Hamburg und der Kohleausstieg: Mit Abwärme und Flusswärmepumpen – aber auch mit Erdgas und Holz

Hamburg und der Kohleausstieg: Mit Abwärme und Flusswärmepumpen – aber auch mit Erdgas und Holz

Der Hamburger Senat und die rekommunalisierten Hamburger Energie Werke (HEW) haben heute das Konzept zum Ausstieg aus der Kohleverbrennung für die Wärme- und Stromversorgung vorgestellt. „Verschiedene klimaneutrale Wärmelösungen“ sollen dazu eingesetzt werden, dazu „gehören u.a. Abwärme aus Industrie und Müllverbrennung, Power-to-Heat und vor allem Flusswärmepumpen, die Wärme aus der Norderlebe und der Bille gewinnen sollen.“ Aber auch „Erdgas oder nachhaltige Biomasse aus Rest- und Schadholz“ sollen „zur Absicherung der Wärmeversorgung in Spitzenlastzeiten“ eingesetzt werden. Bereits gestern hatten über 30 Umwelt- und Klimaschutzorganisationen die Verbrennung von Holz und Gas als Mittel des Kohleausstiegs heftig kritisiert. Die beiden Wärmepumpen sollen zusammen rund 230 Megawatt Leistung haben. Insbesondere hier wird sich zeigen müssen, ob aus Konzepten Realität wird. Beim Ersatz des Heizkraftwerks Wedel wurde der Einsatz einer solchen Pumpe an der Dradenau immer weiter reduziert. Konkrete Informationen über die einzelnen technischen Komponenten des Konzept sind nicht veröffentlich worden.

  • Die Umweltbehörde erklärt ihr Konzept in einer PM auf dieser Seite.
  • Über 30 Klimaschutz-Organisationen fordern: Hamburg: Raus aus Kohle, Erdgas und Holz!
  • Stephan Jersch von der Linksfraktion Hamburg nimmt hier Stellung. Hier gibt es eine umfassende Kritik des Hamburger Energietisches.
  • Mitglieder der ehemaligen Volksinitiative Tschüss Kohle hatten in den letzten knapp zwei Jahren weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit mit den Behörden und Unternehmen über einen Ausstieg aus der Tiefstack-Kohle gesprochen und Alternativen diskutiert. Eine Verlängerung des Begleitgremiums, wie es die Behörde vorgeschlagen hatte, kommt aber nicht zustande. TK hat mit dieser PM auf das Ergebnis (siehe unten) reagiert. Eine Stellungnahme von TK zu den Vorstellungen von HEW ist hier direkt zu finden (PDF). Dort wird auch zum unter Geheimhaltung/Vertraulich erfolgten Begleitprozeß Stellung genommen. So wird festgestellt, dass „im vertraulich tagenden Gremium umfassend über die technischen Rahmenbedingungen und den Fortschritt bei der Konzeptentwicklung informiert und eine große Bereitschaft zur Auskunft gezeigt“ wurde. Ein gemeinsames Ergebnis hat dieser Prozeß aber offenbar nicht zur Folge, denn am Ende steht keine gemeinsame Zusammenfasung oder Bewertung. Auch ein Konsens/Dissens-Papier hätte ja ein gemeinsame Bewertung über den Prozeß sein können, den die damalige Volksinitiative Tschüss Kohle als Kompromiss mit Senat und Bürgerschaft vereinbart hatte. UPDATE: TK informiert als Reaktion auf meinen Hinweis, dass es eine gemeinsame Bewertung gibt, die aber weder der Senat noch das Unternehmen veröffentlich haben und auch TK erst jetzt nachreicht. Direkt jetzt hier als PDF. Vielleicht auch eine Art Hinweis? umweltFAIRaendern stellt das hier ungelesen online zur Verfügung.

Dokumentationen:

Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan und der Geschäftsführer der Hamburger Energiewerke Christian Heine (HEnW) haben heute den aktuellen Stand des Konzept zur Vollendung des Hamburger Kohleausstiegs vorgelegt. Das Heizkraftwerk Tiefstack soll als letztes Hamburger Kohlekraftwerk durch verschiedene klimaneutrale Wärmelösungen ersetzt werden. Dazu gehören u.a. Abwärme aus Industrie und Müllverbrennung, Power-to-Heat und vor allem Flusswärmepumpen, die Wärme aus der Norderlebe und der Bille gewinnen sollen.

Zusätzliche Wärmelieferungen kommen aus Abwärme der Kupferhütte Aurubis sowie der Müllverwertung Borsigstraße, die durch technologische Innovationen die Wärmelieferung künftig deutlich erhöhen kann. Zur Absicherung der Wärmeversorgung in Spitzenlastzeiten wird das bestehende Heizkraftwerk Tiefstack auf den wahlweisen Einsatz von Erdgas oder nachhaltiger Biomasse aus Rest- und Schadholz umgestellt. Eine neue Wind-zu-Wärme-Anlage, ein großer Wärmespeicher sowie ein saisonaler Aquiferspeicher erhöhen die Flexibilität und runden das Konzept ab.
Jens Kerstan, Senator  für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft: „Das vorgestellte Konzept für den vollständigen Kohleausstieg ist ein Quantensprung für die Fernwärmeversorgung der Zukunft. Wie auch bei der Abwasserwärmepumpe des Energiepark Hafens, setzen wir mit dem Energiepark Tiefstack und der vorgeschlagenen Flusswasserwärmepumpe bundesweitweit Maßstäbe. Wichtige Teile zum aktuellen Stand des Konzepts müssen noch vertiefte Machbarkeitsuntersuchungen durchlaufen, doch ein großer Teil befindet sich schon jetzt in konkreter Umsetzung: Die Abwärme aus Aurubis und die zusätzliche Wärmeauskopplung aus der Müllverbrennungsanlage Borsigstraße werden bereits 2025 in vollem Umfang zur Verfügung stehen und den Einsatz von Kohle in Tiefstack deutlich reduzieren. Wir werden damit den Anforderungen des Hamburgischen Klimaschutzgesetzes gerecht, den Einsatz von Kohle bis zum endgültigen Ausstieg weitestgehend zu reduzieren. Der Kohleaussteig soll bis spätestens 2030 vollzogen sein – mit dem vorgestellten Konzept sehen wir die Chance, den Ausstieg ein bis zwei Jahre früher möglich zu machen. Mein besonderer Dank gilt dem Beteiligungsgremium, das über anderthalb Jahre maximal in Anspruch genommen wurde. Dieser vorbildliche Beteiligungsprozess hatte den Anspruch, die Schritte und Planungen nachvollziehbar darzulegen und wichtige Impulse mitzugeben. Dies ist uns gelungen.“
Christian Heine, Sprecher der Geschäftsführung der Hamburger Energiewerke: „Das vorliegende Konzept für den Energiepark Tiefstack ist innovativ, klimafreundlich und erlaubt maximale Flexibilität bei der Auswahl der Wärmequellen. Wir erleben aktuell turbulente Zeiten an den Energiemärkten, die uns zeigen, dass Klimaschutzmaßnahmen auch einen Beitrag zur Unabhängigkeit von Brennstoffimporten und der Bezahlbarkeit von Wärme leisten können. Niemand weiß heute genau, wie sich die Energiepreise in naher Zukunft weiter entwickeln werden. Wir haben aber mit dem Konzept eine nachhaltige und belastbare Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit und stellen uns damit gern der öffentlichen Diskussion.“
Mit der Fertigstellung des Energieparks Tiefstack sinken die CO2-Emissionen der zentralen Hamburger Stadtwärmeversorgung gegenüber heute um 70 bis 80 Prozent. Der Kohleausstieg wird bis spätestens 2030 umgesetzt. Die Hamburger Energiewerke leisten mit den Energieparks Hafen und Tiefstack den größten Einzelbeitrag zum Erreichen von Hamburgs Klimazielen.
Den größten Anteil grüner Wärme sollen künftig Flußwärmepumpen zum Energiepark Tiefstack beisteuern, die ihre Wärme überwiegend aus Bille und Elbe gewinnen. Die beiden Wärmepumpen können mit zusammen rund 230 Megawatt Leistung 130.000 Haushalte mit grüner Wärme versorgen und wären derzeit die größten in Deutschland geplanten Anlagen.
Der Vorstellung des Konzepts ging ein eineinhalbjähriger Beteiligungsprozess voraus. Zehn Workshops liegen hinter dem Tiefstack Beteiligungsgremium. Zahlreiche Varianten für den Ersatz des letzten verbliebenen Hamburger Kohlekraftwerks wurden mit den Expertinnen und Experten aus zivilgesellschaftlichen Organisationen, Wissenschaft, Gewerkschaften und Unternehmensverbänden diskutiert. Jetzt liegt ein Konzept der Hamburger Energiewerke unter Mitwirkung von Hamburg Institut, BET und GEF vor, das aufzeigt, wie der Kohleausstieg in der Hansestadt gelingen kann. Der Energiepark Tiefstack wird künftig den Hamburger Osten mit überwiegend klimaneutraler Wärme versorgen und dafür vor allem vorhandene Wärmequellen der Metropole Hamburg nutzen.
Dieses Konzept stellt sich nun auch der Diskussion in der breiten Öffentlichkeit.
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Tiefstack: BUND fordert konsequenteren Ausstieg aus der Verbrennung fossiler Energie

17. Juni 2022 | Energie, Klimaschutz

Geplante Flusswärmepumpen sind innovativ / Gasoption ist verantwortungslos / Klimaschutz in der Wärmeerzeugung muss wichtiger sein als Wirtschaftlichkeit

Zur heutigen Vorstellung des Konzepts zum geplanten Kohleausstieg im Kraftwerk Tiefstack kritisiert der BUND Hamburg insbesondere, dass Hamburg bis zu 30 Prozent weiterhin auf Verbrennung setzt, um die Kohleverfeuerung zu ersetzen. Die geplanten Flusswärmepumpen hingegen seien zukunftsweisend und für eine Stadt am Wasser der richtige Weg, um in Kombination mit Industrieabwärme, Sonne und Wind aus der Verbrennung von fossiler Energie und Biomasse auszusteigen.
„Hamburg ist auf dem richtigen Weg, um im Wärmesektor klimaneutral zu werden, geht diesen jedoch nicht konsequent“, kritisiert Lucas Schäfer Geschäftsführer des BUND Hamburg. „Der Ukrainekrieg führt uns schmerzhaft vor Augen, dass Erdgas als Übergangstechnologie für den Kohleausstieg nicht in Frage kommen kann. Die Alternative „Flüssiggas“ ist derart umweltschädlich, dass es verantwortungslos ist, diesen Brennstoff im großen Stil in Kraftwerken zu einzusetzen“, so Schäfer weiter.
Dasselbe gelte für die Verbrennung von Biomasse, die in ausreichender Menge als Rest- und Schadholz für den Betrieb von Kraftwerken nicht zur Verfügung stehe. Es gebe dafür mehr als genug Bedarf in kleineren Feuerungsanlagen, aber auch die chemische Industrie melde angesichts der aktuellen Entwicklung des Öl- und Gasmarktes bereits Bedarf an.
„Hamburg sollte sich die Umrüstung von Tiefstack auf die Verbrennung von Holz- und Gas komplett sparen und für den Bedarf in Spitzenlastzeiten komplett auf flexible Wärmespeicher setzen. Das ist vielleicht teurer, aber der Klimaschutz darf nicht am Geld scheitern. Das sind wir den nachfolgenden Generationen schuldig“, so Lucas Schäfer.
Neben einem konsequenten Verzicht auf die CO2-Emissionen im künftigen Energiepark Tiefstack fordert der BUND deshalb eine kurzfristige Alternativenprüfung aus wirtschaftlicher Sicht sowie eine auf Hamburg bezogene Analyse aller Einsparpotenziale im Wärmesektor. Beides zusammen müsse im neu eingesetzten Hamburger Energiewendebeirat fachöffentlich diskutiert werden.
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Kohleausstieg bis 2028 ist machbar – HEnW Konzept transparent und konstruktiv diskutieren

Die heutige Vorstellung des technischen Konzepts der Hamburger Energiewerke  (HenW) für die Fernwärmeversorgung ohne Kohleverbrennung am Standort Tiefstack bildet den Abschluß der Tätigkeit im „Beteiligungsprozess Tiefstack“.

(Hinweis: mit diesem link kommt man auf die Konzept-Präsentation der HEnW)

Als Teil der Projektgruppe Tschüss Kohle als Nachfolge der damaligen Volksinitiative haben vier Vertreter*innen der „Kampagne #TschuessKohle“, des Zukunftsrats und des „Zentrum für Mission und Ökumene – Nordkirche weltweit“ innerhalb von 18 Monaten an zehn Arbeitssitzungen und drei Debattenworkshops im Beteiligungsgremium Tiefstack (BGT) teilgenommen. Die Projektgruppe Tschüss Kohle hat eine Stellungnahme zum Konzept der HEnW und sowohl zum Ablauf als zum Ergebnis des Prozesses verfaßt, die hier abrufbar ist.

Die HEnW hat zügig und konzentriert ein Konzept entworfen, das ab heute öffentlich diskutiert werden kann. Wir rufen die Zivilgesellschaft auf, sich an der Diskussion zu beteiligen.

In Anbetracht der fortschreitenden Klimakrise muss der Fokus auf der Verdrängung von Wärmeerzeugung durch klimaschädliche Verbrennung liegen.
Daher halten wir die schnelle Realisierung der beiden geplanten Flusswasser-Wärmepumpen unabhängig von der finalen Entscheidung über das Gesamtkonzept für erstrebenswert.
Wir kritisieren, dass holzartige Biomasse als klimaneutral berechnet wird, und begrüßen daher, dass die Entscheidung über den Einsatz von Biomasse noch nicht gefallen ist.

Als Versäumnis sehen wir, dass die BUKEA den vertraulichen Beteiligungsprozess nicht durch eine öffentliche Diskussion der zentralen Fragen ergänzt hat. Daher muss die BUKEA die öffentliche Debatte jetzt schnell und leicht zugänglich aufsetzen.

Hamburg, den 27.6.2022, Projektgruppe Tschüss Kohle

Dirk Seifert