Strompreise Hamburg: Schon immer teuer, mit atomaren Altlasten, dummen Privatisierungen und Vattenfalls kaputt-sparen
Ein privates Unternehmen, das mit Preisvergleichen Geld verdient und zur Unternehmensgruppe ProSiebenSat.1 gehört, bewertet die bundesdeutschen Strompreise. Und Hamburg kommt dabei schlecht weg, weil die vor kurzem rekommunalisierten Staats-Energienetze so viel Geld fordern. Böse Sache. Das war beim früheren Eigentümer Vattenfall ja alles gaaaaanz anders. Soweit ich mich erinnere, waren die Strompreise in Hamburg immer schon bundesweit im oberen Feld und schon seit den 1990er Jahren, als ich noch Energiereferent für Bürgerschaftsabgeordnete war, klagten Wirtschaft und Verbraucher*innen über diese hanseatische Ungerechtigkeit. Ab ca. dem Jahr 2000 kam der Schwedenkonzern Vattenfall im Rahmen der neoliberalen Privatisierungswelle und dem Ausverkauf sozialdemokratischer und grüner Grundwerte. Was in dem Gejammer über die privaten Strompreise übersehen wird: Die großen stromintensiven Konzerne (Alu und Stahl in Hamburg) bleiben von erheblichen Kosten ausgenommen, zulasten der Haushaltskunden.
Und Vattenfall hat jahrelang zu wenig investiert und die Netze kaputt gespart. Gewinne wurden abgesaugt und sind nach Stockholm geflossen. Dagegen müssen die rekommunalisierten Netze jetzt anarbeiten. Und nicht übersehen darf man jenseits der privaten Strompreise: Die Stromnetz Hamburg hat 2018 rund 35 Millionen an den Hamburger Haushalt überwiesen. In 2019 lagen die Gewinne laut Geschäftsbericht der HGV (Seite 17) (siehe auch hier, PDF) sogar – wenn ich das jetzt richtig verstehe – bei über 90 Millionen Euro. Einnahmen, die aus Hamburg für Hamburg zu verbuchen sind und mit denen politische und auch soziale Spielräume gestaltet werden können.
Gründe für hohe Preise sind aber nicht nur diese Gewinne, sondern auch die „Erblasten“ aus Vattenfall-Zeiten: Vor der Rekommunalisierung der Netze unterließ Vattenfall notwendige Investitionen. Enorme Gewinnmargen wurden aus dem Unternehmen gezogen, zu Lasten der Mitarbeiter*innen und der Infrastrukturen. Unterstützt von einer SPD, die sich massiv gegen die Bürger-Energiewende und die Rekommunalisierung der Netze durch den Volksentscheid „Unser Hamburg – Unser Netz“ stemmte und schließlich vollkommen überteuert und widerwillig den Volksentscheid zu Lasten der Stadt und zum Vorteil von Vattenfall umsetzte. Scholz hieß der Bürgermeister, der das zu verantworten hat. Dieses jahrelange Deinvestment von Vattenfall müssen die heute kommunalen Unternehmen immer noch ausbaden, auch um die Netze für die Energiewende und den Klimaschutz fit zu machen!
Das Erbe hoher Stromkosten für die Haushaltskunden ist aber ein langes: Vier Atommeiler in Stade, Brunsbüttel, Krümmel und Brokdorf waren keineswegs so günstig, wie immer gepredigt wurde. Da wäre zu erinnern an die Hamburgischen Electricitäts-Werke (HEW) und Vattenfall, die immer wieder mit ihren maroden AKWs Brunsbüttel und Krümmel massive Probleme hatten. Wenn ich richtig erinnere, war die Arbeitsverfügbarkeit von Brunsbüttel über die Jahre nur bei wenig über 50 Prozent. Sowas kostet! (Man könnte sagen: Das Moorburg der 1990er Jahre hieß Brunsbüttel.) Jahrelang lagen jeweils beide Anlagen in den 1990er und 2000er Jahren wegen Pannen still. Dann wurde mit dem AKW Stade der Strompreis für die Alu- und Stahlwerke subventioniert – zahlen mussten das die Haushaltskunden.
Und schließlich unterließ Vattenfall es vor der Rekommunalisierung jahrelang, die Netze in Stand zu halten und entsprechend zu modernisieren. Viel Geld wurde von Vattenfall aus den Netzen rausgezogen und nach Schweden abgeführt. Shareholder Value nannte man das Aussaugen der Unternehmen in neoliberalen Märkten und Vattenfall war jahrelang extrem gut dabei: Ab der schrittweisen Übernahme der HEW Anfang der 2000er Jahre: Hohe Renditen bei möglichst geringen Investitionen.
Und dann wäre noch der vor allem von EX-Bürgermeister Scholz zum Vorteil von Vattenfall zu verantwortende völlig überteuerte Rückkaufpreis der Netze und vor allem der Wärme zu nennen. SPD und Vattenfall haben massiv dafür gesorgt, dass die von einer Mehrheit der Hamburger*innen per Vorschlagsentscheid durchgesetzte Rekommunalisierung schön teuer wurde. Diesen Teil der Strompreise thematisiert heute kaum jemand – ist ja auch egal für Kund*innen?
Dass ein Vergleichsportal, das mit Wechselangeboten Geld verdient, so einen Strompreisvergleich präsentiert, wird irgendwie gar nicht erst thematisiert. Niemand untersucht, was da eigentlich genau miteinander verglichen wird und ordnet das insgesamt ein.
- Verivox hat den Strompreisvergleich hier Online. Unter einer etwas dummen Überschrift, erwähnt die taz einige der Dinge, die heute Kosten verursachen und die mit dem Erbe aus der Vattenfall-Scholz-Zeit zu tun haben. Ist hier online. Wie kurz das Gedächtnis ist: Die taz zitiert die Verbraucherzentrale, die damals einer von drei wichtigen Trägern der Rekommunalisierung war. Auch der Linke Bürgerschaftsabgeordnete Stephan Jersch erwähnt einige der Erblasten, die eine Rolle spielen.
In der Kundenperspektive mögen die Preise von Verivox korrekt ermittelt sein – der Zweck ist ja aber vermutlich vor allem, Menschen zum Stromwechseln zu bewegen, denn damit verdient das Unternehmen. Was dabei auf der Strecke bleibt: Die rekommunalisierten Netze haben durch die erhöhten Investitionen zu mehr Beschäftigung in der Region Hamburg geführt, Arbeitsplätze gesichert und sogar gegenüber Vattenfall ausgebaut. Damit ist auch ein Stück mehr soziale Sicherheit entstanden. Außerdem bleiben die Gewinne der Netz-Gesellschaften in Hamburg. Die regionale Wertschöpfung mitsamt der Gewinne hat sich in der Summe für alle Hamburger*innen also verbessert. Das taucht zwar nicht in der privaten Stromrechnung auf, ist aber ein gesellschaftlicher Mehrwert in der Stadt.
Und eines noch: Heute gibt es in der Energie- und Klimapolitik in Hamburg wieder eine Bürgerschaft, die mitreden kann und einen Senat, der etwas gestalten könnte. Keine Frage, da wünscht man sich besseres und mehr. Eine grundlegende Idee, wie alle Netz-Bausteine mitsamt Wasser und Hamburg-Energie zu einer neuen Form von Stadtwerken verbunden werden könnten, fehlt dem rot-grünen Senat ebenso wie der Öko-Energiebewegung oder den Gewerkschaften. Schade eigentlich. Aber: Ohne Rekommunalisierung könnte Hamburg die Energiewende kaum mitgestalten und hätte keine wichtigen Infrastrukturinstrumente und hätten die Bürger*innen keine Beteiligungsmöglichkeiten im Sinne von mehr Demokratie. Hamburgs Strom- und Wärmeversorgung wäre weiterhin in Stockholm (oder Essen – E.on) allein unter Gewinn-Maximierungs-Gesichtspunkten entschieden worden. Das ist ein deutliches Mehr für die Hamburger*innen.