Nach der Volksabstimmung – wir bleiben oben!

Die Volksabstimmung in Baden-Württemberg zum Ausstieg aus der Finanzierung des Großprojekts Stuttgart 21 ist vorbei. In fast allen Zeitungen und im Mund sämtlicher Politiker werden nun die „demokratischen Fortschritte“ gepriesen, die aus der Widerstandsbewegung entstanden sein sollen. Gleichzeitig kann man in denselben Zeitungen lesen und aus denselben Mündern hören, dass jeglicher Protest seit Montag „illegitim“ oder “nicht sinnvoll“ sei. Unsere Einstellung zur Volksabstimmung ist bekannt. Das Ergebnis vom Sonntag kam für uns nicht gänzlich unerwartet, auch wenn wir von der Stadt Stuttgart etwas mehr erwartet hätten. Was einige Kreise aus dem Ergebnis der Abstimmung für die Zukunft des Protests gegen Stuttgart 21 ableiten, ist aber mehr als bedenklich. Das Demonstrationsrecht ist ein Grundpfeiler der Demokratie und wir sind sehr enttäuscht über die erneuten Versuche die Bürger mundtot zu machen und ihnen das Kundtun ihrer Meinung mit Wort und Tat zu verbieten. Das Demonstrationsrecht schreibt ausdrücklich nicht vor, wie viele Gleichgesinnte hinter einem stehen müssen, um demonstrieren oder um eine Demonstration als „legitim“ bezeichnen zu „dürfen.“ Nun haben sich unseres Erachtens weder vor noch nach der Volksabstimmung bemerkbare „demokratische Fortschritte“ gezeigt. Projektgegner wurden und werden immer noch durch die Polizei und Befürworter von Stuttgart 21 eingeschüchtert und bedroht. Hunderte von Menschen werden erkennungsdienstlich behandelt und zwar ausdrücklich um sie einzuschüchtern, sodass sie es sich noch mal überlegen, ob sie bei weiteren Protesten und Aktionen mitmachen und ihre verfassungsmäßig garantierten Grundrechte in Anspruch nehmen.? Die Staatsanwaltschaft verfolgt schnell und oberflächlich jede Anzeige gegen S21-Gegner_innen, die ihnen von Bahn und Polizei vorgelegt wird. Gegen Bahn und Polizei wird, wenn überhaupt, nur langsam ermittelt. Viele Gegner_innen trauen sich seit längerer Zeit nicht mehr in die Stadt zu gehen und Pro-K21 oder Parkschützer-Buttons zu tragen. Früher oder später wird man von der Polizei angehalten, ausgefragt, die Taschen werden durchsucht und manchmal wird man sogar mitgenommen. Unser Protest soll mundtot gemacht werden… er soll erstickt werden. Durch die Polizei, durch aggressive Befürworter, durch die Volksabstimmung und nun durch Medien und Politiker, die unseren Protest als „illegitim“ bezeichnen. Dabei hat die Volksabstimmung vor allem eines nicht bewirkt. Stuttgart21 ist weder ökologisch noch ökonomisch sinnvoller geworden. Immer noch ist es ein mangelhaft legitimiertes Projekt, da es den Bürgern erst zu einem Zeitpunkt eine Entscheidungsmöglichkeit bereitstellte, als in der Wahrnehmung vieler bereits „alles gelaufen“ war. Immer noch schafft es mehr verkehrliche und infrastrukturelle Probleme als es zu lösen vorgibt. Immer noch ist die Finanzierung weitgehend ungeklärt. Immer noch ist der Bereich Fildertunnel und Filderbahnhof nicht planfestgestellt. Immer noch gibt es keine Notfallpläne die den Namen verdienen – die Liste ließe sich fortsetzen. Wir, die Regionalgruppe Stuttgart, wie viele andere S21-Gegner_innen, sehen uns daher immer noch in der Pflicht, einige Sachen zu schützen:

  • den leistungsfähigen, erprobten und ausbaufähigen Kopfbahnhof,
  • eine bürgerfreundliche Bahn für alle Menschen in Baden-Württemberg,
  • einen verantwortungsbewussten Umgang mit den finanziellen Ressourcen der Menschen,
  • den mittleren Schlossgarten, der mit seinen jahrhundertealten Bäumen ein unersetzliches Erholungsgebiet im bestens erreichbaren Stadtzentrum bildet, sowie von herausragender Bedeutung für die Qualität der Atemluft in der ohnehin stark belasteten Stuttgarter Innenstadt ist.

Hierzu gehört aber auch ganz besonders das Demonstrationsrecht! Wir haben uns noch vor der Volksabstimmung im Schlossgarten mit einem neuen Baumhaus winterfest gemacht. Wir gehen davon aus, dass die Bahn im tiefsten Winter roden will und wir werden weiterhin im Weg stehen. Wir bleiben oben und freuen uns über Besuch und Unterstützung!     ? Just diesen Dienstag wurde ein Robin Wood Aktivist erkennungsdienstlich behandelt, der nachweislich nicht bei der Protestaktion anwesend war, bei der ihn die Polizei gerne gesehen haben will. Beschwerde beim Gericht brachte nichts: der Richter entschied sich, trotz zweifelsfreiem Alibi des Aktivisten, zugunsten der polizeilichen Maßnahme.

Regionalgruppe Stuttgart

4 Gedanken zu “Nach der Volksabstimmung – wir bleiben oben!

  1. Es stellt sich natürlich die Frage, ob durch diese Weiterführung der Proteste in Stuttgart nicht schlussendlich auch die Anti-S21-Bewegung offenbart, dass sie ein gestörtes Demokratieverständnis hat. Sicherlich ist das Demonstrationsrecht nicht an Mehrheiten in der Bevölkerung gebunden (das wäre ja auch noch schöner), allerdings sollte auch von den S21-Gegnern zunächst einmal klipp und klar kommuniziert werden, dass sich im Zuge des Volksentscheids die Mehrheit für die Lösung „Stuttgart 21“ entschieden hat und was dies bedeutet: Eine Mehrheit der Bürger des Landes sieht Stuttgart 21 in der gegebenen Situation nicht als ökonomisch unsinnvoll an. In einer Demokratie muss genau eine solche Entscheidung der Bürger eines Landes einen Wert haben! Die freie Entscheidung der Bürger für Stuttgart 21 darauf zurückzuführen, dass diese (vermeintlich unvernünftigerweise) gedacht hätten, es wäre sowieso bereits „alles gelaufen“, spricht den Bürgern ihre Mündigkeit ab. Weiterhin von einem „mangelhaft legitimierten Projekt“ zu sprechen zeigt ein deutlich ungenügendes Demokratieverständnis, denn wie sollte dieses Projekt je zu einem vollständig legitimierten Projekt werden, wenn nicht durch genau die erfolgte Legitimation durch den Bürger?!

  2. In dem Kommentar zum Blog-Eintrag unserer Regionalgruppe wird von „Hänna“ an zwei Positionen Kritik geübt:

    * Die Weiterführung der Proteste nach der VA offenbare ein „gestörtes Demokratieverständnis“ der S21-Gegner

    * Das Projekt Stuttgart 21 nach der VA weiterhin als mangelhaft legitimiert zu bezeichnen zeige ein „deutlich ungenügendes Demokratieverständnis“

    Im Folgenden möchten wir zu den o.g. Vorwürfen Stellung beziehen.

    Den Protest gegen Stuttgart 21 weiterzuführen betrachten wir geradezu als Verpflichtung. Durch die VA ist Stuttgart 21 nicht besser geworden, und wie es in dem Kommentar richtigerweise bemerkt ist: „das Demonstrationsrecht ist nicht an Mehrheiten gebunden“.
    In unserem Verständnis von Demokratie ist mehr enthalten als lediglich die freie, geheime und gleiche Möglichkeit aller Staatsbürger_innen zu einem Zeitpunkt X Stellung zu einer Sachfrage bzw. einer Parteipräferenz zu nehmen. Vielmehr bedeutet Demokratie auch eine funktionierende Gewaltenteilung, eine Medienlandschaft, die sich als möglichst objektiv darstellt sowie Akteure, die an einer fairen und sachorientierten Auseinandersetzung zwischen Gleichen interessiert sind. Alle diese Elemente sind in der Auseinandersetzung um Stuttgart 21 in unterschiedlichem Maß auf der Strecke geblieben. Wir bitten um Verständnis, wenn hier auf die Ausführung der einzelnen Punkte verzichtet wird, dies würde den Rahmen einer einfachen Stellungnahme sprengen.
    Wir bleiben aber auch aus anderen Gründen bei unserer Stellung, das Projekt S21 sei durch die VA nicht mehr als mangelhaft legitimiert. Verschiedenste Rechtsverletzungen seit Projektpräsentation, Unwahrheiten und Faktenunterschlagungen können durch eine VA nicht ungeschehen gemacht werden. Wenn eine VA das Projekt ausreichend hätte legitimieren können, so hätte diese zu einem weit früheren Zeitpunkt stattfinden müssen. Im Übrigen, aber das nur als Randbemerkung, wurde in der VA ja auch eben nicht explizit nach der Zustimmung zu Stuttgart 21 gefragt. Damit wäre auch die allseits kritisierte Unverständlichkeit der Fragestellung und ihrer schlussendlich unklaren Bedeutung für das Projekt wirksam begegnet worden, aber, wie geschrieben, dies nur am Rande…
    Damit soll die Entscheidung der Bürger_innen nicht an Wert verlieren oder nicht respektiert und akzeptiert sein. Aber derselbe Respekt gilt auch für die Entscheidung derer die bei der VA ein anderes Votum abgegeben haben.
    Diese Menschen gehorchen vor allem ihrem Gewissen und ihrem Gefühl für Gerechtigkeit indem sie auf ihrem legitimen Recht auf Protest gegen das Projekt Stuttgart 21 bestehen.
    Dass dieser Protest friedlich, aber im öffentlichen Raum bleibt ist dem Respekt vor dem Wahlergebnis geschuldet. In einer funktionierenden Demokratie gehört dieser sicht- und hörbar gemachte Willen auch und gerade einer Minderheit zwingend dazu. Das mag mitunter unbequem oder sogar unangenehm sein, notwendig bleibt er trotzdem.

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