Prozess gegen die S21-Baggerbesetzer_innen geht in die zweite Runde

Am kommenden Dienstag, den 12. Juli, findet um 13:30 vor dem Landgericht in Stuttgart die Fortsetzung des Verfahrens gegen einen der Baggerbesetzer_innen vom 30.08.10 statt. Damals war einer der Bagger, der den Nordflügel des Stuttgarter Hauptbahnhofs anreißen sollte besetzt worden. Dem Angeklagten wird von der Staatswanwaltschaft Hausfriedensbruch vorgeworfen und das Amtsgericht verurteilte ihn zu 30 Tagessätzen a 10 Euro. Gegen dieses Urteil hatte der Angeklagte Berufung eingelegt.
Auf der Demonstration am 09.07. gegen S21 (Foto: Chris Grodotzki | visual-rebellion.com)
Auf der Demonstration am 09.07. gegen S21 (Foto: Chris Grodotzki | visual-rebellion.com)
Den Bagger besetzten insgesamt drei Personen, deren gemeinsames Verfahren bereits in der ersten Instanz in zwei seperaten Prozessen verhandelt wurde. Grund dafür war die Abwesenheit am Prozesstermin zweier Angeklagter sowie der Weigerung des Gerichts diesen Termin zu verschieben. Daraufhin wurde nur gegen einen Baggerbesetzer verhandelt dessen Berufungsverfahren am kommenden Dienstag stattfindet. Die zwei anderen Angeklagten wurden vor dem Amtsgericht ebenso verurteilt. Gegen dieses Urteil wurde von ihnen Berufung eingelegt. Eine Zusammenlegung mit gemeinsamen Prozesstermin aller Verfahrensbeteiligten wurde von dem Gericht mit der Begründung, es läge keine Berufung vor, abgelehnt. Der Berufungstermin der beiden weiteren Angeklagten steht noch aus.
Ebenso hat das Gericht einer Verschiebung des Termins am kommenden Dienstag nicht zugestimmt. Obwohl der Angeklagte im zweiten Prozess seinen Anwalt wechselte und dieser zum Prozesstermin aufgrund anderer Termine nicht erscheinen kann, weigert sich das Gericht den Prozess zur verlegen. Begründet wird dies damit, dass die Absprache mit der vorherigen Anwältin auch von zukünftigen eingehalten werden müssen, ansonsten würde das Verfahren durch Wechsel von Rechtsanwälten unnötig in die Länge gezogen werden. Ob der Angeklagte zum Prozess einen Rechtsanwalt zur Verfügung hat ist zum jetzigen Zeitpunkt unklar.
Wenn ihr die Angeklagten unterstützen wollt gibt es hier ein Schreiben an Wolff und Müller, das ihr beliebig ändern könnt. Euren fertigen Brief schickt, faxt oder mailt an:
Wolf und Müller Spezialbau GmbH und Co KG – Schwieberdinger Straße 107 – 70435 Stuttgart Telefax +49 711 8204-335 info@wolff-mueller.de
Besetzung des Abrissbaggers durch Aktivist_innen von ROBIN WOOD und den Parkschützern (Foto: Bei Abriss Aufstand)
Weitere Informationen: http://www.robinwood.de/tag/baggerbesetzung/

von Benni

Daniel Häfner

3 Gedanken zu “Prozess gegen die S21-Baggerbesetzer_innen geht in die zweite Runde

  1. Rechtsstaat oder Bananenrepublik ? –
    Mit dem Urteil i. S. Kachelmann hat der Rechtsstaat gesiegt. Auch wenn dies nicht von Jedermann/jeder Frau vielleicht so empfunden wird. Aber im Strafprozess muss das Prinzip „in dubio pro reo“ oder „im Zweifel für den Angeklagten“ unbedingt ohne jegliche Ausnahme eingehalten werden – sonst geht der Rechtsstaat „vor die Hunde“.
    Wenn vom Gericht der Staatsanwaltschaft ohne Beweise alles abgenommen wird oder das Gericht mit dem Staatsanwalt und dem Verteidiger zwecks rascher, beschleunigter und damit wirtschaftlicher Abwicklung in einer „Verständigung?“ dem Angeklagten eine Zustimmung zu einer „Rabattgewährung“ abgerungen wird, obwohl dieser sich keiner Schuld bewusst ist, dann muss man sich mit Grausen vom Rechtsstaat abwenden.
    Der größte Fehler im Strafverfahren ist es einen örtlichen Verteidiger zu beauftragen, der mehr Interesse an der weiteren vertrauensvollen Zusammenarbeit mit seinen „Juristen-Kollegen“ und dem schnellen Beenden des Auftrags und der Honorareinnahme hat, als an einem Freispruch seines Mandanten. Ich nenne dies „Parteiverrat“!
    Man sollte nicht glauben, wie oft unbedarfte Angeklagte so „abgeurteilt“ werden. Wenn man bösartig wäre, könnte man an eine „kriminelle Vereinigung der werten 3 Juristen“ denken?
    Ich möchte nicht ausschließen, dass ohne den Wechsel des Verteidigers und das große Interesse der Öffentlichkeit auch bei Kachelmann so ein Ergebnis herausgekommen wäre.
    Als Zeuge, der von der Unschuld des Angeklagten überzeugt war, habe ich es selbst erlebt, wie in erster Instanz der „Kuhhandel“ mit „Nötigung?“ des Angeklagten stattfand – ohne Hinzuziehung der Entlastungszeugen! – und in der Berufung dem Angeklagten der „Deal“ dann vorgehalten wurde.
    Damit auch eine gemeinnützige Organisation etwas von der Arbeit der Justiz hat, wurde der Angeklagte vom Richter, der vorher Staatsanwalt war, mit den zwei Schöffen, die wohl von dem am Anfang erwähnten Grundsatz nichts wussten?, und dem Kollegen Staatsanwalt um 5.000 € mehr zur Kasse gebeten/verurteilt.
    Und dies, obwohl noch nicht einmal feststand bzw. bis heute feststeht, ob und in welcher Höhe der Angeklagte im später noch durchzuführenden Verfahren vor dem Sozialgericht den angeblich vorenthaltenen Lohn = Sozialversicherungsbeiträge für einen angeblich Scheinselbständigen der Deutschen Rentenversicherung schuldet. Ich habe den Saal mit den Worten an das Gericht verlassen: „Jetzt habe ich noch mehr Zweifel daran, ob ich in einem Rechtsstaat lebe!“
    Über dieses Urteil kann keiner sich freuen, denn es wurde leider ein Angeklagter ohne Schuldbeweis und ohne betragsmäßig feststehende Schuld und ohne Schädigung des angeblich um seinen Lohn betrogenen Auftragnehmers verurteilt.
    Deshalb hier mein Rat für alle Angeklagten: Der Verteidiger sollte von außerhalb kommen und er sollte keine Angst haben, sich „bei seinen Juristen-Kollegen, die er in der Gerichtskantine wöchentlich trifft“, unbeliebt zu machen. Es scheint Parteiverrat öfter zu geben als man glaubt?

    Und ich möchte auch nicht den Hinweis auf Art. 20 GG vergessen!
    Bitte unbedingt lesen 1. Gewaltenteilung? 2. Recht auf Widerstand?

  2. Was ein guter Anwalt ausmacht
    Peter Mühlbauer 11.07.2011
    … und wie aus einem vorbestraften Vergewaltiger ein nachweislich Unschuldiger wird

    Nicht nur im amerikanischen, sondern auch im deutschen Rechtssystem hängt extrem viel davon ab, wie gut ein Rechtsanwalt ist. Das beweist auf eindrucksvolle Weise der Fall des nach fünf Jahren Gefängnis wegen erwiesener Unschuld freigesprochenen Biologielehrers Horst A. aus dem hessischen Völklingen.

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    Der war 2002 von einer Kollegin beschuldigt worden, sie während der Großen Pause im Biologiesaal-Hinterzimmer einer Reichelsheimer Schule vergewaltigt zu haben. Das, so stellte das Landgericht Kassel letzte Woche fest, ist nachweislich falsch. Eine Erkenntnis, zu der man auch während des ersten Strafverfahrens beim Landgericht Darmstadt hätte kommen können – was A. seinen eigenen Worten nach die „Hölle“ und die Entlassung aus dem Schuldienst erspart hätte. Dass dies in Darmstadt nicht gelang, lag unter anderem am prozessführenden Richter und am damaligen Strafverteidiger A.s.

    Dass Richter in Deutschland einen Spielraum haben, der problematisch werden kann, ist nicht erst seit Ronald Schill und Manfred Götzl bekannt. Diesen Spielraum nutzte anscheinend auch der Richter Dr. Christoph Trapp, der den ersten Prozess gegen A. führte und bereits durch ein anderes Urteil Aufsehen erregte: Im August letzten Jahres lehnte die Kammer, der er vorsitzt, die Sicherungsverwahrung eines Sexualstraftäter ab, der 61 Tage nach seiner Freilassung erneut zuschlug.

    Acht Jahre vorher ließ sich Dr. Trapp möglicherweise (ebenso wie die Staatsanwaltschaft und die Polizei) von den Tränen der damals 36-jährigen Heidi K. unangemessen beeindrucken. Hinzu kam, dass der Angeklagte A. unter seinen Kollegen im Ruf stand, jähzornig und dem Alkohol zugeneigt zu sein. Und so wurde er der Vergewaltigung für schuldig befunden und zu fünf Jahren Haft verurteilt, obwohl es keine neutralen Zeugen gab und sich Heidi K. nach dem angeblichen Tatzeitpunkt gegenüber ihren Kollegen, mit denen sie gleich darauf essen ging, bemerkenswert normal verhielt.

    Die Frauenbeauftragte für Lehrkräfte im Odenwald, die Erfahrungen mit K. gemacht hatte, wunderte sich über den Prozessausgang und wandte sich an ihren Bruder Hartmut Lierow, einen Rechtsanwalt aus Berlin, der nach und nach einen immer größer werdenden Justizskandal aufdeckte.

    Im ersten Verfahren, so Lierow gegenüber Telepolis, hatte A.s Anwalt (dessen Aufgabe es eigentlich war, Dr. Trapp zu mehr Sorgfalt anzuhalten) keine Tatortbesichtigung erwirkt und sich nicht die Mühe gemacht, Auskünfte an Schulen einzuholen, an denen die Hauptbelastungszeugin früher lehrte. Sonst wäre er schnell darauf gestoßen, dass K. dort unter anderem beschuldigt wird, eine Klassenfahrt sabotiert zu haben, indem sie bei der Jugendherberge anrief, und log, in der Klasse gäbe es einen Meningitisfall. An ihrer Schule soll sie gleichzeitig erzählt haben, es gäbe einen Wasserschaden in der Jugendherberge. Auch der nach dem Urteil des Landgerichts Darmstadt gestellte fünfseitige Antrag auf Revision war Lierows Ansicht nach „schwach“ und zeigte viele Punkte nicht auf, weshalb er vom BGH ohne Begründung abgewiesen wurde.

    Bei seiner Arbeit für ein Wiederaufnahmeverfahren stieß A.s neuer Berliner Anwalt auf zahlreichen weitere Lügen K.s – darunter ein komatöser Pflegefall, mit dem sie eine Versetzung erreichen wollte, und ein nicht existierendes Kind, das angeblich bei einem Unfall starb. Anderen Kollegen unterstellte die Lehrerin, dass sie sie vergiften wollten.

    Das hessische Justizministerium wird sich in Zukunft möglicherweise intensiver mit den Folgen eines Fehlurteils befassen müssen. Foto: Reinhard Dietrich. Lizenz: CC-BY-SA.

    Schließlich konnte Lierow so viel für den Beschuldigten ent- und für Heidi K. belastendes Material beibringen, dass sogar die Staatsanwaltschaft einen Freispruch forderte. Auch die Richter am Landgericht Kassel fanden selten klare Worte: Sie meinten, A. sei nicht nur aus Mangel an Beweisen, sondern „nachweislich unschuldig“. Die möglicherweise auf seinen Posten spekulierende Hauptbelastungszeugin habe nämlich ein „an sich kaum glaubhaftes Geschehen geschildert“ und den Vorfall nicht bloß „von vorne bis hinten erfunden“, sondern auch absichtlich gelogen „um berufliche Vorteile zu erzielen“.

    Die heute 46-jährige K., gegen die nun wegen Freiheitsberaubung ermittelt wird, hatte auf die kritischen Fragen an sie mit einer Aussageverweigerung reagiert. Ihre Anwältin erklärt das Verhalten der Lehrerin mit einer Traumatisierung und will prüfen, ob sie gegen das noch nicht rechtskräftige neue Urteil Berufung einlegt. Der heute 52-jährige Biologielehrer, der seit seiner Entlassung von Hartz IV leben muss, prüft derweil seine Ansprüche gegen das Land Hessen, das ihn mit einer Entschädigung von etwa 20 Euro pro Hafttag abspeisen will. Weil A. sich nicht darauf einlassen wollte, als Gegenleistung für eine vorzeitige Entlassung „Reue“ zu zeigen und ein falsches Geständnis abzulegen, musste er die vollen fünf Jahre absitzen.
    Telepolis > Politik > Meinung

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