadt Hamburg sei möglicherweise durch einen Wertverfall gefährdet, berichtet das Hamburger Abendblatt. Damit droht, dass der rot-grüne Senat den bindenden Volksentscheid „Unser Hamburg – Unser Netz“ zur vollständigen Rekommunalisierung der Fernwärme nicht umsetzt. Gegenüber dem zwischen dem damaligen Bürgermeister Olaf Scholz – Gegner des damaligen Volksentscheids – mit Vattenfall vereinbarten Mindest-Rückkaufpreis von 950 Millionen Euro wäre die Wärme-Gesellschaft heute nur zwischen 550 bis 725 Millionen Euro wert, so ein noch nicht abgeschlossenes und bislang geheimes Gutachten einer Prüfgesellschaft. Wieso aber ist ein so hoher Rückkaufpreis vom damaligen Bürgermeister Scholz mit Vattenfall überhaupt vereinbart worden? Die gute Nachricht: Die Volksinitiative Tschüss Kohle hat nach eigenen Angaben die 10.000 Unterschriften zusammen und will vor dem Hintergrund der aktuellen Auseinandersetzungen weiter Unterschriften sammeln.
Kritik an dem zu hohen Rückkaufpreis und den Modalitäten für die Vattenfall-Anteile der Fernwärme-Gesellschaft gab es schon direkt nach dem erfolgreichen Volksentscheid „Unser Hamburg – Unser Netz“ und den danach geschlossenen Verträgen zwischen der Stadt und Vattenfall (und E.on). Das Abendblatt verweist in seinem Bericht auf den heutigen Umweltsenator Jens Kerstan, der damals als Fraktionsvorsitzender der Grünen diesen Preis kritisiert hatte. Doch auch zahlreiche andere KritikerInnen hat es damals gegeben.
Wichtig zu erinnern ist aber: Die SPD-Spitze hatte damals gegen den Volksentscheid immer argumentiert, dass die Übernahme der Fernwärme zu einem langwierigen und teuren Rechtsstreit mit Vattenfall führen würde. Damit hatten sie versucht, dem Volksentscheid „Aussichtslosigkeit“ zu unterstellen und gehofft, die Zustimmung für den Volksentscheid weiter zu schwächen. Der Plan ging jedoch nicht auf.
Dennoch war das Argument in der Sache nicht ganz abwegig oder falsch, denn tatsächlich hätte Vattenfall die Möglichkeit gehabt, mit juristischen Mitteln die Rekommunalisierung deutlich zu erschweren. In jedem Fall gab es Vattenfall ein gutes Argument in die Hand, den Rückkaufpreis in die Höhe zu treiben und in den mit der SPD-Spitze festgelegten Wert „einzupreisen“. (Kurios aber auch: Damals – nach dem Volksentscheid – wollte Vattenfall das Stromnetz und die Fernwärme (natürlich möglichst teuer) verkaufen. Es war ein von der SPD-Führung selbst erzeugtes Steuerproblem (durch den Einstieg als Minderheitspartner zur Abwehr der vom Volksentscheid geforderte vollständigen Rekommunalisierung) und vor allem die Absicht der SPD-Verhandler, dass Vattenfall damals das geplante GuD-Kraftwerk als Ersatz für das marode Kohleheizkraftwerk Wedel zuerst noch bauen sollte.) Und richtig ist auch, was Jens Meyer-Wellmann in seinem Kommentar über das „schwierige Erbe“ des ehemaligen Bürgermeisters Scholz und der gemachten Fehler schreibt.

Vattenfall macht weiterhin klar, warum die Rekommunalisierung der Energienetze von großer Bedeutung war und ist: Zentrale Infrastrukturen wie die Energienetze und insbesondere die Fernwärme gehören nicht in die Hände privatwirtschaftlicher Konzerne, die damit lediglich ihre wirtschaftlichen Interessen betreiben.
Für den Klimaschutz braucht eine Stadt wie Hamburg die Steuerungsinstrumente und damit das vollständige Eigentum an der Fernwärme. Die Kosten, die jetzt entstehen, sind auch Folge einer völlig unsinnigen Privatisierungswelle, die in den 2000er Jahren auch in Hamburg betrieben wurde und dazu geführt hat, dass öffentliches Tafelsilber absurderweise verscherbelt wurde. Getrieben war diese unsinnige Liberalisierung der Energienetze von den Spitzen aus SPD, FDP, CDU und auch teilweise den Grünen.
Es gibt also eine Vielzahl von Gründen und Verantwortlichkeiten, die bei der jetzt anstehenden Rekommunalisierung der Fernwärme zu beachten sind. Dass Vattenfall mit allen Mitteln seine wirtschaftlichen Interessen gegen den Kohleausstieg und mehr Klimaschutz verteidigt, ist zwar verständlich, darf aber nicht dazu führen, dass die Stadt Hamburg auf die vollständige Übernahme verzichtet. Immerhin gilt auch: Eine Mehrheit der HamburgerInnen hat diese Rekommunalisierung per Volksentscheid rechtsverbindlich beschlossen!
Vor allem die SPD-Führung hat eine lange Tradition, sich mit Vattenfall gemein zu machen. Das hat nicht nur ihr Verhalten gegen den Volksentscheid „Unser Hamburg Unser Netz“ deutlich gezeigt. Dafür hat die SPD unter Bürgermeister Olaf Scholz seinerzeit eine rote Karte bekommen. Es ist höchste Zeit, dass die Partei nun endlich Farbe bekennt, sich ernsthaft an eine vielfach beschworene Erneuerung macht, sich für Klimaschutz und Kohleausstieg einsetzt, demokratische Gestaltungsmöglichkeiten zurück nach Hamburg holt – oder weiterhin den wirtschaftlichen Interessen von Vattenfall Vorrang einräumen will.
Die aktuellen Äußerungen aus der SPD zu den Entwicklungen bei der Fernwärme-Rekommunalisierung, die das Abendblatt zitiert, lassen jedoch einiges an Klarheit vermissen. Dabei hatten vor einigen Montaten der bisherige Fraktionsvorsitzende Dressel und die umweltpolitische Sprecherin Schaal für die SPD-Fraktion bereits in einem gemeinsamen Antrag mit den Grünen in der Bürgerschaft die Übernahme der Fernwärme quasi als ausgemachte Sache erklärt. Und während sich die Grünen deutlich hinter die Volksinitiative Tschüss Kohle stellen, hat sich die SPD immer noch nicht dazu geäußert. Das ist eigentlich auch mit Blick auf den rot-grünen Koalitionsvertrag nicht überzeugend.

Wichtig ist der Kohleausstieg und das städtische Eigentum an der Fernwärme auch mit Blick auf den Hamburger Wohnungsbestand. Der spielt für den Klimaschutz eine große Rolle. Mit einem Kohleausstieg aus der Fernwärme könnten im Wohnungsbestand ebenso wie bei Neubauten erheblich Klimaschutz-Kosten eingespart und die Möglichkeit deutlich verbessert werden, den Gebäudebestand bis 2050 nahezu klimaneutral auszurichten. Strategische Vorteile bieten sich damit, dass die Stadt Hamburg mit den drei Energienetzen Strom, Gas und Fernwärme Klimapolitik aus einer Hand betreiben könnte.

Dirk Seifert

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