Jochen Stay ist tot – Das Ja zum Nein!
Der Anti-Atom-Kämpfer und Wegbegleiter Jochen Stay ist tot. Mit tiefer Betroffenheit und Trauer. Seit Ende der 1980er Jahre kannten wir uns – Jochen gegen das AKW Neckarwestheim und die dortigen Castor-Transporte zur WAA ins Ausland, verbunden mit der Graswurzel-Bewegung und zivilem Ungehorsam, sein Umzug aus dem Süden ins Wendland, X-1000xQuer und vieles vieles mehr in den folgenden Jahren, bevor wir gemeinsam mit Freund:innen und Verbündeten gegen die Laufzeitverlängerung angingen, erst nach Berlin mit dem Treck der Bauern, dann gemeinsam mit der 120 km 120.000 Menschenkette von Brunsbüttel bis Krümmel, Großdemonstrationen und nach Fukushima mit einer bis dahin unbekannten Serie von Massendemonstrationen mit vielen vielen 100.000 Menschen in der ganzen Republik, die den Wiedereinstieg in die Atomenergie schließlich in einen Wiederaussteig (mit bis heute andauernden Pferdefüßen – aber immerhin – ) verwandelte. Es war immer auch seine Kraft, sein Ungestüm, seine Ideen, die mithalfen und den Wandel durchsetzen halfen. Einer, der immer Ja zum Nein gesagt hat, wenn gegen Unrecht, Obrigkeit und Atomgefahren anzugehen war. DANKE Jochen, dass du immer widerspenstig warst. Dirk Seifert # Die taz berichtet hier, die SZ hier und der NDR hier. Ausgestrahlt berichtet:
„Am Wochenende hat uns völlig überraschend die Nachricht erreicht: Unser Freund, Mitstreiter und Kollege Jochen Stay ist tot. Jochen war Mitgründer, Geschäftsführer und Sprecher von .ausgestrahlt sowie Vorstandsmitglied der von .ausgestrahlt initiierten Stiftung Atomerbe. (Foto: Mit Dank an .ausgestrahlt. / Bente Stachowske)
Wir sind zutiefst traurig und erschüttert. Unsere Gedanken sind bei seiner Familie, die sich Raum zum Trauern wünscht. Jochen hat nicht nur Spuren in Mutlangen, Wackersdorf und Gorleben hinterlassen, sondern vor allem auch in den Herzen seiner Familie und Wegbegleiter*innen.
Jochens Tod ist nicht nur für .ausgestrahlt ein immenser Verlust. Sein Wirken hat die Anti-Atom-Bewegung seit den 1980er-Jahren mitgeprägt und zu vielen ihrer Erfolge maßgeblich beigetragen. Auch zahlreiche andere Bewegungen und Kampagnen profitierten von Jochens Erfahrung und Rat.
2008, als der „Spiegel“ auf dem Titelbild die Anti-Atom-Sonne untergehen ließ, gründete Jochen mit einer Handvoll Mitstreiter*innen die Anti-Atom-Organisation .ausgestrahlt, die Hunderttausenden Atomkraftgegner*innen eine Stimme verlieh und den Widerstand gegen Atomkraft wieder sichtbar machte. Anti-Atom-Sonnen, Unterschriftensammlungen und Großdemos machten den Anfang. Und wir fassten ein kühnes Ziel: Den Betrieb der AKW nicht nur kritisch zu begleiten, sondern sie tatsächlich abzuschalten. Unrealistisch? Nicht in Jochens Augen. Denn er wusste: Wo Konflikt ist, können wir auch Einfluss nehmen. Und der Dissens um Atomkraft, der die ganze Gesellschaft spaltete, lag offen wie lange nicht mehr. Jochen hatte die Idee, die schwarz-gelben Koalitionsverhandlungen 2009 zu „belagern“. Wochenlang beherrschten die Anti-Atom-Proteste die Berichterstattung aus dem politischen Berlin. Und während Union und FDP an der Laufzeitverlängerung der AKW feilten, erweiterte Jochen das Repertoire der Anti-Atom-Bewegung um die einst gegen Pershing-Raketen erprobte Protestform der Menschenkette. 120 Kilometer, so seine Vision, vom AKW Brunsbüttel bis zum Pannenmeiler Krümmel. Manch große Umweltorganisation riet ob der Gefahr des Scheiterns eindringlich ab. Jochens Zugkraft und Überzeugung aber riss genug andere mit. Am 24. April 2010 formierten sich 120.000 Menschen entlang der Elbe zum längsten Anti-AKW-Protest in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Laufzeitverlängerung verhinderte das zunächst zwar nicht. Das Protestfass aber war voll bis an den Rand. Der Super-GAU von Fukushima brachte es zum Überlaufen – und der nachfolgende Protest Hunderttausender läutete Merkels Atom-Wende ein. Fast die Hälfte der damals noch laufenden AKW ging sofort vom Netz.
Auch der Protest gegen ein Atommüll-Lager im Gorlebener Salzstock, den Jochen jahrzehntelang mit prägte, führte 2020 zum Erfolg. Das hielt Jochen nicht davon ab, den Finger weiter in die Atommüll-Wunde zu legen: Niemand konnte die Defizite und falschen Versprechungen des laufenden Standortsuchverfahrens präziser benennen als er.
Jochens Sachverstand und seine Begeisterungsfähigkeit werden uns fehlen, genau wie sein Dickkopf und seine Überzeugungskraft, seine Klarheit, sein Einsatz, seine Verantwortungsbereitschaft und sein großes Herz. Sein meist untrügliches Gespür für politische Gelegenheiten. Und seine immense Erfahrung, wie Protest erfolgreich Einfluss auf politische Konflikte nehmen kann.
Noch am Freitag haben wir mit Jochen zusammen die .ausgestrahlt-Themen und ‑Aktionen der nächsten Monate geplant. Gemeinsam haben wir die Weichen für die Neuausrichtung von .ausgestrahlt gestellt, die mit dem Abschalten der letzten AKW Ende 2022 ansteht. Auf diesen historischen Erfolg, das Aus der letzten drei von einst 36 AKW, hat Jochen über Jahrzehnte hingearbeitet, die letzten 14 Jahre zusammen mit .ausgestrahlt. Dass er diesen Moment nun nicht mehr erleben und mit uns feiern kann, trifft uns mehr als schmerzvoll.
Jochen war sich bewusst, dass seine bestehende Herzerkrankung sein Leben irgendwann abrupt beenden könnte. Von Plänen und Projekten hielt ihn dies nicht ab. Am Samstag, den 15. Januar 2022, ist er im Alter von 56 Jahren plötzlich und viel zu früh gestorben.
Die Lücke, die Jochens Tod reißt, ist groß, auch bei .ausgestrahlt. Aber .ausgestrahlt hat stets davon profitiert, dass es auf vielen Schultern ruht und alle, Mitarbeiter*innen wie Ehrenamtliche, ihr Engagement und ihre Kompetenzen einbringen. Das werden wir auch weiterhin tun: .ausgestrahlt wird seine Anti-Atom-Arbeit – auch im Sinne Jochens – weiterführen. Selbst nach dem Abschalten der letzten AKW Ende des Jahres bleibt da jede Menge zu tun, vom Umgang mit dem Müll bis zu den noch laufenden Atomfabriken, von der atomfreundlichen EU-Taxonomie bis zum Wiederaufflackern irrer Atom-Träume unter dem Deckmantel angeblichen Klimaschutzes.
Daneben gilt es, die Errungenschaften und Erfolge der Anti-Atom-Bewegung, die weit über das Atom-Thema hinausstrahlen, zu sichern und als das zu benennen, was sie sind: Der Beweis, dass es sich lohnt, selbst für zunächst utopisch erscheinende Ziele zu kämpfen. Der Beweis, dass, wenn sich die scheinbar Ohnmächtigen zusammenschließen und sich wehren, es die scheinbar Mächtigen unendlich schwer haben, ihre Pläne durchzusetzen. Das war einer von Jochens Lieblingssätzen. Wir werden ihn nicht vergessen.
Die Trauerfeier und Beisetzung von Jochen finden im engsten Kreis statt. Daneben wird es vor Ostern einen öffentlichen, Jochen-gemäßen Abschied geben, den .ausgestrahlt mit vorbereitet. Näheres dazu werden wir rechtzeitig bekanntgeben. Auf ausgestrahlt.de/jochen findest Du Ende nächster Woche noch einen ausführlicheren Nachruf.
Darüber hinaus wollen wir Erinnerungen an Erlebnisse mit und Gedanken zu Jochen zusammentragen und ggf. auch öffentlich teilen. Möchtest Du daran mitwirken, schicke Deinen Beitrag gerne an jochen@ausgestrahlt.de. Bitte schreib jeweils dazu, ob wir ihn – ggf. mit Namen oder anonym – veröffentlichen dürfen oder nicht.
Drei Organisationen war Jochen besonders verbunden. Spenden an diese wären in Jochens Sinn:
„Am Wochenende hat uns völlig überraschend die Nachricht erreicht: Unser Freund, Mitstreiter und Kollege Jochen Stay ist tot. Jochen war Mitgründer, Geschäftsführer und Sprecher von .ausgestrahlt sowie Vorstandsmitglied der von .ausgestrahlt initiierten Stiftung Atomerbe. (Foto: Mit Dank an .ausgestrahlt. / Bente Stachowske)
Wir sind zutiefst traurig und erschüttert. Unsere Gedanken sind bei seiner Familie, die sich Raum zum Trauern wünscht. Jochen hat nicht nur Spuren in Mutlangen, Wackersdorf und Gorleben hinterlassen, sondern vor allem auch in den Herzen seiner Familie und Wegbegleiter*innen.
Jochens Tod ist nicht nur für .ausgestrahlt ein immenser Verlust. Sein Wirken hat die Anti-Atom-Bewegung seit den 1980er-Jahren mitgeprägt und zu vielen ihrer Erfolge maßgeblich beigetragen. Auch zahlreiche andere Bewegungen und Kampagnen profitierten von Jochens Erfahrung und Rat.
2008, als der „Spiegel“ auf dem Titelbild die Anti-Atom-Sonne untergehen ließ, gründete Jochen mit einer Handvoll Mitstreiter*innen die Anti-Atom-Organisation .ausgestrahlt, die Hunderttausenden Atomkraftgegner*innen eine Stimme verlieh und den Widerstand gegen Atomkraft wieder sichtbar machte. Anti-Atom-Sonnen, Unterschriftensammlungen und Großdemos machten den Anfang. Und wir fassten ein kühnes Ziel: Den Betrieb der AKW nicht nur kritisch zu begleiten, sondern sie tatsächlich abzuschalten. Unrealistisch? Nicht in Jochens Augen. Denn er wusste: Wo Konflikt ist, können wir auch Einfluss nehmen. Und der Dissens um Atomkraft, der die ganze Gesellschaft spaltete, lag offen wie lange nicht mehr. Jochen hatte die Idee, die schwarz-gelben Koalitionsverhandlungen 2009 zu „belagern“. Wochenlang beherrschten die Anti-Atom-Proteste die Berichterstattung aus dem politischen Berlin. Und während Union und FDP an der Laufzeitverlängerung der AKW feilten, erweiterte Jochen das Repertoire der Anti-Atom-Bewegung um die einst gegen Pershing-Raketen erprobte Protestform der Menschenkette. 120 Kilometer, so seine Vision, vom AKW Brunsbüttel bis zum Pannenmeiler Krümmel. Manch große Umweltorganisation riet ob der Gefahr des Scheiterns eindringlich ab. Jochens Zugkraft und Überzeugung aber riss genug andere mit. Am 24. April 2010 formierten sich 120.000 Menschen entlang der Elbe zum längsten Anti-AKW-Protest in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Laufzeitverlängerung verhinderte das zunächst zwar nicht. Das Protestfass aber war voll bis an den Rand. Der Super-GAU von Fukushima brachte es zum Überlaufen – und der nachfolgende Protest Hunderttausender läutete Merkels Atom-Wende ein. Fast die Hälfte der damals noch laufenden AKW ging sofort vom Netz.
Auch der Protest gegen ein Atommüll-Lager im Gorlebener Salzstock, den Jochen jahrzehntelang mit prägte, führte 2020 zum Erfolg. Das hielt Jochen nicht davon ab, den Finger weiter in die Atommüll-Wunde zu legen: Niemand konnte die Defizite und falschen Versprechungen des laufenden Standortsuchverfahrens präziser benennen als er.
Jochens Sachverstand und seine Begeisterungsfähigkeit werden uns fehlen, genau wie sein Dickkopf und seine Überzeugungskraft, seine Klarheit, sein Einsatz, seine Verantwortungsbereitschaft und sein großes Herz. Sein meist untrügliches Gespür für politische Gelegenheiten. Und seine immense Erfahrung, wie Protest erfolgreich Einfluss auf politische Konflikte nehmen kann.
Noch am Freitag haben wir mit Jochen zusammen die .ausgestrahlt-Themen und ‑Aktionen der nächsten Monate geplant. Gemeinsam haben wir die Weichen für die Neuausrichtung von .ausgestrahlt gestellt, die mit dem Abschalten der letzten AKW Ende 2022 ansteht. Auf diesen historischen Erfolg, das Aus der letzten drei von einst 36 AKW, hat Jochen über Jahrzehnte hingearbeitet, die letzten 14 Jahre zusammen mit .ausgestrahlt. Dass er diesen Moment nun nicht mehr erleben und mit uns feiern kann, trifft uns mehr als schmerzvoll.
Jochen war sich bewusst, dass seine bestehende Herzerkrankung sein Leben irgendwann abrupt beenden könnte. Von Plänen und Projekten hielt ihn dies nicht ab. Am Samstag, den 15. Januar 2022, ist er im Alter von 56 Jahren plötzlich und viel zu früh gestorben.
Die Lücke, die Jochens Tod reißt, ist groß, auch bei .ausgestrahlt. Aber .ausgestrahlt hat stets davon profitiert, dass es auf vielen Schultern ruht und alle, Mitarbeiter*innen wie Ehrenamtliche, ihr Engagement und ihre Kompetenzen einbringen. Das werden wir auch weiterhin tun: .ausgestrahlt wird seine Anti-Atom-Arbeit – auch im Sinne Jochens – weiterführen. Selbst nach dem Abschalten der letzten AKW Ende des Jahres bleibt da jede Menge zu tun, vom Umgang mit dem Müll bis zu den noch laufenden Atomfabriken, von der atomfreundlichen EU-Taxonomie bis zum Wiederaufflackern irrer Atom-Träume unter dem Deckmantel angeblichen Klimaschutzes.
Daneben gilt es, die Errungenschaften und Erfolge der Anti-Atom-Bewegung, die weit über das Atom-Thema hinausstrahlen, zu sichern und als das zu benennen, was sie sind: Der Beweis, dass es sich lohnt, selbst für zunächst utopisch erscheinende Ziele zu kämpfen. Der Beweis, dass, wenn sich die scheinbar Ohnmächtigen zusammenschließen und sich wehren, es die scheinbar Mächtigen unendlich schwer haben, ihre Pläne durchzusetzen. Das war einer von Jochens Lieblingssätzen. Wir werden ihn nicht vergessen.
Die Trauerfeier und Beisetzung von Jochen finden im engsten Kreis statt. Daneben wird es vor Ostern einen öffentlichen, Jochen-gemäßen Abschied geben, den .ausgestrahlt mit vorbereitet. Näheres dazu werden wir rechtzeitig bekanntgeben. Auf ausgestrahlt.de/jochen findest Du Ende nächster Woche noch einen ausführlicheren Nachruf.
Darüber hinaus wollen wir Erinnerungen an Erlebnisse mit und Gedanken zu Jochen zusammentragen und ggf. auch öffentlich teilen. Möchtest Du daran mitwirken, schicke Deinen Beitrag gerne an jochen@ausgestrahlt.de. Bitte schreib jeweils dazu, ob wir ihn – ggf. mit Namen oder anonym – veröffentlichen dürfen oder nicht.
Drei Organisationen war Jochen besonders verbunden. Spenden an diese wären in Jochens Sinn:
- .ausgestrahlt und die von .ausgestrahlt initiierte Stiftung Atomerbe
- die Bewegungsstiftung
- die BI Lüchow-Dannenberg
Die Arbeit der Stiftung Atomerbe kannst Du hier mit einer Spende unterstützen.
Herzliche Grüße
Armin Simon
und das ganze .ausgestrahlt-Team“
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