Gorleben, ein Wunder, ein Buch, gegen Atomgefahren – und für bessere Alternativen
Da hat einer die Geschichte vom Anti-Atom-Kampf und vom Atomausstieg quergebürstet. Geschichte wird nicht als kontinuierlicher Ablauf erzählt, sondern hier geht es um Stränge, Handlungsfelder, Glücks- und Unglücksfälle sowie “Dis-Kontinuitäten”, wie Autor Wolfgang Ehmke in seinem letzten Buch “Das Wunder von Gorleben” das Konzept bzw. die Gliederung beschreibt. Es ist vielleicht auch ein Werk, über ein Leben im spannenden Widerspruch. Immer wieder Gorleben und von hier aus geht der Blick in die vielfältigen Ereignisse und Kämpfe in Sachen Atomgefahren – den Widerstand dagegen und für Alternativen: Die Energiewende. Gorlebens Beitrag zu dieser Wende von Atomwahnsinn zum ersten zweiten Atomausstieg bis zu den Erneuerbaren, dazu bietet Ehmke viele viele Fakten, Hintergründe, Betrachtungen, und Verknüpfungen. Ganz schön viel, auf knapp über 150 Seiten. Vielschichtig und doch fundiert jongliert Ehmke durch eine verdammt bewegte und komplexe sozialwissenschaftliche Erzählung, natürlich ein Beitrag der antinuklearen Gegenwehr, in der Gorleben nur ein Bezugspunkt einer globalen Atomgefahr ist. Lesen bildet, einwandfrei!
Die Perspektiven auf die Jahrzehnte leidenschaftlicher Proteste und erbitterter Kontroversen, in Gorleben und Ost und West, in Deutschland, Europa und der Welt – Dimensionen, Aspekte, Perspektiven. Da braucht es viele und vieles, um das Wunder zu beschreiben. Kein Wunder, dass so viele Atomorte landauf landab miteinander verbunden werden.
Anti-AKW-Bewegung – Anti-Atom-Bewegung. Atomstrom und Atomwaffen – so kennzeichnet Ehmke die beiden Seiten der Atomenergie zwischen Reaktor und Bombe. Natürlich muss dabei Plutonium eine Rolle spielen, denn nach der gescheiterten Plutoniumfabrik in Gorleben, muss noch mal eine solche Anlage in Wackersdorf scheitern und dann noch ein Schneller Brüter in Kalkar und eine Plutoniumbrennelemente-Fabrik von Siemens in Hanau. “Plutoniumwirtschaft ist vom Tisch”, lautet das wichtig und erfolgreiche erste Zwischenergebnis.
Auch wenn der Atomausstieg in Deutschland zuletzt noch mal neue Beulen bekommen hat und Uranfabriken das nukleare Aus in Deutschland noch behindern: Der schrittweise Atomausstieg nach Fukushima, das Ende von Gorleben als Endlager: Meilensteine nicht nur einer Bürgerbewegungsgeschichte. Immer wieder war Gorleben dabei als Kultur- und Widerstandszentrum relevant, als Bezugsrahmen für europäische Atomenergie – Plutoniumtransporte aus Frankreich und Sellafield – als Demokratieort gegen Machtpolitik.
Ehmke beleuchtet, wie gleichartig in Ost und West – im realen Sozialismus und Kapitalismus – die Atomenergie mit Heilserwartungen voller Segnungen bis in die 1970er Jahre gepredigt wurde, bis dann Realität und Katastrophen den nuklearen Wahnsinn aufzeigten. Tschernobyl. Aber auch Harrisburg. In “Getrennte Systeme – geteilte Utopien” zeichnet Ehmke Spuren des Wettlaufs der Systeme nach. Tschernobyl, nicht nur eine nukleare Katastrophe und weltweite Debatte um Sicherheitsfragen und Versagen der Atomenergie. Auch ein Grund für die DDR und eine Wandlung dort, von der Ehmke berichet. Unweit von Gorleben und der innerdeutschen Grenze endet schließlich der Bau des DDR-AKW in Stendal.
Natürlich ist Gorleben und der Anti-Atom-Protest mit den Castor-Transporten verbunden. Und nicht nur dort, als nationaler Fokus des globalen Atomdesasters. An immer mehr Orten werden alle Arten von Atomtransporten nicht nur zur Beschreibung von Atomgefahren Thema. Auch regionale Handlungsperspektiven für Atomproteste vervielfältigen sich. “Atomtransporte everywhere” heißt es bei Ehmke. Die nächsten Castoren – als kleiner Ausblick in die nächste Zukunft, werden vermutlich von Jülich und München-Garching – nicht nach Gorleben – sondern nach Ahaus rollen.
Gorleben, Anti-Atom, Wackersdorf: Immer wurde gesungen! In Whyl, in Brokdorf, in Grohnde …. Anti-Nukleare-Kulturgeschichte: Rock, Pop, Klassik. Plakate. Natürlich im Süden wie im Norden: Walter Mossmann. Und eines gehört immer mit dazu, wenn von Gorleben die Rede ist: Ort von Widerstandskultur, bis hin zur kulturellen Landpartie, deren Vorgänger radikale “Tänze auf dem Vulkan” feierten, Malefitz oder Benefiz, Rainer von Vielen aus dem Allgäu im Wendland: “Tanz deine Revolution”. Ein besonders schönes Kapitel, das vom Ausstieg aus dem Ausstieg, von Menschenketten und anderen Großdemonstrationen berichtet und das unter allen Umständen wichtig, schon weil sie selbst ein Wunder ist und also auch zu Gorleben und Anti-Atom gehört: “Hier spielt die Musik” und die Seiten davor und dahinter!
Und dann haben wir immer noch nicht so richtig erfahren, was es denn nun mit Gorleben und der Energiewende auf sich hat.
- Das Wunder von Gorleben von Wolfgang Ehmke ist bei Koehring erschienen und kann hier für den Preis von 9,80 Euro bestellt werden.
Dokumentation: Das Wunder von Gorleben
Klappentext:
Wyhl, Brokdorf, Kalkar, Grohnde, Wackersdorf – Erfolge und Niederlagen der Anti-Atom-Bewegung wechselten einander ab, lagen nah beieinander. Gorleben nimmt in dieser Kette keine Sonderrolle, aber eine besondere Rolle ein. Spätestens ab dem Zeitpunkt, wo Castor-Transporte ins Zwischenlager Gorleben rollten, mutierte das Wendland zu dem politischen und sozialen Ort, an dem das Ende der Atomkraft, aber auch das Aus für den angezählten Salzstock Gorleben als Endlager auf der Straße und der Schiene ausgehandelt wurde. Immer wieder!
Doch was wäre geschehen, wenn Ende der 70er Jahre die WAA in Gorleben trotz des Widerstands in der Region dennoch gebaut worden wäre? Mit einem Jahresdurchsatz von 1.400 Tonnen Schwermetall: Eine solche Anlage hätte die Versorgung von rund 50 Atomkraftwerken abgedeckt. Die BRD wäre dem Nachbarland Frankreich gleich ein Nuklearland geworden. Hätte man sich dann vorstellen können, dass Jahrzehnte später, nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima Daiichi, der Atomausstieg energiepolitisch möglich gewesen wäre?
Jahrzehnte nur Nutzbarkeit –
Jahrtausende Strahlungszeit;
Unwägbarkeiten beim Betrieb,
für Endlager die Aussicht trüb.
AKW adé ☢️ AUSGESTRAHLT
Gegen den GAU ist kein Land gefeit,
der Atomausstieg verhindert Leid.
Deutschland hat die Weichen gestellt,
beispielgebend für die ganze Welt.
Kernenergie war mal der Renner,
auserkoren als Dauerbrenner.
Atomstrom wurde huldvoll kreiert,
die Gefahren hat man ignoriert.
Das Energieproblem schien gelöst,
bis Tschernobyl den Traum zerstößt.
Fukushima brachte die Wende,
deutschen Reaktoren das Ende.
Wohin das strahlende Material?
Die Suche entwickelt sich zur Qual.
Atommüll ist nicht Stoff der Träume,
da öffnet man ungern die Räume.
Tonnen von radioaktivem Kies,
Aus für jedes Urlaubsparadies.
Lager gesucht für die Ewigkeit,
Grab für Relikte der Atomzeit.
Rainer Kirmse , Altenburg
Herzliche Grüße aus Thüringen