Die jahrzehntelange Erfahrung in der Atommüll-Debatte war auch einer der Beweggründe dafür, dass die BI eine juristische Expertise in Auftrag gegeben hat. Die Hamburger Anwältin Dr. Michéle John befasste sich aus diesem aktuellen Anlass mit der Frage, welche Bedeutung die Fachkonferenz Teilgebiete hat, einer Frage, die viele interessieren wird, die sich mit der Vorlage des BGE-Berichts erstmalig mit der Thematik befassen werden. Martin Donat, der BI-Vorsitzende, der auch Kreistagsabgeordneter ist, sagt dazu:
„Es ist anzunehmen, dass die Nachricht in vielen Landkreisen wie eine Bombe einschlagen und Bürgermeister*innen und Bewohner*innen völlig unvorbereitet treffen wird.“
Diese Unruhe zu moderieren wird die erste Aufgabe des Bundesamts für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BASE) sein. Die Behörde ist für die im StandAG festgeschriebene Öffentlichkeitsbeteiligung zuständig. Nach §9 StandAG beruft das BASE nach Erhalt des Zwischenberichts die Fachkonferenz Teilgebiete ein. Auf der Homepage des BASE ist aktuell zu lesen, dass die BGE am 17./18. Oktober in Kassel im Rahmen der Konferenz ihren Zwischenbericht zur Diskussion stellt: „Teilnehmende Personen sind Bürgerinnen und Bürger, Vertreter der Gebietskörperschaften der ermittelten Teilgebiete, Vertreter gesellschaftlicher Organisationen sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.“
Die Fachkonferenz Teilgebiete soll gerade mal zwei Wochen nach Bekanntgabe des BGE-Zwischenberichts beginnen.
„Vierzehn Tage Einarbeitungszeit für eine derart komplexe Materie ist viel zu wenig“, beklagt Martin Donat. „Wir im Wendland sind ja permanent mit der Thematik befasst, aber Menschen in anderen Regionen werden mit einer solchen Zeitvorgabe überrumpelt! Für uns stellt sich die Frage, ob nach der Vorlage des BGE-Zwischenberichts und noch vor Einberufung einer ersten Fachkonferenz Teilgebiete eine angemessene Lesezeit sowie Informationsveranstaltungen zur Erläuterung des Berichts angeboten werden können.“
Entsprechende Vorschläge der BI, aber auch vom BUND und dem Nationalen Begleitgremium (NBG), wurden von BGE und BASE mit Hinweis auf das gesetzlich festgeschriebene Verfahren abgelehnt.
Zu einer anderen Einschätzung kommt Dr. Michéle John. In ihrer Expertise erläutert sie, dass das BASE die Konferenz „beruft“, dazu also offen einlädt, und zwar „nach Erhalt des Zwischenberichts“, schließlich ist auch dem BASE erst ab diesem Zeitpunkt bekannt, welche Teilgebiete ermittelt wurden und wer besonders angesprochen werden soll. John weist aber darauf hin, dass, anders als das BASE glauben machen will, der Gesetzgeber nicht geregelt hat, wieviel Zeit zwischen Veröffentlichung des Zwischenberichts und Einberufung der Fachkonferenz vergehen soll. Vielmehr sei mit Blick auf die im StandAG gesetzlich normierten Grundsätze der Öffentlichkeitsbeteiligung den Teilnehmern zur gründlichen Vorbereitung auf die Erörterung des Zwischenberichts bereits zum ersten Termin ausreichend Zeit zur Verfügung zu stellen. Als angemessene Vorbereitungszeit dürfe ein Zeitfenster von mindestens zwei bis drei Monaten vor dem ersten Termin zur Konferenz angenommen werden: „Vor diesem Hintergrund widerspricht es dem StandAG, dass das BASE schon im Oktober die Fachkonferenz Teilgebiete beginnen und den ersten Termin am 17./18.10. durchführen möchte.“
Für die BI wäre diese Regelung auch zwei weiteren Gründen bitter notwendig. Zum einen ist eine Großveranstaltung, wie sie Fachkonferenz Teilgebiete wäre, mit bis zu 1000 Teilnehmenden in einem Kongresszentrum während der Einschränkungen, die die Corona-Pandemie mit sich bringen, gar nicht Mitte Oktober denkbar: „Wer sich nicht nur informieren will, und dafür auf digitale Medien zurückgreifen kann, wer mitdiskutieren will, sich auch als Sprecher*in einmischen will und sich zur Wahl stellt, muss vor Ort sein.“
Der zweite Themenkomplex, den die BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg durch die Rechtsanwältin Michéle John hat überprüfen lassen, betrifft die Frage, ob der Standort Gorleben bereits im Zwischenbericht der BGE zu den „nicht identifizierten Teilgebieten“ gehören und schon mit der Veröffentlichung des Berichts im Herbst durch eine negative Auswahlentscheidung aus dem Verfahren ausscheiden könnte. Maßgeblich für die Beantwortung ist hier die Interpretation des §36, Abs. 1 des StandAG. Darin ist geregelt, dass der Salzstock Gorleben wie jeder andere in Betracht kommende Standort in das Standortauswahlverfahren einbezogen wird. Umgekehrt muss der Ausschluss erfolgen, wenn Gorleben weder zu den übertägig zu erkundenden Standortregionen noch zu den untertägig zu erkundenden Standorten gehört. Interessanterweise führt das Gesetz aber auch die Möglichkeit eines Ausschlusses auf, wenn der Salzstock Gorleben nicht zu den bis zum 30. September ermittelten Teilgebieten gehört. Das hat im Wendland die Frage aufgeworfen, ob selbst ein räumlich so eng gefasstes Gebiet wie ein Salzstock ein „Teilgebiet“ sein kann.
Rechtsanwältin John bejaht das: „Die Frage ist mit einem klaren Ja zu beantworten. Der geschlossene räumliche Bereich des Salzstocks Gorleben kann ohne weiteres unter diesen Begriff fallen. Der Standort kann aus dem weiteren Auswahlverfahren ausscheiden, wenn in einer der Verfahrensstufen eine negative Auswahlentscheidung getroffen wurde. Eine solche Entscheidung kann auch bereits zu Beginn des Verfahrens fallen.“
Die BI fordert deshalb ein gesondertes Gorleben-Kapitel im BGE-Zwischenbericht.
BI-Sprecher Wolfgang Ehmke ist sich sicher: „Wenn die BGE unserer Forderung nachkommt, vor Erstellung des Zwischenberichts die im Gesetz aufgeführten Kriterien zur obertägigen Beurteilung von Teilgebieten vollumfänglich auch auf den Salzstock Gorleben-Rambow anzuwenden, dann muss Gorleben noch in diesem Herbst endgültig rausfliegen!“
In einer eigenen Expertise hatte die BI im Frühjahr mit Unterstützung durch Fachwissenschaftler die Argumente und die Literatur zusammengestellt, die für den wissenschaftlich begründeten Ausschluss des Salzstocks sprechen und wird nun weitere Argumente liefern.
Ehmke: „Das berührt die Ausschlusskriterien wie die bedeutende tektonische Störungszone des Elbe-Lineaments und eine Vielzahl von Tiefbohrungen, die sowohl als diagnostisches Instrument taugen, um Kohlenwasserstoffe nachzuweisen oder andererseits den Weg verstellen, um in dem ohnehin schmalen Bereich, der als Endlagerbereich in Frage käme, den Atommüll einzulagern. Auch die Mindestanforderungen werden nicht erfüllt, darunter die zu kleine Fläche sowie der Nachweis von tief in das Salz hineinreichende Ablaugungen, die bei den Salzspiegelbohrungen in der sogenannten Gorlebener Rinne festgestellt wurden.“
Ganz besonders erbost ist man im Wendland darüber, dass in das StandAG einer der Hauptgründe, warum der Salzstock Gorleben-Rambow nicht als Endlager für die hochradioaktiven Abfälle taugt, schlicht herausdefiniert wurde: die fehlende Tonschicht auf 7,5 Quadratkilometern über dem Salz und der Wasserkontakt ist nur noch ein Abwägungskriterium.
Ehmke: „Ausgerechnet Steffen Kanitz, heute stellvertretender Vorsitzender der BGE- Geschäftsführung, gehörte – seinerzeit als CDU-Bundestagsabgeordneter und Mitglied der Endlagerkommission zusammen mit Bernhard Fischer, dem Vertreter der Energiewirtschaft, zu den Verhandlungsführern, die das durchgesetzt haben, die geowissenschaftlichen Kriterien wurden politisch eingefärbt – von wegen wissenschaftsbasiertes Verfahren!“
Wolfgang Ehmke, Pressesprecher, 0170 510 56 06
Juristisches Gutachten Dr. Michéle John