Hochradioaktiver Strahlenmüll in Brunsbüttel: Deutsches Atomrecht in der Warteschleife

Hochradioaktiver Strahlenmüll in Brunsbüttel: Deutsches Atomrecht in der Warteschleife

Hochradioaktiver Atommüll lagert im Zwischenlager Brunsbüttel trotz wachsender Terrorgefahren seit 2015 ohne ausreichende atomgesetzliche Genehmigung. Als einziges deutsches Zwischenlager für hochradioaktiven Atommüll aus der Stromerzeugung ist das Lager immer noch in der Verantwortung von Vattenfall und immer noch nicht unter dem Dach der staatlichen Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ). Die eigentliche, auf 40 Jahre angelegte Neu-Genehmigung ist immer noch in der Prüfung. Bereits 2017 hatte der Erörterungstermin stattgefunden. Vattenfall hatte lange Zeit geforderte Sicherheitsnachweise dem zuständigen Bundesamt nicht vorgelegt. Um endlich den Terrorschutz nachrüsten zu können, soll nun eine zweite, auf nur 10 Jahre befristete „Interimsgenehmigung“ her, aber auch hier ist das zuständige Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BaSE) immer noch am Prüfen. (Foto: Betreiber Vattenfall)

Auf Nachfrage von umweltFAIRaendern.de teilt BaSE jüngst mit: „Die von Ihnen erwähnte Interimsgenehmigung ist für weniger als 10 Jahre beantragt. Für diesen Fall sieht das Atomgesetz in § 2a Absatz 1a eine behördliche Vorprüfung vor, ob eine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich ist. Das BASE ist bereits am 16.11.2020 nach dieser Prüfung zu dem Ergebnis gekommen, dass für die Interimsgenehmigung keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen. Die weiteren Einzelheiten dieser Prüfung sind in einem Vermerk zusammengefasst, den Sie unter dem folgenden Link finden: https://www.base.bund.de/SharedDocs/Downloads/BASE/DE/genehmigungsunterlagen/zwischenlager-dezentral/kkb-uvu-uebergangsgenehmigung.pdf?__blob=publicationFile&v=2

Während für diese „Kurzgenehmigung“ also keine Umweltverträglichkeitsprüfung und damit keine Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen wird, ist in dem grundsätzlichen Verfahren eine solche durchgeführt worden. Wann mit der Interims- oder der grundsätzlichen Genehmigung zu rechnen ist, bleibt unbeantwortet.

In einem Streitpunkt zwischen BaSE und Vattenfall hat es inzwischen offenbar aber Fortschritte gegeben. Vattenfall hatte laut BaSE zunächst Sicherheitsnachweise nicht erbringen wollen, welche Auswirkungen der Betrieb eines LNG-Terminals für die Sicherheit des nuklearen Zwischenlagers haben würde. Damals waren lediglich erste Planungen für ein solches Terminal in Brunsbüttel bekannt. Nun teilt BaSE auf Nachfrage dazu mit: „Mögliche Einwirkungen durch Unfälle im Zusammenhang mit dem Betrieb des LNG-Terminals wurden – soweit dies auf dem jetzigen Planungsstand möglich ist – bewertet. Nur wenn diese Auswirkungen auf das zulässige Maß begrenzt sind, wird eine Genehmigung erteilt.“

Hintergrund: Bereits 2013 hatte das Oberverwaltungsgericht Schleswig die Genehmigung aufgehoben, weil Sachverhalte falsch ermittelt und nicht ausreichend nachgewiesen worden sind. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte 2015 dieses Urteil. Damit war die atomrechtliche Genehmigung aufgehoben. Nur im Rahmen einer Anordnung durch die Atomaufsicht in Schleswig-Holstein lagert der gefährliche Strahlenmüll direkt am AKW. Vattenfall ist damit der letzte Betreiber, der seinen hochaktiven Atommüll noch nicht an die BGZ übergeben hat.

Einer, aber nicht alle der Gründe, die zur Aufhebung der Genehmigung durch das OVG Schleswig führten, waren Belange des Geheimschutzes, die zum Bereich der Sicherung von Atomanlagen gegen Einwirkungen von außen gehören. Also Terrorschutz-Maßnahmen, die auch unter dem Kürzel SEWD geführt werden. In der Folge des Urteils hat der Bundestag schließlich in der 17. Atomgesetznovelle die Rechte der Atombehörden gegenüber Kläger:innen und Gerichten gestärkt. Demnach müssten die Gerichte es akzeptieren, wenn Nachweise von den Behörden nicht vorgelegt werden, wenn dies aus Geheimschutzgründen erforderlich ist.

Die 17. Atomgesetznovelle hatte der Anwalt Ulrich Wollenteit, der auch für die Klage in Brunsbüttel zuständig war, als verfassungswidrig bezeichnet: 17. Änderung Atomgesetz: Verfassungswidrig. Siehe auch hier.

Auch für den Atommüll aus dem ehemaligen Prototyp-Reaktor AVR in Jülich besteht derzeit eine unklare Genehmigungslage. In Lubmin muss wegen der nicht möglichen Nachrüstung des bestehenden Lagers für hochaktive Abfälle ebenfalls ein neues Lager gebaut und genehmigt werden.

Mehr zum Hintergrund

Hier noch mal die PM zum Urteil des OVG Schleswig als Dokumentation:

“OVG Schleswig hebt die Genehmigung für das Zwischenlager Brunsbüttel auf

Erscheinungsdatum: 20.06.2013

Nach zweitägiger mündlicher Verhandlung hat der 4. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts mit Urteil vom 19.6.2013 die atomrechtliche Genehmigung für das Standortzwischenlager des Kernkraftwerks Brunsbüttel wegen mehrerer Ermittlungs- und Bewertungsdefizite der Genehmigungsbehörde aufgehoben.

Die Genehmigung war vom Bundesamt für Strahlenschutz im November 2003 erteilt und für sofort vollziehbar erklärt worden. Sie erlaubt die Aufbewahrung von bestrahlten Brennelementen ausschließlich aus dem Kernkraftwerk Brunsbüttel in maximal 80 Castor-Behältern des Typs V/52 zum Zwecke der Zwischenlagerung bis zur Einlagerung in ein Endlager für einen Zeitraum von bis zu 40 Jahren ab der Einlagerung des ersten Behälters.

Die im Februar 2004 gegen die Genehmigung erhobene Klage eines Anwohners hatte der 4. Senat des OVG mit Urteil vom 31. Januar 2007 (4 KS 2/04) zunächst abgewiesen; dieses Urteil war aber vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 10. April 2008 (7 C 39.07) aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das OVG zurückverwiesen worden. Der Kläger hat gegen die Genehmigung des Zwischenlagers im Wesentlichen eingewandt, dass die Risiken terroristischer Angriffe u.a. durch gezielten Absturz eines Verkehrsflugzeuges sowie den Einsatz panzerbrechender Waffen gegen das Lager nicht hinreichend berücksichtigt worden seien. Insbesondere habe das beklagte Bundesamt nicht untersucht, welche Folgen Terrorangriffe auf das Lager in Form eines gelenkten Absturzes eines Airbus A380 und des Einsatzes moderner panzerbrechender Waffen der sog. dritten Generation für den Kläger hätten. Dem Gericht war ein wesentlicher Teil der Unterlagen der Genehmigungsbehörde unter Berufung auf Geheimhaltung nicht vorgelegt worden. Die Geheimhaltung war vom Bundesverwaltungsgericht im sog. in-camera-Verfahren größtenteils bestätigt worden.

In der mündlichen Urteilsbegründung führte der Vorsitzende des 4. Senats Habermann aus, das Bundesamt für Strahlenschutz habe es versäumt, die Folgen eines Absturzes eines Airbus A380 auf das Zwischenlager vor der Genehmigungserteilung zu ermitteln, obwohl die hierfür erforderlichen Daten vorlagen. Das Gericht habe offengelassen, ob dieses Ermittlungsdefizit durch eine nachträgliche Untersuchung der Behörde aus dem Jahr 2010 gegenstandslos geworden sei; insoweit bestünden aber jedenfalls Zweifel gegenüber der verwendeten Untersuchungsmethodik.

Ein weiteres Ermittlungsdefizit der Beklagten liege darin, dass im Genehmigungsverfahren bei der Untersuchung der Folgen eines Angriffs mit panzerbrechenden Waffen auf Castorbehälter offensichtlich nur ein älterer Waffentyp aus dem Jahr 1992 berücksichtigt worden sei, obwohl neuere Waffen eine größere Zerstörungswirkung auf das Inventar der Castorbehälter haben könnten und schneller nachladbar sind, was für die Trefferanzahl von Bedeutung sein könne. Es sei auch nicht nachvollziehbar geworden, dass wegen sogenannter „ausreichender temporärer Maßnahmen“ bis zu einer künftigen Nachrüstung des Zwischenlagers nunmehr das Risiko des Eindringens entschlossener Täter in das Lager ausgeschlossen sein solle.

Zusätzlich habe die Genehmigungsbehörde es versäumt zu ermitteln, ob infolge der erörterten Angriffsszenarien der Eingreifrichtwert für die Umsiedlung der betroffenen Bevölkerung überschritten würde, obwohl auch eine Umsiedlung als schwerwiegender Grundrechtseingriff hier zu berücksichtigen sei. Ein weiterer Bewertungsfehler der Behörde liege in der Anwendung des sog. 80-Perzentils bei der Untersuchung des Kerosineintrages in das Lager bei einem Flugzeugabsturz.

Gegen das Urteil (Az.: 4 KS 3/08) kann innerhalb eines Monats nach Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision an das Bundesverwaltungsgericht erhoben werden.

Verantwortlich für diese Presseinformation: Dr. Birthe Köster, stellv. Pressereferentin
Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht | Brockdorff-Rantzau-Straße13 | 24837 Schleswig | Telefon 04621/86-1644 | Telefax 04621/86-1277 | E-Mail birthe.koester@ovg.landsh.de”

dirkseifert

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