Mit Öffentlichkeitsbeteiligung: Uran-Brennstoff für Europas Atomstrom per russisch-französischer Freundschaft „Made in Germany“?

Mit Öffentlichkeitsbeteiligung: Uran-Brennstoff für Europas Atomstrom per russisch-französischer Freundschaft „Made in Germany“?

Nun doch. Die nukleare Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Russland am bundesdeutschen Standort im emsländischen Lingen geht in die atomrechtliche Öffentlichkeitsbeteiligung. Das wird aus Kreisen des niedersächsischen Umweltministeriums bestätigt, nachdem der Minister Meyer in einer Presseerklärung und vor Ort in Lingen bei der Abschaltung des AKW Emsland am 15. April davon gesprochen hatte. Klar ist jetzt: Es kommt zu einer zwei Monate dauernden öffentlichen Auslegung der atomrechtlichen Antragsunterlagen. Danach folgt, auf Basis einer Sichtung durch die zuständige Behörde und vor einer möglichen Genehmigung ein Erörterungstermin. Die Atomwirtschaft gilt grundsätzlich als strategische Infrastuktur. Daher dürfte auch die bundesebene zusätzlich politisch bewerten müssen, ob eine Beteilung von Russland an der Brennelementeherstellung in Lingen rechtlich und politisch zu verantworten ist.

Das Umweltministerium in Niedersachsen muss entscheiden, ob in der Uranfabrik Lingen künftig mit direkter russischer Hilfe besondere Brennelemente für den Einsatz von Atomreaktoren des russischen Typs VVER in Osteuropa hergestellt werden dürfen. Eigentümer der Uranfabrik ist über Framatome quasi der französische Staat. Auch in der EU wird intensiver gestritten, warum die Zusammenarbeit mit Russland im Nuklearsektor trotz Ukraine-Krieg und Sanktionen ohne jede Einschränkung weiter geht. Der BUND und andere Anti-Atom-Organisationen setzen sich nach der Abschaltung der Atomkraftwerke für den kompletten Atomausstieg in Deutschland ein. Daher müssten die Uranfabriken in Lingen und Gronau stillgelegt werden.

In einer PM zum Ende der Atomstromerzeugung in Deutschland und damit einem wichtigen Beitrag zur Abschaltung der Risiken einer globalen Nuklear- und Klimakatatastrophe, hatte der neue niedersächische Umweltminister Meyer  erklärt: „Zur Vollendung des Atomausstiegs macht sich das Land außerdem dafür stark, auch die Brennelementeproduktion in Lingen zu beenden. Vor allem setze sich das Land gemäß Koalitionsvertrag beim Bund dafür ein, dass grundsätzlich kein Uran aus Russland mehr an die Brennelementefabrik in Lingen geliefert wird: „Geschäfte mit Putin sollten beendet werden, das gilt auch und gerade für den Atombereich“, so Minister Meyer. „Die Urangeschäfte Russlands mit Lingen zeigen die hohe Abhängigkeit der europäischen Atomindustrie von Putins Russland. Dies durch Joint-Ventures, direkte oder indirekte Beteiligungen Russlands zu verfestigen, halte ich politisch angesichts Putins brutalem Energiekrieg gegen Europa für fatal. Es kann nicht sein, dass in Deutschland die letzten Atommeiler abgeschaltet werden, aber hier weiter Brennelemente produziert werden. Der beschlossene Atomausstieg muss jetzt auf allen Ebenen auch konsequent durchgezogen werden.“ Zu dem vom Betreiber ANF gestellten Antrag auf Fertigung von hexagonalen Brennelementen für osteuropäische Reaktoren russischen Typs wird vom Umweltministerium ein Verfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung eingeleitet.“

Nach vorliegenden Informationen wird daher nun mit dem Betreiber, der ANF Lingen, das weitere Genehmigungsverfahren vorbereitet, in dem die öffentliche Auslegung der Antragsunterlagen sowie ein Erörtertungstermin wesentliche Merkmale der atomrechtlichen Verfahrensordnung sind. Auch wenn eine Umweltverträglichkeitsprüfung nicht zwingend vorgeschrieben ist, steht es im Ermessen der Genehmigungsbehörde, eine Beteiligung der Öffentlichkeit bei Atomrechtsverfahren durchzuführen. Es liegt auf der Hand, dass das Genehmigungsverfahren für die russische Beteiligung an einer Genehmigung für eine französische Anlage zur Herstellung von Uran-Produkten im Hoheitsbereich der Bundesrepublik (und möglicherweise auch EU-Rechtlicher Aspekte) einiges an Öffentlichkeit rechtfertigt.

Auch im Sinne des Primats der Politik (der Öffentlichkeit?) und im Sinne des Koalitionsvertrags ist es folgerichtig, dass die niedersächsische – rot-grüne – Landsregierung und deren Umweltminister Meyer die von der ANF Lingen beantragte Neugenehmigung zur Herstellung besonderer Uran-Brennelemente zum Einsatz in VVER-Reaktoren russischer Bauweise auf den Prüfstand stellt und eine Öffentlichkeitsbeteiligung auf den Weg bringt, auch wenn diese Genehmigung nicht allein unter Anlagentechnische- und Strahlenschutzaspekte fällt.

Im November 2022 hatte das NMU – im Zeitraum zwischen den Landtagswahlen und Koalitionsverhandlungen – entschieden, dass der Antrag der ANF Lingen zur Herstellung von Uran-Brennelemten für VVER-Reaktoren russischer Bauweise keine Umweltverträglichkeitsprüfung brauche und daher eine atomrechtliche Öffentlichkeitsbeteiligung nicht zwingend vorgeschrieben wäre. (Link siehe oben, dort ist auch der Bescheid zu finden.) Allerdings kann die Genehmigungsbehörde trotzdem eine Öffentlichkeitsbeteiligung durchführen, wenn es andere gewichtige Gründe gibt.

Dirk Seifert

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