„Man wird das Zeug nicht los“ – Vattenfall AKW Brunsbüttel bekommt neues Atommülllager
Nun ist es amtlich: Vattenfall beantragt am Standort Brunsbüttel eine weitere Zwischenlager-Halle für leicht- und mittelradioaktiven Atommüll. Die Halle wird erforderlich, weil die Atommüll-Entsorgung insgesamt zum Desaster wird. Das für leicht- und mittelradioaktive Abfälle vorgesehene Lager im Schacht Konrad verzögert sich wegen immer neue Probleme beim Ausbau immer mehr. Kaum jemand geht davon aus, dass es vor 2024 zur Verfügung stehen könnte und selbst das ist fraglich. Die DBE, ein Unternehmen, das mehrheitlich im Besitz der Atomkonzerne ist und den Ausbau im Auftrag des Bundesamt für Strahlenschutz (BFS) betreibt, spricht laut Bundesregierung von einem Termin 2022. Der aber sei aus Sicht des BFS „mit Unsicherheiten behaftet, die nicht näher quantifizierbar“ sind. Vattenfall spricht in der PM zum Antrag für das neue Zwischenlager davon: „Aktuell rechnet das Bundesumweltministerium mit einer Inbetriebnahme zwischen 2021 und 2025.“
Weiterhin teilt der Konzern zum „Antrag auf Genehmigung eines Lagers für schwach- und mittelradioaktive Abfälle (LasmA)“ vom 05.05.2014 mit, dass dort „Abfälle aus dem Rückbau und (Rest-)Betriebsabfälle so lange gelagert werden, bis Schacht Konrad zur Verfügung steht. Weiterhin ist geplant, im LasmA bereits konditionierte Abfallgebinde aus den beiden Transportbereitstellungshallen sowie weitere verpackte Abfallgebinde aus den Kavernen zu lagern. Dazu gehören auch 21 Fässer mit Abfällen (betonierte Asche) aus einer Verbrennungskampagne im belgischen Mol. Diese lagern derzeit in Kaverne 5, deren Inspektion im Juni 2014 geplant ist.“
So türmen sich die Atommüllberge immer weiter auf. Vor allem, wenn jetzt wie in Brunsbüttel, der Abriss auf der Tagesordnung steht. Dadurch werden zu den ohnehin schon vorhandenen Strahlenabfällen weitere Mengen hinzukommen, für die es mangels Endlager keinen Abtransport gibt.
Schleswig-Holsteins Energieminister Robert Habeck kommentierte den Antrag von Vattenfall so: „Mit dem Rückbau von Schleswig-Holsteins ältestem Atomkraftwerk wird der Atomausstieg vollzogen. Das ist ein Generationenprojekt. Dazu gehört es auch, die schwach- bis mittelradioaktiven Abfälle so sicher wie möglich auf dem Gelände des Kernkraftwerks Brunsbüttel zu lagern, bis das dafür vorgesehene Endlager Schacht Konrad zu Verfügung steht. Das ist notwendig. Aber der schwierige Umgang mit Atommüll zeigt erneut, wie falsch der Einstieg in die Atomtechnologie war
, sagte Energiewendeminister Robert Habeck heute (6. Mai 2014)“. Zu Stilllegung und Rückbau informiert das Ministerium hier.
Die SHZ berichtet auch, dass „die Behörde Vattenfall aufgefordert (habe), zu diesem Lager eine Umweltverträglichkeitsuntersuchung vorzunehmen.“ Das würde eine Öffentlichkeitsbeteiligung sicher stellen.
Rostige Atommüll-Fässer
Die Atommüllprobleme bei Vattenfall in Brunsbüttel sind enorm: Beim Aufräumen hat man vor einigen Jahren verrostete Fässer in den Kavernen unterhalb des AKW gefunden. Die Fässer wurden dort in den 70er Jahren versenkt und sind seit dem nicht mehr kontrolliert worden. Die Radioaktivität in diesen Kavernen ist derart hoch, dass Menschen sie nicht betreten können. Daher mussten erst ferngesteuerte Roboter und Verfahren entwickelt werden, um erkunden zu können wie der Zustand der Fässer insgesamt ist. Mit dieser Inspektion wurde Anfang 2014 begonnen. Eine erste Zwischenbilanz ergab, dass weitere Atommüllfässer mit leicht- und mittelradioaktiven Abfällen von Rost befallen sind.
Die SHZ (siehe oben) berichtet vor wenigen Tagen im Zusammenhang mit dem Zwischenlager-Antrag von Vattenfall: „In Brunsbüttel lagern in sechs unterirdischen, wegen der Enge nicht begehbaren Betondepots insgesamt 631 Fässer mit schwach- und mittelradioaktiven Abfällen – Filterharze, Verdampferkonzentrate und Mischabfälle aus dem Reaktorbetrieb. Einige der Fässer sind rostig, wie Anfang des Jahres bei einer Kamera-Inspektion der ersten Kaverne entdeckt worden war. Für Mitarbeiter des AKW und die Bevölkerung bestehe aber keine Gefahr, teilte das Ministerium damals mit. Es wird damit gerechnet, dass beim Inspizieren der anderen Kellerräume weitere rostige Fässer gefunden werden.“
Die Darstellung der SHZ ist nicht ganz korrekt: Zwar ist es wohl tatsächlich so eng in den Kavernen, dass eine Inspektion durch Menschen nicht machbar ist. Der eigentlich Grund aber ist die Strahlung in den unterirdischen Kammern.
Brunsbüttels Bürgermeister ist total genervt. Im Februar 2014 berichtete die SHZ, nachdem bei der Inspektion neue Rostbefunde entdeckt wurden: „Diese Fässer gab es auch schon vor zwei Jahren“, steht für Bürgermeister Stefan Mohrdieck angesichts der jetzt festgestellten Schäden fest. „Mich überrascht das überhaupt nicht.“ Der Verwaltungschef möchte nicht auf Betreiber Vattenfall einprügeln. „Der Knackpunkt ist, dass die Kapazitäten in Schacht Konrad noch nicht zur Verfügung stehen.“ Seit Betriebsbeginn des Kernkraftwerks würde die Verantwortung für eine Endlagerung atomarer Abfälle immer wieder weitergereicht. Irgendwo sei immer eine Wahl, an der schon im Vorfeld eine Entscheidung scheitere. „Das größte Übel ist für mich, dass man das Zeug nicht los wird“, sagt Stefan Mohrdieck. „Je länger die Dinger da unten liegen, umso schlechter werden sie.“ Hier sei die Politik gefordert, die nötigen Weichen zu stellen: „Von Interesse muss sein, dass die Fässer da mal rauskommen!“
Das lässt sich der Brunsbütteler FDP-Landtagsabgeordnete Oliver Kumbartzky nicht zweimal sagen. Die SHZ zitiert:“„Die aktuellen Meldungen über weitere rostige Atommüllfässer zeigen einmal mehr, dass dringender Handlungsbedarf in Sachen Endlagerung besteht. Ich fordere Minister Dr. Robert Habeck ausdrücklich auf, sich gegenüber seinen Länderkollegen und im Bundesrat für eine zügige Inbetriebnahme von Schacht Konrad einzusetzen.“ Es sei schon genug Zeit verloren gegangen. Kumbartzky: „Die Kernkraftwerkstandorte dürfen nicht schleichend zu Endlagern werden.““
Das es beim Ausbau des Schacht Konrad schlicht Sicherheitsprobleme gibt, die man nicht einfach vom Tisch wischen kann, scheint nicht so wichtig.
Keine Castor-Behälter und defekte Brennelemente
Damit nicht genug: Noch immer können die hochradioaktiven Brennelemente nicht verpackt werden, weil die dafür erforderlichen Castor-Behälter nicht zur Verfügung stehen. Das ist auch bei den anderen AKWs in Stilllegung ein Problem. Die erforderlichen Behälter werden zwar dem Vernehmen nach schon gefertigt, sind aber von den zuständigen Genehmigungsbehörden noch immer nicht zugelassen. Solange die hochradioaktiven Brennelemente aber im Reaktor oder im Nasslager innerhalb der Anlage stehen, müssen aktive Kühlsysteme betrieben werden. Wie auch in anderen Reaktoren gibt es ein weiteres Problem: defekte und teilabgebrannte Brennelemente – mit erhöhter Strahlung – könnten selbst bei vorhandenen Castoren nicht ohne weiteres in diese verpackt werden. Eine Lösung für dieses Problem steht offenbar noch immer aus.
In einem Papier der Atomaufsicht in Baden-Württemberg heißt es zu diesen Problemen: „Das BfS hat derzeit … 4 Behälterzulassungen zu erteilen. Die GNS fertigt bereits Behälter der neuen Bauarten (ohne vorliegende Zulassung und ohne abgeschlossene Genehmigungsverfahren). Daraus ergibt sich nach der Zulassung eine Vielzahl von Abweichungsanträgen bei der Erstellung der Konformitätsbescheinigungen.
In den Nasslagern (der AKWs in Baden-Württemberg) befinden sich auch Brennelemente, deren Inventar von den jetzt weitgehend erteilungsreifen Behälterzulassungen nicht erfasst wird (Bsp: CASTOR V/19). Deren Entsorgung verzögert sich damit.
In den Nasslagern, auch der stillgelegten Anlagen, befinden sich defekte Brennstäbe. Dafür gibt es weder ein validiertes Verpackungskonzept noch zugelassene Behälter. Bei Biblis wird zurzeit das Pilotprojekt zur Verpackung von defekten Brennstäben in Köchern und deren Aufbewahrung in CASTOR-Behältern betrieben. Dieses Verfahren steht aber noch am Anfang.“
- siehe: Atommüllentsorgung am Abgrund: Ein Lagebericht aus dem grünen Umweltministerium Baden-Württemberg
- Gesellschaft für Nuklearservice – 80 Castoren pro Jahr
Zumindest teilweise hat Vattenfall auch im AKW Brunsbüttel mit diesen Problemen zu kämpfen.
Castor-Lager bald illegal?
Möglicherweise steht Vattenfall demnächst ohne ein genehmigtes Castor-Lager da. Das OVG Schleswig hatte im Sommer 2013 einer Klage eines Anwohners stattgegeben und die Genehmigung der Castor Halle für ungültig erklärt. Es gäbe erhebliche Mängel bei den Sicherheitsnachweisen, die entweder nicht ausreichend oder sogar falsch erbracht worden seien. Der Betreiber Vattenfall und die Genehmigungsbehörde Bundesamt für Strahlenschutz wollen nun vor dem Bundesverwaltungsgericht die Revision erreichen. Gelingt das nicht, ist das Castor-Lager in Brunsbüttel auch offiziell illegal.
- Gefahr der Kettenreaktion: Atombehörde und Vattenfall wollen Urteil zum Castor-Lager kippen
- Castor-Atommüll-Lagerung: Im Namen des Volkes – Sicherheitsnachweise reichen nicht aus
Bemerkenswert am Urteil des OVG ist auch, dass die Genehmigungsbehörde BfS offenbar mehr prüfen wollte, als das Bundesumweltministerium und die Betreiber zuließen. Siehe dazu: Lagerung hochradioaktiver Castoren: Sorgte das Bundesumweltministerium für geringere Sicherheitsanforderungen?
Damit läge dann der geplante Abriss des Atommeilers in Brunsbüttel auf Eis – eigentlich! Einerseits wird eine neue Atommüll-Halle für leicht- und mittelaktive Abfälle neu gebaut, andererseits wäre das erforderliche Castor-Lager außer Betrieb.
Für das grün geführte Energieministerium in Schleswig-Holstein kein Problem. Bereits wenige Wochen nach dem OVG-Urteil erklärte die Behörde, dass sie dann eine Art Notverordnung erlassen werde, sollte das Urteil rechtskräftig werden. So könnte „Rechtssicherheit“ hergestellt werden, heißt es. Sicherer wird das Castor-Lager dadurch nicht. Siehe hier FAQ auf der Seite des Ministeriums zur Frage: „Was täte die Atomaufsicht, wenn die Genehmigung für das Zwischenlager rechtskräftig aufgehoben würde?“
Atomkraftwerke ohne den Nachweis einer sicheren Entsorgung von Atommüll
Was streng rechtlich genommen, nur für das Castor-Lager in Brunsbüttel ein Problem ist, gilt faktisch aber auch für alle anderen entsprechenden Lager an den AKW-Standorten. Alle diese Lager sind fast zeit- und baugleich Anfang der 2000er Jahre genehmigt worden. Konkret: Nur knappe 20 km von Brunsbüttel steht das noch in Betrieb befindliche AKW Brokdorf samt einem baugleichen Castor-Lager. Die vom OVG festgestellten Mängel bestehen hier faktisch ebenso. Deshalb wäre es auch sinnlos, die Castor-Behälter aus Brunsbüttel nach Brokdorf zu bringen. Deswegen ja auch die Notverordnung, damit die Castoren auch ohne gültige Genehmigung in Brunsbüttel bleiben können.
Wer jetzt ein wenig mit Atomrecht bewandert ist, der kommt spätestens jetzt zu der Frage: Wenn faktisch alle Castor-Lager Mängel bei den Sicherheitsnachweisen zeigen und daher Risiken nicht ausgeschlossen werden können (also nicht zum sog. Restrisiko zu rechnen sind), die zu massiver Strahlenfreisetzung führen können: Sind dann nicht alle AKWs umgehend abzuschalten, weil ein Nachweis für eine sichere Entsorgung, wie vom Atomrecht gefordert, nicht mehr gegeben ist? Gute Frage!
Doch wer jetzt glaubt, ein Grüner Energieminister würde diese Frage stellen und prüfen, ob deshalb der Betrieb des AKW Brokdorf nicht eingestellt werden müsse, irrt gewaltig.
Auf seiner Homepage fragt das Ministerium sich lediglich selbst (in einer umfangreichen FAQ): „Was bedeutet das Urteil für die Zwischenlager in Brokdorf und Krümmel?“ und antwortet darauf: „Das OVG-Urteil betrifft unmittelbar ausschließlich das Standortzwischenlager Brunsbüttel. Für die Zwischenlager an den Standorten Krümmel und Brokdorf bleiben die Genehmigungen bestandskräftig.“ Na dann.
Rechtlich mag das so sein, die Frage ist nur: Was ist das für ein Recht, wenn erkannte Mängel bei den Sicherheitsnachweisen bei einem Zwischenlager zur Aufhebung der Genehmigung führen, aber faktisch gleiche Anlagen weiter betrieben werden dürften?
Wenn diese Lager aber nun faktisch rechtswidrig sind, ihre Sicherheit nicht nachgewiesen ist: Dann müssten eigentlich auch die noch am Netz befindlichen Atommeiler wegen des fehlenden Nachweises der Entsorgung umgehend abgeschaltet werden.