Deutsche – Grüne – Atompolitik: Produktionserweiterung bei Uranfabrik Lingen: Mit oder ohne Russland – keine Stilllegung?
Der französische Eigentümer der Uranfabrik im emsländischen Lingen will mit Unterstützung der russischen TVEL bzw. Rosatom künftig auch Brennelemente für den Einsatz in osteuropäischen Atomkraftwerken russischer Bauart herstellen. Bereits in der zweiten Jahreshälfte 2025 will die „Advanced Nuclead Fuels“ (ANF) entsprechende Uran-Brennelemente an Kunden in Osteuropa liefern, damit dort Atomstrom erzeugt werden kann. Um die Produktion in Lingen zu ermöglichen, haben Frankreich und Russland trotz des Kriegs in der Ukraine ein gemeinsames Unternehmen gegründet, welches für den Knowhow-Transfer zuständig ist, mit dem die ANF die Produktion starten kann. Dazu werden neben Uran-Brennstoffen auch Produktionsanlagen aus Russland kommen. Derzeit läuft für die Aufrüstung in Lingen das atomrechtliche Genehmigungsverfahren. Fast 11.000 Einwendungen wurden gegen diese Pläne erhoben. Zuständig ist das Umweltministerium in Niedersachsen, im Rahmen der Auftragsverwaltung des Bundes. Oberste Atombehörde ist das Bundesumweltministerium. Beide Behörden unter grüner Führung. An der Versorgung osteuropäischer Reaktoren russischer Bauweise mit Uran-Brennstoff ist die ebenfalls in Deutschland ansässige Uranfabrik der URENCO in Gronau über Westinghouse in Schweden schon beteiligt. Westinghouse macht das, was ANF Lingen will. Aber ohne russische Beteiligung.
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Grüne und Linke hatten in den letzten Jahren immer wieder die Stilllegung auch der Uranfabriken in Gronau und Lingen gefordert, da diese für den Weltmarkt Uran-Brennstoffe erzeugen und damit für den Weiterbetrieb der gefährlichen Atommeiler sorgen. Doch seit der Regierungsbeteiligung der Grünen in der Ampel-Koalition ist von einem Atomausstieg bei den Uranfabriken bei den Grünen nicht mehr die Rede. Natürlich: Die FDP hatte dafür gesorgt, dass das nicht im Koalitionsvertrag festgelegt werden konnte und auch die SPD hat dem zugestimmt.
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- Dem Bundesumweltminsterium liegen seit vielen Jahren Gutachten vor, die einen rechtssicheren Weg beschreiben, wie die Stilllegung der Uranfabriken in Lingen und Gronau atomrechtlich erfolgen kann, sodass auch die EU keine Probleme damit haben dürfte. Eine politische Mehrheit dafür gibt es in der Bundesregierung nicht. Im Koalitionsvertrag der Ampel gibt es keinerlei Aussagen zu diesem Thema. Uranfabriken stilllegen – Atomausstieg voranbringen – Anhörung im Bundestag
Während die französische Framatome in enger Kooperation mit der russischen Atomindustrie den Ausbau der Uranproduktion in Lingen anstrebt, wird im schwedischen Västeras von dem kanadisch geführten Unternehmen Westinghouse die Produktion von Uran-Brennelementen für Reaktoren russischer Bauart ohne bekannte Verbindungen zu Rosatom schon seit Jahren betrieben. Zu den Kunden der Uranfabrik in Schweden gehören auch Atomkraftwerke in der Ukraine. Das angereicherte Uran dafür stammt teilweise von der URENCO, die erst vor kurzem neue Lieferverträge mit der Ukraine für Urananreicherungen vereinbart hat.
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Aus Anlass einer Aktion in Hannover, bei der die Einwendungen gegen die Plände der ANF in Lingen der zuständigen Genehmigungsbehörde überreicht wurden, hatte Umweltminister Christian Meyer die Pläne der ANF kritisiert: „Die hohe Zahl der Menschen, die sich in dem Beteiligungsverfahren eingebracht haben, zeigt uns, dass es ein großes Interesse an dem Verfahren gibt. Bei Fragen, insbesondere der äußeren und inneren Sicherheit, werden wir den Bund um Stellungnahme bitten. Für mich steht weiterhin fest, dass wir den Einfluss Russlands auf den Energiebereich reduzieren müssen und nicht weiter verfestigen dürfen.“
Nicht die Stilllegung der Uranfabrik in Lingen und auch nicht die Absage an eine Erweiterung der Produktionspalette in Lingen steht demnach auf der grünen Agenda. Vielmehr sollte Framatome als Betreiber der ANF Lingen doch wie Westinghouse in Schweden auf eine Beteiligung Russlands verzichten. Im Landtag Niedersachsen argumentierte die grüne Abgeordnete Britta Kellermann denn auch: „Was Westinghouse schafft, muss doch auch für ANF möglich sein? Im Lingener Umweltausschuss berichtete ANF auf Nachfrage, dass es zwischen ANF und Westinghouse einen starken Wettbewerb gebe. Das kann doch aber kein Grund sein, die sicherheitspolitischen Interessen der Bundesrepublik einfach zur Seite zu schieben?“ (Siehe hier und unten als Dokumentation) Eingangs ihrer Rede hatte sie gesagt: „Es ist schon mal per se unbegreiflich, dass diese Fabrik vom Atomausstieg ausgenommen wurde. In der aktuellen geopolitischen Situation ist der Genehmigungsantrag, der jetzt beim Niedersächsischen Umweltministerium liegt, allerdings noch viel weniger nachzuvollziehen.“
- In der Argumentation vieler Anti-Atom-Gruppen sind die Pläne zur Produkt-Erweiterung in Lingen sehr stark auf die russische Beteiligung nach dem Angriff auf die Ukraine und die Besetzung des AKW Saporischschja durch russische Truppen und Beschäftigte des russischen Atomkonzerns Rosatom fokussiert worden. Die Forderung einer Stilllegung der Uranfabrik(en) in Verbindung mit den nuklearen Gefahren und Strahlenrisiken für Mensch und Umwelt durch den Weiterbetrieb von osteuropäischen AKWs russischer Bauweise (sogar in der Ukraine), geriet angesichts der Orientierung auf Sanktionen gegen Russland, bei denen ausgerechnet Atomgeschäfte ausgenommen sind, in den Hintergrund. Eine grüne Forderung, die Atomkraftwerke in der Ukraine und der Nähe der Kriegsregion abzuschalten, wäre naheliegend.
Auf Nachfrage zum Hintergrund der Genehmigungsanträge teilte das Ministerium gegenüber umweltFAIRaendern mit: „Es ist bekannt, dass ANF den Antrag zur Produktion von Brennelementen russischer Bauart gestellt hat und im Zuge dessen auf eine enge Lizenzfertigung mit Rosatom setzt. Bekannt ist, dass Tschechien Verträge für Brennstäbe mit dem US-Konzern Westinghouse und Produktion in Schweden ohne russische Beteiligung für seine Reaktoren russischer Bauart vereinbart hat: https://www.dw.com/de/tschechien-raus-aus-der-abh%C3%A4ngigkeit-von-russischen-brennelementen/a-64833598″. Weiter teilt die Pressestelle des NMU mit: „Selbst die Ukraine hat jetzt Brennstäbe außerhalb von Russland, ebenfalls aus schwedischer Produktion, für seine AKW im Einsatz: https://www.nuklearforum.ch/de/news/ukraine-erste-wwer-440-brennelemente-von-westinghouse-erhalten/“
Als nächster Schritt steht nun die atomrechtliche Erörterung der Einwendungen auf der Tagesordnung des Verfahrens. Ob dieses nur als Video-Veranstaltung oder als Live-Event vor Ort in Lingen stattfindet, ist noch nicht entscheiden. Das Umweltministerium in Niedersachsen erklärte auf Anfrage von umweltFAIRaendern: „Das prüfen wir gerade mit dem Bund, der auch die öffentliche Auslegung empfohlen hat und nach dem Atomgesetz auch in Verfahrensfragen das letzte Wort hat.“
In der NOZ wurde bereits im Januar 2024 (19.01.) berichtet: „ANF rechnet mit einer öffentlichen Anhörung im Mai. Eine Untersuchung zu Umwelteinflüssen und sicherheitstechnischen Auswirkungen sei bereits abgeschlossen und habe keine Veränderungen ergeben. Geht alles glatt, rechnet ANF mit einer Genehmigung im November 2024.“
Weiter heißt es in der NOZ: „Der Zeitplan, wie es weitergeht, ist aus Sicht von ANF klar gesteckt. „Die osteuropäischen Betreiber erwarten, dass wir Mitte 2025 liefern“, so Hoff. Verträge mit den Betreibern der Kernkraftwerke Kosloduji in Bulgarien und Temelin in Tschechien habe Framatome schon geschlossen. Aber, auch das betont der Manager: Von dem Produktionsvolumen sei der Fortbestand von ANF nicht abhängig.“
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Anrede,
im niedersächsischen Lingen betreibt das französische Unternehmen ANF eine Brennelementefabrik. Es ist schon mal per se unbegreiflich, dass diese Fabrik vom Atomausstieg ausgenommen wurde. In der aktuellen geopolitischen Situation ist der Genehmigungsantrag, der jetzt beim Niedersächsischen Umweltministerium liegt, allerdings noch viel weniger nachzuvollziehen.
Der ANF-Mutterkonzern Framatome ist kürzlich ein Joint Venture mit dem russischen Konzern TWEL eingegangen. Das Mutterunternehmen wiederum ist der russische Staatskonzern Rosatom. Es handelt sich um den Staatskonzern, der in Putins Auftrag das größte europäische AKW übernommen hat. Und zwar im umkämpften ukrainischen Saporischschja. Gegen den Willen der Ukraine. Der Kreml nimmt hier direkten Einfluss auf operationale Entscheidungen des Unternehmens. Und nicht nur das: Der Konzern wurde im Jahr 2007 durch ein Präsidenten-Dekret von Wladimir Putin persönlich gegründet.
Und dieser Staatskonzern hat sich nun also bereit erklärt, sein Wissen um die Fertigung von Brennelementen russischer Bauart mit ANF zu teilen. Und das, obwohl die osteuropäischen Staaten Bulgarien, Ungarn, Slowakei und Tschechien zu 100% und Finnland zu 35% von russischen Brennelementen abhängig sind. Warum gibt man eine solche Marktdominanz einfach auf? Diese Frage bleibt unbeantwortet.
Und wir halten es dennoch für wichtig, sie zu stellen.
Denn, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat uns in Europa unsere energiewirtschaftliche Abhängigkeit von Russland vor Augen geführt. Deutschland und Europa haben seit Beginn des Krieges erhebliche Anstrengungen unternommen, um Europa unabhängig von russischem Gas zu machen. Wir alle haben die wirtschaftlichen Folgen dieser Bemühungen gespürt und mitgetragen.
Durch eine Gas- und Strompreisbremse konnten die Auswirkungen für die Verbraucher*innen auf einem erträglichen Niveau gehalten werden. Dass die Energiepreise sich heute wieder einigermaßen stabilisieren ist ein großer Erfolg des Bundeswirtschaftsministeriums unter Minister Habeck.
Trotzdem spielt Russland weiterhin eine bedeutende Rolle in der europäischen Energieversorgung. Rund 20% des Urans für Betreiber aus Euratom Staaten kommt aus Russland. Rund 26% der Urananreicherungsdienstleistungen deckt Rosatom in der EU ab. 21 Kernreaktoren in der EU versorgt Rosatom mit Brennelementen. 24 AKW russischer Bauart befinden sich weltweit im Neubau. Davon nur vier in Russland selbst. Russland bietet den außereuropäischen Staaten außerdem die Rücknahme des abgebrannten Brennstoffs an. Das Verhalten des Konzerns ist auf aggressive Weise darauf ausgerichtet, die Welt abhängig von russischem Uran zu machen. Mit Erfolg. Denn neben China ist Russland in den letzten 10 Jahren zum größten Akteur der weltweiten Atomindustrie geworden.
Es ist naiv zu glauben, durch die Betätigung dieses Joint Ventures könne der Osten Europas sich unabhängig von der russischen Atomindustrie machen. Das Gegenteil ist der Fall. Der russische Staat weitet seine Dominanz durch diesen Schritt nur weiter aus. Die Brennelementefabrik in Lingen hat in der Vergangenheit Uran aus Russland und dem kremlnahen Kasachstan bezogen. Die ANF räumte im Umweltausschuss der Stadt Lingen ein, ich zitiere aus dem Protokoll „diese beiden Länder versorgen etwa 40 % des Weltmarktes. Das heiße aber auch, dass sich Westeuropa und auch die USA heute nicht von diesem Markt trennen könnten.“
Wir halten es auch deshalb für angebracht, die Frage nach der russischen Motivation zu stellen, weil Russland gegen die Ukraine einen hybriden Krieg führt. Dieser Krieg beschränkt sich nicht auf tatsächliche Kampfhandlungen. Desinformation, Propaganda und Cyberangriffe sind weitere Mittel in diesem Krieg. Und sie beschränken sich nicht auf die Ukraine selbst, sondern betreffen auch deren Verbündete.
Der russische Staat führt Desinformationskampagnen in und gegen Deutschland. Diese dienen der Destabilisierung der inneren Verhältnisse und der Verunsicherung strategischer Partner in der Welt. Zuletzt wurden durch das Auswärtige Amt 50.000 russische Fake-Accounts auf X aufgedeckt – und eine Videokonferenz führender deutscher Offiziere zur Frage der Taurus-Langstreckenraketen für die Ukraine abgehört und veröffentlicht.
Was bedeutet das Joint Venture für die innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik? Kann das russische Regime die Kenntnisse aus der Kooperation nutzen, um der Bundesrepublik Deutschland zu schaden? Oder eigene außenpolitische Interessen durchzusetzen? Das Niedersächsische Umweltministerium hat hier jedenfalls keine triviale Entscheidung zu treffen.
Bereits im September letzten Jahres hat das amerikanische Unternehmen Westinghouse die ersten Brennelemente russischer Bauart in die Ukraine geliefert. Gefertigt in Schweden. Ohne russische Beteiligung. Was Westinghouse schafft, muss doch auch für ANF möglich sein? Im Lingener Umweltausschuss berichtete ANF auf Nachfrage, dass es zwischen ANF und Westinghouse einen starken Wettbewerb gebe. Das kann doch aber kein Grund sein, die sicherheitspolitischen Interessen der Bundesrepublik einfach zur Seite zu schieben?
Der Fall zeigt aber auch, wie dringend nötig es schon seit langem ist, dass sich die EU darauf verständigt, die Sanktionen gegen Russland auch auf die Atomwirtschaft auszudehnen. Die Ukraine fordert dies schon lange. Denn der Kauf von russischem Uran finanziert den Krieg gegen die Ukraine mit. Ein bisschen mehr europäische Weitsicht in der Sanktionsfrage wäre auch für Niedersachsen gut gewesen. Denn, wenn die Sanktionen sich auch auf die russische Atomwirtschaft beziehen würden, stünde eine Genehmigung mit einer derart sicherheitspolitischen Tragweite, wie sie das Niedersächsische Umweltministerium jetzt zu treffen hat, gar nicht zur Debatte.
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