Atommüllkonferenz zur Endlagersuche: Fachkonferenz Teilgebiete – Mitbestimmung statt inszenierter Beteiligung

Atommüllkonferenz zur Endlagersuche: Fachkonferenz Teilgebiete – Mitbestimmung statt inszenierter Beteiligung

Endlagersuche für hochradioaktive Atomabfälle. Gorleben ist Geschichte. Für viele andere Regionen ist der Atommüll nun ein Gegenwarts- oder gar Zukunftsthema. Schlimmer geht immer! Die Atommüllkonferenz der Anti-Atom-Initiativen, die seit vielen Jahren die Probleme und Risiken des staatlichen und „unternehmerischen“ Umgangs mit den enormen Mengen radioaktiver Abfallstoffe aus dem atomaren Wahnsinn untersucht, diskutiert und die Verantwortlichen konfrontiert, hat zum laufenden Standortauswahlverfahren, wie es gesetzliche geregelt und von Bundesämter und Bundesgesellschaften nach der Privatisierung des Atommülls umgesetzt werden soll jetzt eine Stellungnahme veröffentlicht. Die ist nicht nur an die Verantwortungsträger gerichtet, sondern möglicherweise auch eine Hilfestellung, Orientierung und Diskussionshilfe, wenn es Mitte Oktober in Kassel und per Videokonferenz in die erste Runde der Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Endlagersuche für hochradioaktiven Atommüll geht. Betroffen sind von der Fläche über 50 Prozent des Bundesrepublik. Der Atommüll ist damit ein Thema, dass vielleicht rund 40 Millionen Bundesbürger*innen in den nächsten Jahren sehr unmittelbar betreffen wird. Ein gutes hat das bestimmt: Für die immer wieder munter auch von Medien vorgebrachte Debatte um neue Atommeiler als Klimaretter dürfte es in den nächsten Jahren angesichts der Atommüll-Betroffenheiten eng werden!
Dokumentenation Fachkonferenz Teilgebiete – Mitbestimmung statt inszenierter Beteiligung

Ende September wird die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) ihren „Zwischenbericht Teilgebiete“ vorlegen und damit darstellen, welche Regionen mit Kristallin-, Salz- und Tonvorkommen für die sogenannte Endlagerung (1) hochradioaktiver Abfälle (2) als „günstig“ angesehen werden.
Das Standortauswahlgesetz (StandAG) sieht in dieser Phase der Standortsuche vor, dass der Zwischenbericht der BGE auf einer Fachkonferenz Teilgebiete auf drei Sitzungen innerhalb eines halben Jahres debattiert wird. Nach §9 StandAG ist dies der erste formale Beteiligungsakt der Bürgerinnen und Bürger. Anmerkungen und Kritik werden dokumentiert und die BGE „berücksichtigt“ diese Stellungnahme der Fachkonferenz, bevor oberirdisch zu erkundende Standorte benannt werden.
Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BaSE) ist laut StandAG „Träger für die Öffentlichkeitsbeteiligung“, also für die Partizipation zuständig.
Das BaSE lädt am 17./18. Oktober zu einer Auftaktveranstaltung ein, die hauptsächlich online stattfinden soll. Die BGE soll am 17. Oktober lediglich allgemeine Teile des Zwischenberichts vorstellen. Darüber hinaus soll am Folgetag der Vorschlag für eine Geschäftsordnung unterbreitet werden. Für die inhaltliche Beratung der Fachkonferenz hat das BaSE drei Termine, im Februar, April und Juni 2021 anberaumt und damit den Zeitraum für die Beratungen um zwei Monate gekürzt. Obwohl das StandAG eine solche Auftaktveranstaltung nicht vorsieht, bleibt das Atommüll-Bundesamt BaSE bisher dabei, den Oktober-Termin bereits als Auftakt der Fachkonferenz Teilgebiete zu bezeichnen.
Gegen den schnellen Start der Fachkonferenz Teilgebiete im Oktober sprechen zwei Argumente: Zum einen bleibt für die Vertreter*innen kommunaler Gebietskörperschaften jener Regionen, die erst Ende September erfahren, dass sie in einem „Teilgebiet“ leben, nicht genügend Zeit, um sich in die Materie einzulesen und sich abzustimmen, wer diese Regionen auf der Fachkonferenz Teilgebiete vertritt. Zum anderen verhindern BaSE und BGE damit eine faire und dem Prinzip der Chancengleichheit entsprechende Befassung mit dem Bericht, denn in der kurzen Zeit zwischen
Veröffentlichung des Berichts und der Auftaktveranstaltung ist es den Betroffenen nicht möglich, kritische Fachleute zu gewinnen, die am 17. Oktober eine zweite Meinung einbringen. Die Teilnehmenden haben also keine Chance, sich auf der Konferenz unabhängig zu informieren.
Das Atommüll-Bundesamt suggeriert so, die Fachkonferenz Teilgebiete würde über ihren gesetzlich vorgeschriebenen Rahmen hinaus mehr Zeit für die Debatte, Beschlüsse und die Erstellung eines eigenen Berichts haben. Dem gegenüber stehen ein mehrere hundert Seiten mächtiger Bericht, zuzüglich Fachbeiträgen und eine interessierte, zum Großteil ehrenamtlich mit dem Thema befasste Öffentlichkeit, die diesen erst einmal durchdringen wollen wird. Vier Monate Einlesen plus vier Monate Fachkonferenz werden das kaum ermöglichen können.
1. Vieles ist längst ohne Beteiligung entschieden
Im Standortauswahlgesetz ist vorgesehen, dass die Teilgebiete-Konferenz lediglich ein Thema bearbeiten darf: Die Erörterung des Zwischenberichts der BGE. Schon längst entschieden wurde über
die Ausblendung der ungelösten Probleme mit den schwach- und mittelradioaktiven Abfällen, das Suchverfahren, seine Akteur*innen, die Auswahl-Kriterien, die Lager-Methode in tiefengeologischen Schichten, die Sicherheitsanforderungen, die eingeschränkten Beteiligungs- und Klagerechte und die Entlassung der AKW-Betreiber aus der finanziellen Verantwortung für den Atommüll – ohne dass die Betroffenen die Möglichkeit gehabt haben, dabei mitzureden.
2. Es gibt keine „Augenhöhe“
Auf der einen Seite werden vom Atommüll-Bundesamt rund fünf Millionen Euro für eine PRKampagne ausgegeben, auf der anderen Seite gibt es kein Budget für wissenschaftliche Expertise, auf
die die Fachkonferenz Teilgebiete aber zurückgreifen müsste, um das fachliche Werk zu durchdringen. Das BaSE „argumentiert“ zwar, dass Wissenschaftler*innen eine Teilnahme freistehe, weshalb diese Zielgruppe im §9 StandAG gesondert aufgeführt worden sei. Aber eben unentgeltlich. Expertise zum „eigenen“ Teilgebiet muss von den Betroffenen selbst finanziert werden.
3. Arbeitsfähigkeit scheint nicht gewünscht
Die Fachkonferenz Teilgebiete insgesamt bietet keine Möglichkeit effektiver Einflussnahme und ist von ihrem gesetzlichen Auftrag her eine Fehlkonstruktion. Auch wenn sie im nächsten Jahr ihre
Beratungen aufnimmt, sich eine Geschäftsordnung gibt und – obwohl das BaSE dafür organisatorische Unterstützung verweigert – selbstbestimmt Arbeitsgruppen einrichten und Gremien
wählen würde, die zumindest eine Kontinuität der Arbeit gewährleisten könnten, wird deren Arbeit entgegen der Versprechungen, die Endlagersuche basiere auf einem wissenschaftsbasierten,
selbsthinterfragenden und lernenden, transparenten und partizipativen Verfahren, allein durch die eingeschränkten Arbeitsbedingungen konterkariert. Getoppt wird dies noch durch die Ankündigung des BaSE, die Kosten für die Moderation des Beratungsprozesses nur zu übernehmen, wenn die Fachkonferenz die vom BaSE vorgeschlagenen Moderator*innen akzeptiert.
4. Die BGE wartet nicht auf die Ergebnisse der Konferenz
Die Arbeit der BGE ruht nicht in der Phase, in der die Fachkonferenz Teilgebiete tagen wird. Das heißt, die Stellungnahme der Fachkonferenz Teilgebiete kommentiert einen überholten Arbeitsstand
des Vorhabenträgers. Wertschätzung für die Arbeit der Fachkonferenz Teilgebiete sieht anders aus.
5. Die Ergebnisse der Konferenz haben keine verbriefte Wirksamkeit
Die Ergebnisse der Teilgebiete-Konferenz müssen laut Gesetz „berücksichtigt“, also zumindest gelesen werden. Ist die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) nett, beantwortet sie das Papier
auch. Was sie ansonsten damit macht, ist ihr überlassen. „Berücksichtigen“ kann also auch Ablage in einer Archivschublade bedeuten.
6. Eine Online-Veranstaltung reduziert den lebendigen Diskurs
Die Auftaktveranstaltung am 17./18. Oktober soll hauptsächlich online durchgeführt werden. Sie wird also im Internet live übertragen. Teilnehmende könne sich in einem Chat schriftlich äußern. Echte Interaktion und Diskurse sind damit kaum möglich, kein freier Austausch, keine Pausengespräche, kein hilfreicher Zwischenruf, keine Arbeitsgruppen. Die gesamte Kommunikation ist weitgehend vom Veranstalter gesteuert und kontrolliert. Zudem ist eine Online-Konferenz über volle zwei Tage eine Zumutung für viele Menschen. Oft fehlt zudem die technische Ausstattung oder eine leistungsfähige Internetverbindung zur Online-Teilnahme. Dies kann auch durch den vorgesehenen parallelen Präsenztermin in Kassel nicht aufgewogen werden, da die Teilnahme dort vom Losglück abhängt. Deshalb kann eine solche Veranstaltung erst dann sinnvoll stattfinden, wenn die Corona-Situation es wieder zulässt, dass sich viele Menschen gefahrlos zu einer Präsenz-Konferenz treffen können.
7. Die Kriterien sind veraltet
Die Arbeitspakete der BGE stellen eine Interpretation der geowissenschaftlichen Vorgaben dar, wie sie im StandAG fixiert wurden. Das StandAG ist jedoch schon überholt und – siehe lernendes
Verfahren – müsste novelliert werden. So wurden beispielsweise Klima-Veränderungen und deren Folgen für die Endlagersuche überhaupt nicht bedacht.
8. Es gibt keine vollständige Transparenz über die Datengrundlage
Die Geodaten, die die BGE als Grundlage für ihren Zwischenbericht genutzt hat, werden nicht oder nur eingeschränkt einsehbar sein. Somit lassen sich die Entscheidungen der BGE nicht in vollem
Umfang überprüfen. Ein transparentes Verfahren mit glaubwürdiger Öffentlichkeitsbeteiligung würde bedeuten, dass bereits zu Beginn ALLE Daten und Informationen offengelegt werden, die zur
Erstellung des Zwischenberichts bei der Atommülllagersuche herangezogen wurden. Die atompolitische Vergangenheit zeigt: Ohne Transparenz, ohne „Augenhöhe“ und ohne
Sicherstellung eines wissenschaftsbasierten Prozesses, ist dieses Verfahren zum Scheitern verurteilt.
Die Stellungnahme wurde im Rahmen der Atommüllkonferenz (3) erarbeitet und wird von folgenden
unterzeichnenden Organisationen getragen:
.ausgestrahlt – gemeinsam gegen Atomenergie
Aarhus Konvention Initiative
AG AtomErbe Neckarwestheim
Aktionsbündnis Energiewende Heilbronn
A.K.WEnde Bergstraße
Anti Atom Berlin
Anti-Atom-Bündnis Schaumburg
Anti-Atom-Gruppe Freiburg
Anti-Atom-Initiative Göttingen
Anti-Atom Karlsruhe
Anti-Atomnetz-Trier
Arbeitsgemeinschaft Schacht KONRAD e.V.
Asse-II-Koordinationskreis (A2K)
aufpASSEn e.V.
BAAK, Bayern Allianz für Atomausstieg und Klimaschutz
Bäuerliche Notgemeinschaft Lüchow-Dannenberg
Bendorfer Umweltinitiative
BI Morsleben – Initiative gegen das Atommüllendlager Morsleben e.V.
Brokdorf akut
Bund der Bürgerinitiativen Mittlerer Neckar e.V. (BBMN)
Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) e. V.
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) e.V.
BUND Ortsgruppe westliches Vest
Bündnis für die „Sichere Verwahrung von Atommüll in Baden-Württemberg“
BüfA Regensburg, Bündnis für Atomausstieg und erneuerbare Energien
Bürgerinitiative AntiAtom Ludwigsburg
Bürgerinitiativen gegen das AKW Mülheim-Kärlich
Bürgerinitiative GegenGift Heilbronn/UnterLand
Bürgerinitiative Harrislee, baesh.de
Bürgerinitiative „Kein Atommüll in Ahaus“
Bürgerinitiative Kein Endlager im Fichtelgebirge
Bürgerinitiative STOPPT TEMELIN
Bürgerinitiative Strahlenschutz e.V. (BISS)
Bürgerinitiative Südheide e.V.
Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V.
Bürgerinitiative WAA NAA BI gegen atomare Anlagen Weiden-Neustadt/WN
Fukushima Mahnwache Schönberg
Holon-Institut
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs / Ärzte in sozialer Verantwortung IPPNW e.V.
KLAR! Kein Leben mit atomaren Risiken! e.V. Singen
Klimaforum Detmold
Lüneburger Aktionsbündnis gegen Atom (LAgAtom)
Mahnwache für den Atomausstieg – Buxtehude
Meßstelle für Arbeits- und UmweltSchutz (MAUS e.V.)
NaturFreunde Berlin e.V.
NaturFreunde Sachsen-Anhalt
Schweinfurter Aktions-Bündnis gegen Atomkraft
Strahlentelex
Umweltinstitut München e.V.
Umweltzentrum Braunschweig e.V.
Hinweise:
(1) Das Wort Endlager suggeriert ein „Ende“ bzw. eine „Lösung“ des Atommüllproblems. In Anbetracht der Jahrmillionen, die das Problem noch existiert, und der Tatsache, dass es keinen perfekten, sondern nur einen „bestmöglichen“ Standort geben kann, ist das ein Trugschluss. Das Wort wird hier einzig zum besseren Verständnis verwendet.
(2) Das StandAG sieht vor, dass auch schwach- und mittelaktive Abfälle an einem Standort gelagert werden. Doch
gleichzeitig wird am Schacht Konrad festgehalten, statt für alle Arten von Atommüll ein vergleichendes
Suchverfahren gesetzlich zu regeln
(3) Die Atommüllkonferenz ist ein fachlich-politisches, parteiunabhängiges Forum für Betroffene und Akteure
von den Standorten, an denen Atommüll liegt oder an denen die Lagerung vorgesehen ist sowie von
unabhängigen, kritischen Wissenschaftler*innen und Vertreter*innen von Verbänden und NGOs, die sich mit
diesem Thema beschäftigen.

Dirk Seifert