Ärztekammer BaWü: Keine unkontrollierte Freigabe für AKW-Abfälle
Das dürfte weder der Strahlenschutzkommission der Bundesregierung, noch den Atomaufsichtsbehörden der Länder und schon gar nicht den AKW-Betreibern gefallen: Die Landesärztekammer in Baden-Württemberg hat sich jetzt gegen die unkontrollierte Freigabe gering radioaktiver Abfällen aus dem Rückbau der Atomkraftwerke ausgesprochen. Es geht um die Bauabfälle, um Beton und Stahl. Unterhalb eines Richtwerts darf der auf normalen Deponien abgelagert oder gar in den Wertstoffkreislauf zurückgeführt werden. Alles harmlos, so die Atombehörden im Süden wie im Norden der Republik. Nachdem bereits die internationale Ärzteorganisation IPPNW vor dieser unkontrollierten Verbreitung gewarnt hatte, spricht sich nun erstmals eine Ärztekammer gegen diese Praxis aus.
UPDATE 16/1/2017: Nach einem Gespräch mit dem Umweltministerium BaWü hat sich die Kammer korrigiert und behauptet jetzt das Gegenteil: Freigabe radioaktiv belasteter Abfälle – Rückwärts rudernde Ärtzekammer Baden-Württemberg
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Gering radioaktiv belastete Abfälle beim AKW-Rückbau: Ministerium und Gutachter finden das harmlos
Erst vor wenigen Tagen hatte das vom Grünen Franz Untersteller geführte Umweltministerium in Baden-Württemberg die Deponierung von Freigabe-Abfällen wieder erlaubt. Dabei stützt sich das Ministerium auf eine Studie des Öko-Instituts, angefertigt von Christian Küppers, der auch Mitglied in der Strahlenschutzkommission der Bundesregierung ist. Das Gutachten des Öko-Instituts kann auf der Homepage des Umweltministeriums BaWü heruntergeladen werden. Das „Gutachten belegt Unbedenklichkeit freigemessener Abfälle – Keine zusätzlichen Risiken durch Deponierung von unbelastetem Bauschutt aus dem Rückbau von Kernkraftwerken“, heißt es dazu erläuternd in einer PM des Ministeriums.
BUND fordert kontrollierte Lagerung
Der BUND in Baden-Württemberg widersprach dieser Darstellung sofort: „Freigaberegelung widerspricht dem Strahlenschutzprinzip – BUND fordert Ende der Freigabe radioaktiver Stoffe“ hieß es und weiter schreibt der Umweltverband: „Der BUND Baden-Württemberg kritisiert die heute vom Umweltministerium verkündete Aufhebung des Anlieferstopps für freigemessene Abfälle aus dem Rückbau von Atomanlagen auf Deponien. „Das Gutachten des Öko-Instituts ist keine Überraschung. Wenn man Freimessen für richtig hält, dann ist das Ergebnis logisch“, kommentiert Sylvia Pilarsky-Grosch, Landesgeschäftsführerin des BUND. Der BUND lehnt die Freigabe, also die nicht kontrollierbare Verteilung und Ablagerung radioaktiver Materialien, die Radioaktivität aus dem Betrieb von Atomanlagen aufweisen, ab. „Die bestehende Freigaberegelung widerspricht dem Strahlenschutzprinzip, nachdem jegliche zusätzliche und vermeidbare Strahlenbelastung zu unterbleiben hat“, erklärt Pilarsky-Grosch.
- UPDATE: Auch die AG Atomerbe Neckarwestheim reagierte mit einer PM auf die Darstellungen des Umweltministeriums Baden-Württemberg. Rechentricks machen Radioaktivität nicht harmloser, heißt es dort und: „Skandal: Umweltminister erlaubt radioaktiven Müll unter Spielplätzen und Äckern“.
- Auch in Schleswig-Holstein, wo sich der Grüne Energieminister Robert Habeck in der Frage engagiert, ist etwas in Bewegung. Die Kieler Nachrichten melden: „Habeck sucht nach neuen Plätzen für Atom-Schrott“ und schreiben: „Umweltminister Robert Habeck läutet eine neue Atommüll-Runde ein. In einem Schreiben an Kommunen, Öko-Verbände und Vattenfall schlägt der grüne Minister vor, die Lagerung von Abriss-Abfällen aus Kernkraftwerken in einer internen Arbeitsgruppe zu klären.“ Intern? Der BUND in SH fordert: Atomausstieg und radioaktive Abfälle: BUND Schleswig-Holstein fordert Rückbau-Kommission
Das 10 Mikrosievert-Konzept bietet keinen ausreichenden Schutz, da bei der Entwicklung des Konzepts vor 30 Jahren zahlreiche Risikofaktoren unterschätzt wurden. „Der BUND fordert deshalb den Wert um das 5-10 fache abzusenken“, erklärt Pilarsky-Grosch. Dies ist aus Vorsorgegründen unerlässlich, da z. B. nicht berücksichtigt wurde, dass in relativ kurzen Zeiträumen große Mengen belasteter Materialien anfallen, wie das beim parallelen Rückbau diverser Atomkraftwerke der Fall ist.
Ein zentrales Problem der Freigabe ist zudem, dass betroffene Personen keine Informationen über die freigegebenen Stoffe und deren radioaktiver Belastung erhalten. Somit ist es nicht möglich, sich zu schützen. „Das Vorsorgeprinzip ernst nehmen bedeutet deshalb die bisherige Freigabepraxis zu stoppen und Alternativkonzepte anzuwenden“, so die BUND Landesgeschäftsführerin.“
- Der Bundesverband des BUND hat dazu vor wenigen Tagen ein Eckpunktepapier vorgelegt: Gering strahlende Abfälle beim AKW-Abriss: BUND legt Eckpunkte zur Freigabe radioaktiver Abfälle vor
Ärztekammer fordert Moratorium für unkontrollierte Freigabe
Jetzt meldet sich aber eben auch die Ärztekammer zu Wort, widerspricht der Auffassung des grün geführten Umweltministeriums in Stuttgart und fordert eine Art Moratorium beim Umgang mit diesen gering radioaktiv belasteten Abfällen. In einer PM heißt es (dieser Link ist inzwischen abgeschaltet, siehe oben UPDATE): „Die Landesärztekammer Baden-Württemberg warnt vor der Verharmlosung möglicher Strahlenschäden durch die geplante Verteilung von gering radioaktivem AKW-Rest-Müll aus den Kernkraftwerken Neckarwestheim, Obrigheim und Philippsburg sowie den Karlsruher Atomanlagen auf die Mülldeponien der Landkreise Ludwigsburg und Neckar-Odenwald sowie der Stadt Heilbronn und vermutlich weiterer Deponien sowie durch die Freigabe und Herausgabe des Restmülls in die allgemeine Wiederverwertung und fordert die Landesregierung auf, sich für eine Verwahrung auch des gering strahlenden Mülls auf den Kraftwerksgeländen einzusetzen, bis definitive und gesundheitlich zu verantwortende Lösungen der Endlagerung gefunden sind.“ (Hier als PDF)
In der Begründung zu dieser Entschließung der Kammer mit dem Titel „Keine Freigabe radioaktiven Restmülls aus Kernkraftwerken im Land Baden-Württemberg (26.11.2016)“ heißt es weiter:
„Es ist geplant, dass sog. „freigemessener“ gering radioaktiver AKW-Restmüll aus den in Rückbau befindlichen Kernkraftwerken Neckarwestheim, Obrigheim und Philippsburg sowie den Karlsruher Atomanlagen auf den Mülldeponien der zuständigen Landkreise Ludwigsburg und Neckar-Odenwald sowie der Stadt Heilbronn und vermutlich weiterer Deponien mit Bauschutt vermischt und „endgelagert“ und so zudem aus der Atomaufsicht entlassen wird. Bei einer Strahlenschutzmessung im AKW wird nach mehrfachen Dekontaminationsschritten anhand bestimmter Freimessgrenzen überprüft, ob die radioaktiven Reststoffe je nach Strahlenaktivität wiederverwertet werden oder auf normalen Bauschuttdeponien ohne weitere Strahlenschutzkontrollen im Verlauf eingebaut oder aber in noch nicht existierende Endlager entsorgt werden können bzw. müssen.
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Das noch im Sommer 2016 verkündete Moratorium gegen die radioaktiven Müllverladung auf Bauschuttdeponien hat das Grüne Umweltministerium unter Franz Untersteller im November aufgekündigt und sieht keine Strahlengefährdung der Bevölkerung.
Als Ärzte wissen wir, dass es keine Schwellenwerte für die Unbedenklichkeit von ionisierender Strahlung gibt und auch durch vermeintlich geringe Strahlenmengen gesundheitliche Schäden entstehen können. Ebenso sind die gesundheitlichen Folgen einer Verteilung von AKW-Rest-Müll nicht ausreichend geklärt. Es bestehen ernstzunehmende Sorgen, dass gesundheitliche Gefährdungen und Spätfolgen durch Strahlenschäden über Generationen entstehen können. Aus Strahlenschutz-gründen muss die belastete Menge so klein wie möglich gehalten werden und mit dem bestmöglichen technischem Stand sicher verwahrt und kontrolliert werden, am besten auf dem Kraftwerksgelände.“
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