Atommüll im Musterländle: Eine vorläufige Bilanz über radioaktive Problemberge und die Forderung: „Konrad bitte kommen!“

irgendwo-atommuell-umweltfairaendernRadioaktives Baden-Württemberg: Das Bundesland hat jetzt eine Atommüllbilanz vorgelegt, nennt dies aber leider einen „Entsorgungsbericht“. Doch, Gründe sich Sorgen zu machen, sind in dem Bericht in ausreichender Menge genannt. Allerdings: Die Deutlichkeit eines vor etwas über einem Jahr bekannt gewordenen internen Lageberichts, der u.a. von umweltFAIRaendern veröffentlicht wurde, erreicht der nun für die Öffentlichkeit bestimmte Bericht nicht. Unterstellen darf man, dass der grüne Umweltminister Franz Untersteller mit diesem Bericht auch auf eine Vorlage der Anti-Atom-Initiativen reagiert. Die hatten Ende 2013 eine Atommüllbilanz als „Sorgenbericht“ veröffentlicht, die inzwischen online als Atommüll-Report verfügbar ist und detaillierte Informationen über das bundesweite Atommüll-Desaster bietet – Standort für Standort. Der Unterschied? Die einen entsorgen, die anderen machen sich Sorgen.

In der PM heißt es: „Umweltminister Franz Untersteller: „Wir machen Informationen zugänglich und erhöhen die Transparenz im Atombereich.““ So gut es ist, dass das Umweltministerium in Ba-Wü einen solchen Bericht vorlegt und damit zur Informationsbasis beiträgt: Dass es bei der Atommülllagerung irgendwelche Probleme gibt, erfährt man durch die Pressemeldung jedoch nicht: „Der Bericht zeigt auf, wo die jeweiligen Abfälle landen. Damit schaffen wir zusätzliche Transparenz im Atombereich“, heißt es dort lediglich. Das folgt irgendwie der Ansage des Chefs: „Irgendwo muss das Zeugs ja hin“.

  • Der Bericht ist über die Homepage des Ministeriums in Ba-Wü downloadbar oder hier als PDF.
  • UPDATE: Die AG AtomErbe Neckarwestheim hat mit einer PM auf den Bericht reagiert. Die ist unten in voller Länge dokumentiert.

Dennoch: Die im Bericht dargelegten Informationen zu den jeweiligen Abfallmengen und deren Lagerung geben einen Überblick über die radioaktive Lage in dem Bundesland. Außerdem beschreibt der Bericht neben der Zwischenlagerung direkt im Bundesland auch die so genannten „Endlager“-Projekte und deren jeweils aktuellen Stand aus Sicht des Hauses Untersteller.
Da wird mit Blick auch Gorleben z.B. noch einmal über die dortige Pilotkonditionierungsanlage PKA und ihre eigentliche Funktion und derzeitige Genehmigungslage berichtet oder darüber informiert, dass in Sachen Atommülllager Morsleben das zuständige Bundesamt für Strahlenschutz dabei ist, einen Landzeitsicherheitsnachweis zu erbringen, was noch Jahre dauern könne, so der Bericht. (Unerwähnt bleibt: Und wenn das nicht gelingt?).

Neben der ASSE, zu deren Befüllung das Land Baden-Württemberg mit fast 50 Prozent beigetragen hat, geht der Blick vor allem zum Schacht Konrad.

Da lesen wir z.B.: „Die Einlagerung in der Asse II erfolgte im Rahmen einer befristeten Genehmigung nach § 3 StrlSchV, die am 31. Dezember 1978 auslief. Für die weitere Einlagerung in die Schachtanlage Asse II wäre mit der Änderung des Atomgesetzes von 1976 nach § 9b AtG ein Planfeststellungsverfahren notwendig gewesen. Dies wurde zunächst auch eingeleitet, dann aber nicht weitergeführt, da zwischenzeitlich mit der Schachtanlage Konrad ein wesentlich geeigneterer Standort gefunden wurde.“ S.55
Wesentlich geeigneterer Standort? Der Schacht Konrad ist ein altes Eisenerzbergwerk. Einen Alternativenvergleich hat es dort ebenso wenig wie in Gorleben gegeben. Auch das Genehmigungsverfahren ist wie in Gorleben stark von politischen und weniger von wissenschaftlichen Betrachtungen geprägt gewesen. (Homepage der AG Schacht Konrad)

Der Bericht betont mit Blick auf Konrad: „Ursprünglich war eine Einlagerungskapazität von 650.000 m3 Abfall beantragt worden, die Genehmigung wurde dann mit Datum vom 22. Mai 2002 jedoch für eine Kapazität von 303.000 m3 Abfall erteilt; also nur für etwa die Hälfte des ursprünglich beantragten Volumens (12).“ S. 58.
Schon die großen Atommüllmengen, die aus Ba-Wü in der ASSE versenkt wurden, zeigen, dass das Bundesland dringend auf ein solches Lager wie im Schacht Konrad geplant, angewiesen ist. Allemal wenn nun auch noch der Rückbau der Atommeiler erfolgt und noch mehr strahlende Abfälle entstehen. Weil Konrad in keinem Fall vor 2022 (so steht es in dem Bericht) betriebsbereit sein wird, müssen an den AKW-Standorten neue Zwischenlager gebaut werden. Das kostet natürlich!
„Die Inbetriebnahme des Endlagers Schacht Konrad hat eine besondere Bedeutung für Baden-Württemberg, da hier, bezogen auf das Volumen, mehr als die Hälfte (ca. 55 Prozent) der schwach- und mittelradioaktiven konditionierten Abfälle Deutschlands lagert. Das Endlager Schacht Konrad stellt die einzige Möglichkeit dar, im nächsten Jahrzehnt über ein Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle zu verfügen.“ (S. 58)

Damit das niemand übersieht, lesen wir auf Seite 66: „Bereits jetzt sind große Lagerkapazitäten für radioaktive Abfälle aus den bereits laufenden Rückbautätigkeiten und dem Betrieb von Anlagen notwendig, die nun erweitert werden müssen, da derzeit keine Abgabemöglichkeit an ein Endlager vorhanden ist.
Das Land setzt sich daher für eine möglichst rasche Inbetriebnahme des Endlager Konrad ein. Die im niedersächsischen Koalitionsvertrag aufgeworfene Thematik, einer Neubewertung der Konzeptions- und Einlagerungssituation von Schacht Konrad unter Berücksichtigung der Erfahrungen mit der Asse, soll schnellstmöglich abgearbeitet werden. Dabei steht außer Frage, dass die heutigen hohen Sicherheitsanforderungen an ein Endlager erfüllt werden müssen.“

In den Anlagen des Berichts werden in zahlreichen Tabellen die Atommüll-Bestände bilanziert und auch auf den Tag der Stilllegung der letzten Atommeiler hochgerechnet.
In jedem Fall bleibt noch anzumerken: Es wäre keine schlechte Maßnahme, wenn die anderen Atom-Bundesländer diesem Beispiel von Baden-Württemberg folgen würden und dabei vielleicht ein wenig stärker auch die Risiken sowohl in praktisch-technischer Art, aber vor allem auch die für Mensch und Umwelt mal eingehender darstellen würden.
Dokumentation:
Presse-Mitteilung 26.06.2015
Atommüllbericht Baden-Württemberg: ein „Weiter so“ darf es nicht geben.
Bürgerinitiativen fordern ein Ende der Atommüllproduktion
Baden-Württemberg ist Spitzenreiter beim mittel- und schwachradioaktiven Atommüll – und beim hochradioaktiven sieht es kaum besser aus. Das findet sich im Bericht über das
Atomare Erbe Baden-Württembergs, den das Stuttgarter Umweltministerium am 24.6.15
unter dem Titel „Entsorgungsbericht“ veröffentlichte. Damit folgt das Ministerium dem Vorbild der Antiatom-Bewegung mit deren kontinuierlich fortgeschriebenen „Atommuellreport.de“ und geht anderen Bundesländern voran. Leider bleibt das Ministerium auf halber Strecke stehen, meint Dr. J. Schmid von der Arbeitsgemeinschaft AtomErbe Neckarwestheim, denn „zwischen Zahlen und wertvollen Informationen wird der Bericht immer dort plötzlich einsilbig, wo es um die Kernprobleme geht. Schon der Begriff ‚Entsorgung’ ist falsch. Radioaktivität lässt sich nicht abschalten und nicht entsorgen“.
„Sorgenbericht wäre der richtige Titel,“ ergänzt H. Würth vom Aktionsbündnis Castor-Widerstand Neckarwestheim, „denn jede Seite des Berichts zeigt, dass hier in wenigen
Jahren eine unverantwortliche Last für 40.000 Generationen geschaffen wurde. Mit jedem Tag Weiterbetrieb der AKWs wird der Atommüllberg größer.“
Die in der AG AtomErbe Neckarwestheim zusammenarbeitenden Bürgerinitiativen fordern die sofortige Abschaltung aller Atomkraftwerke. J. Hellgardt vom BUND Regionalverband Heilbronn-Franken erläutert diese Forderung: „Wie ein Buchhalter rechnet das  Ministerium hoch, wie viel Atommüll in den nächsten 8 Jahren noch hinzu kommen wird. Seinen Auftrag, Mensch und Umwelt zu schützen, kommt es aber nur nach, wenn dieser Müll erst gar nicht entstehen darf“.
„Die Hauptprobleme des Atommülls müssen klar genannt werden. Dazu gehören ‘Freimessen’ und ‘Herausgabe’, das unlösbare Langzeitrisiko des Atommülls, die Rostfässer, und die Rechtsmängel der Zwischenlager-Genehmigungen. Auch dass die ‘Zwischenlager’ und die Castoren um Jahrzehnte länger gebraucht werden als es ihr Material aushalten wird, und dass das Lager Schacht Konrad völlig untauglich ist,“ umreißt F. Wagner vom Aktionsbündnis Energiewende Heilbronn die wichtigsten Lücken des  Berichts. „Die behauptete Transparenz fällt in sich zusammen, wenn man den Bericht mit dem 2014 entdeckten internen Arbeitspapier vergleicht. Gerade was intern klar an Problemen benannt wurde, wird im öffentlichen Bericht geschickt vernebelt.“
S. Mende-Lechler von der Bürgerinitiative Antiatom Ludwigsburg fasst zusammen: „Dieser Atommüll-Bericht ist ein wichtiger Schritt, dem aber weitere folgen müssen. Den Glauben an die technische Lösbarkeit des Atommüllproblems teilen wir in der AG AtomErbe Neckarwestheim nicht. Unsere Sorge ist: Mensch und Natur werden unter dem atomaren
Nachlass leiden. Weiterbetrieb der AKWs und faule Kompromisse müssen deshalb sofort
beendet werden.“
Rückfragen gerne an: presse @ atomerbe.de
Weitere Informationen:
PM des Umweltministeriums mit dem Atommüll-Bericht:
http://um.baden-wuerttemberg.de/de/presse-service/presse/pressemitteilung/pid/bericht-entsorgung-vonradioaktiven-
abfaellen-und-abgebrannten-brennelementen-aus-baden-wuerttemb
Kurzlink: sn.im/keinweiterso1
Internes Arbeitspapier des Umweltministeriums (2014):
http://umweltfairaendern.de/2014/05/atommuellentsorgung-am-abgrund-ein-lagebericht-aus-dem-gruenenumweltministerium-
baden-wuerttemberg
Kurzlink: sn.im/keinweiterso2

Dirk Seifert

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