Ärzt:innen der IPPNW warnen: Atomenergie ist Hochrisikotechnologie!

Ärzt:innen der IPPNW warnen: Atomenergie ist Hochrisikotechnologie!

Die „Deutsche Sektion der Internationalen Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzt*innen in sozialer Verantwortung“ (IPPNW) ist derzeit gefragt. Kein Wunder, denn die Gefahr eines Atomkrieges wird immer wahrscheinlicher und auch bei der vermeintlich zivilen Atomenergie zeigt sich spätestens seit dem Ukraine-Krieg, dass Atomkraftwerke oder Zwischenlager mit hochradioaktivem Atommüll im Terror- und Kriegsfall zu Angriffszielen werden können. Bereits bei den Anschlägen 911 in den USA war zunächst von dem Terrorkommando der Angriff auf ein AKW geplant. Der „Schutz gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter (SEWD)“ – wie der Terrorschutz in der Atomverwaltung genannt wird – steht seit dem auf einer öffentlich meist verdängten To-Do-Liste ganz weit oben. Gegen gezielte Angriffe mit schweren Waffen aber, so die zuständigen Bundesbehörden, ist ein wirksamer Schutz nicht möglich. Große Teile Mittel- und Westeuropas könnten infolge eines solchen Angriffs auch ohne Einsatz von Atomwaffen unbewohnbar werden, wenn in der Ukraine, Ungarn, Bundesrepublik oder Belgien eine Atomanlage angegriffen würde. Dennoch wollen AfD, CDU/CSU und FDP diese totalitäre Atomenergie trotz wachsender Krisenlagen sogar länger laufen lassen. Die Ärzt:innen der IPPNW warnen: Atomenergie ist eine Hochrisikotechnologie! Wenn wir schon Klimakatastrophe haben, brauchen wir den Atomkrieg nicht mehr fürchten?

Dokumentation: IPPNW-Pressemitteilung vom 04. August 2022

Atomenergie ist eine Hochrisikotechnologie, sie kann die Gasmangellage nicht beheben

Debatte um die Laufzeitverlängerung

04.08.2022 Die Ärzteorganisation IPPNW kritisiert die aktuelle Debatte um die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken in Deutschland scharf und spricht sich gegen einen Weiterbetrieb aus. Seit dem „Atomausstieg“ im Jahr 2011 mit der Begründung der unberechenbaren Sicherheitsrisiken im AKW-Betrieb ist das Sicherheitsrisiko der Atomkraftwerke nicht kleiner, sondern größer geworden. Die drei am Netz verbliebenen Atomkraftwerke haben ihre Betriebsdauer von 30 Jahren überschritten. Zudem erlaubten die Atomaufsichtsbehörden den Betreibern Abstriche auf Sicherheitsüberprüfungen, Nachrüstungen und Reparaturen.

In den Reaktoren der AKW Neckarwestheim und Lingen wurden in den vergangenen Jahren immer wieder Risse in den Dampferzeugern entdeckt. Ursache ist eine Spannungsrisskorrosion in den Dampferzeugerrohren, die im ungünstigen Fall einen Supergau auslösen kann. Im AKW Neckarwestheim sind bereits mehr als 300 Risse bekannt. Lokale Atomkraftgegner*innen haben zusammen mit der Antiatominitiative „ausgestrahlt“ Klage gegen den Weiterbetrieb erhoben.

„Atomkraft ist eine Hochrisikotechnologie. Innerhalb von 32 Jahren gab es drei große Atomkatastrophen: Three Mile Island (USA), Tschernobyl (Ukraine) und Fukushima (Japan). Das heißt im Durchschnitt eine große Katastrophe alle 10 bis 11 Jahre“, erklärt die IPPNW-Vorsitzende Dr. Angelika Claußen.
Das deutsche Atomgesetz fordert für alle in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke alle 10 Jahre eine periodische Sicherheitsüberprüfung nach dem neuesten Stand von Wissenschaft und Technik. Für Isar 2 hat die letzte Überprüfung 2009 stattgefunden. Bereits 2019 hätte die nächste Überprüfung stattfinden müssen, wurde aber im Hinblick auf die geplante Abschaltung 2022 ausgesetzt. Für eine Neugenehmigung bestehen seit 2014 europaweit höhere Sicherheitsanforderungen. Ein sog. Streckbetrieb wäre nur unter Inkaufnahme von erheblichen Sicherheitsrisiken möglich.
Nach geltendem Atomrecht müssen die Atomkraftwerke Isar 2, Lingen und Neckarwestheim Ende des Jahres vom Netz gehen. Noch im März 2022 hatten das Bundesumweltministerium und das Bundeswirtschaftsministerium die Möglichkeiten einer Laufzeitverlängerung geprüft und kamen zur Einschätzung, dass mit dieser Maßnahme weder die Gasmangellage gelöst werden könne, noch dass dies angesichts der wirtschaftlichen, verfassungsrechtlichen und sicherheitstechnischen Risiken vertretbar sei. Der Präsident für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung Wolfram König befürchtet, dass ein weiterer Aspekt der Überprüfung eine komplette Umkehr des Atomausstiegsbeschlusses bedeuten könne.
Selbst eine kurze Laufzeitverlängerung hat massive haftungsrechtliche Konsequenzen: Da der Betrieb von Atomkraftwerken ab Jahreswechsel verboten ist, wäre eine Gesetzesänderung nötig. Bisher wurden von den AKW-Betreibern das Haftungsrisiko für mögliche Unfälle übernommen. Dagegen ist der Nutzen aus einer kurzfristigen Verlängerung der Laufzeiten äußerst gering, denn der Anteil an der Stromversorgung beträgt in Deutschland zurzeit nur ca. 6 Prozent. Zur Lösung des Gasmangels kann das nicht beitragen.
Grund für den jetzt neu angesetzten Stresstest durch das Wirtschaftsministerium scheint die Tatsache zu sein, dass die Hälfte der französischen Atomkraftwerke seit ca. 6 Monaten vom Netz genommen werden mussten, wegen sicherheitstechnischer Gefahren durch Korrosionsprozesse in den Kraftwerken und fehlendem Kühlwasser als Folge der Klimakatastrophe. Deutschland stabilisiert das französische Versorgungsnetz durch kräftige Stromexporte. Neben Exporten aus Erneuerbaren Energien flossen allein im Juni 2022 1,7 Milliarden Kilowattstunden Strom aus deutschen Gaskraftwerken nach Frankreich, um den Atomstromausfall der französischen AKW’s zu kompensieren.
Das Beispiel der französischen Atomindustrie zeigt das ganze Dilemma der Atomkraftdebatte. Die fortgesetzte Nutzung von Atomkraft blockiert die dringend notwendige Energiewende, in Frankreich, Deutschland und ganz Europa. Atomkraft ist träge, sie kann nicht kurzfristig zurückgefahren werden, wenn Erneuerbare Energien gerade im Überfluss zur Verfügung stehen. Kaum ein Land hat so große Probleme, ausreichend eigenen Strom zu produzieren, wie Frankreich. Um der Gasmangellage in Deutschland zu begegnen, muss jetzt Gas eingespart werden, seitens der Wirtschaft und der Verbraucher*innen. Die Energiewende muss beschleunigt werden durch Investitionen in Energieeffizienz und Erneuerbare Energien. Das gilt für ganz Europa.

Dirk Seifert

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