Katastrophaler Investorenschutz: Vattenfalls Schadesersatzforderungen für Atomausstieg – Videoprotokolle der Anhörung vor dem ICSID
Inzwischen bei über sechs Milliarden Euro liegt die Streitsumme, die Vattenfall über ein unanständiges Schiedsgerichtsverfahren nach der Energiecharta von den bundesdeutschen Bürger*innen für die nach der Fukushima-Katastrophe beschlossene Stilllegung der schon damals maroden Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel einkassieren will. Ende November fand im Rahmen des Verfahrens vor dem ICSID mit Sitz in Washington eine sechstägige Anhörung von Vattenfall und der beklagten Bundesrepublik vertreten durch das Bundeswirtschaftsministerium statt. Die Video-Protokolle sind zeitversetzt veröffentlicht worden und online.
Für den atompolitischen Sprecher der Linksfraktion, Hubertus Zdebel, ist das immer noch laufende Verfahren ein Skandal. Als die Bundesregierung mit den Stimmen der Grünen 2016/7 die Neuordnung der nuklearen Entsorgung auf den Weg gebracht und den Atomkonzernen die weitere finanzielle Haftung für die Atommüllentsorgung abgenommen hat, hätte im Gegenzug mindestens eine Beendigung aller noch anstehenden Klagen der Atomkonzerne gegen den Atomausstieg vereinbart werden müssen. Das aber erfolgte nicht. Zum doppelten Schaden für die Bürger*innen, die jetzt nicht nur das Risiko von weiteren Kostensteigerungen bei der Atommülllagerung zu tragen haben, sondern eben auch für weitere Schadenersatzklagen der Atomkonzerne grade stehen müssen.
Nachdem zunächst die Brennelemente-Steuer per Gerichtsbeschluss für rechtsunwirksam erklärt wurde, hatte das Bundesverfassungsgericht jüngst auch die Entschädigungsregelung der 16. Atomgesetznovelle wegen schwerer Fehler der Bundesregierung kassiert.
- Atom-Brennelemente-Steuer absichtlich vergeigt? Bundesregierung bestreitet Vorwürfe
- Siehe zum Urteil zur 16. AtG auch hier die Tagesschau.
Die Atommeiler Brunsbüttel und Krümmel waren bereits im Jahr 2007 nach schweren Störfallen nicht mehr am Netz. In Brunsbüttel zeigten sich im Zuge intensiver Überprüfungen immer neue Mängel, die eine Wiederinbetriebnahme schon damals unwahrscheinlich machten. In Krümmel bemühte sich Vattenfall, nach einem folgenreichen Feuer eine Vielzahl von Probleme in den Griff zu bekommen, scheiterte aber beim ersten Versuch einer Inbetriebnahme. Wie sich zeigte, hatte der Konzernn zahlreiche Forderungen der Aufsichtsbehörde nicht beachtet. Unklar ist, ob Krümmel wieder eine Zustimmung zum Anfahren bekommen hätte – wenn nicht 2011 die Atomkatastrophe von Fukushima dazwischen gekommen wäre. Dennoch hat Vattenfall die Bundesrepublik auf Schadensersatz verklagt.
In Schweden betreibt Vattenfall trotz der Katastrophe von Fukushima immer noch Atomkraftwerke, in denen schwere Unfälle nicht ausgeschlossen werden können.
Dokumentation 1:
Die Übertragungen der mündlichen Verhandlung in Sachen Vattenfall gegen die Bundesrepublik Deutschland in Sachen Schadenersatz für die Stilllegung der Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel vor dem ICSID sind über folgende Links zugänglich:
- Verhandlungstag 1 (21. November 2020)
- Verhandlungstag 2 (22. November 2020)
- Verhandlungstag 3 (23. November 2020)
- Verhandlungstag 4 (24. November 2020)
- Verhandlungstag 5 (25. November 2020)
- Verhandlungstag 6 (27. November 2020)
Dokumentation 2 von der Seite des Bundeswirtschaftsministerium (online 16.12.2020)
Verhandlungstag 1 (21. November 2020)
Verhandlungstag 2 (22. November 2020)
Verhandlungstag 3 (23. November 2020)
Verhandlungstag 4 (24. November 2020)
Verhandlungstag 5 (25. November 2020)
Verhandlungstag 6 (27. November 2020)
Das Schiedsgericht hat keinen Termin für einen Schiedsspruch genannt. Gemäß Artikel 48 Absatz 5 ICSID-Konvention beziehungsweise Arbitration Rule 48 Absatz 4 kann das ICSID-Sekretariat einen Schiedsspruch veröffentlichen, falls beide Parteien zustimmen. Ohne diese Zustimmungen veröffentlicht ICSID Auszüge der den Schiedsspruch tragenden Erwägungen.
Informationen des ICSID-Sekretariats
Das ICSID-Sekretariat informiert auf seiner Internetseite über die einzelnen Verfahrensschritte regelmäßig und in öffentlich zugänglicher Form. Die Informationen über das Klageverfahren sind hier abrufbar.
Unter der Statusanzeige „Proceeding“ veröffentlicht das ICSID-Sekretariat allgemeine Informationen zum Schiedsverfahren, die im Folgenden kurz dargestellt werden:
Die Klägerinnen stützen ihre Klage auf den Energiecharta-Vertrag. Das Schiedsgerichtsverfahren wird nach den Verfahrensregeln der ICSID-Konvention geführt. Das Schiedsgericht hat sich am 14. Dezember 2012 konstituiert und setzt sich aus drei Schiedsrichtern zusammen. Jede Partei hat einen Schiedsrichter benannt, beide Parteien haben einvernehmlich den dritten Schiedsrichter benannt, der dem Gericht auch vorsitzt. Die Klägerinnen sind: Vattenfall AB (schwedisch), Vattenfall GmbH (deutsch), Vattenfall Europe Nuclear Energy GmbH (deutsch), Kernkraftwerk Krümmel GmbH (deutsch) und Kernkraftwerk Brunsbüttel GmbH & Co oHG (deutsch).
Unter der Statusanzeige “Materials“ stellt das ICSID-Sekretariat auch die Eröffnungs- und Schlussplädoyers der mündlichen Verhandlung in Washington vom 10. Oktober und 21. Oktober 2016 im Videoformat zur Verfügung. Das Schiedsgericht hatte damals gemäß der Übereinkunft beider Parteien entschieden, die Verhandlung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen – unter Wahrung vertraulicher oder anderweitig geschützter Informationen. Die englischsprachige Verhandlung wurde per Videostreaming im Internet übertragen. Die Videoübertragung begann am ersten Verhandlungstag, d. h. Montag, 10. Oktober 2016 um ca. 20:30 Uhr MESZ und an den darauffolgenden acht Verhandlungstagen jeweils um ca. 19:00 Uhr MESZ.
Zu den Dokumenten und der Videoübertragung des Eröffnungs- und Schlussplädoyers aus dem Jahr 2016 gelangen Sie hier.
Auch die Entscheidungen über den Befangenheitsantrag der Bundesregierung von November 2018 und vom 16. April 2020 sind verfügbar. Auf der Webseite des ICSID-Sekretariats zum Fall-Nr. ARB/12/12 wurden folgende Dokumente veröffentlicht:
- Entscheidungsvorlage des Ständigen Schiedshofs in Den Haag (Englisch: Permanent Court of Arbitration, PCA) vom 4. März 2019,
- Entscheidung der seinerzeitigen Interims-Weltbank-Präsidentin vom 6. März 2019;
- Entscheidungsvorlage des Ständigen Schiedshofs in Den Haag vom 6. Juli 2020 und
- Entscheidung des Weltbank-Präsidenten vom 8. Juli 2020.
Unter der Statusanzeige “Procedural Details“ stellt das ICSID-Sekretariat zudem eine Übersicht über die einzelnen bisherigen Verfahrensschritte bereit.
Liste Energiecharta-Sekretariat
Eine Veröffentlichungsquelle zu abgeschlossenen Fällen, die auf dem Energiecharta-Vertrag basieren, stellt das Energiecharta-Sekretariat zur Verfügung. Unter der Überschrift „List of all Investment Dispute Settlement Cases“ sind die Verfahren zum Energiecharta-Vertrag gelistet, darunter auch der bereits abgeschlossene Fall ARB/09/6 („Vattenfall AB, Vattenfall Europe AG, Vattenfall Europe Generation AG & Co. KG (Sweden) versus Federal Republic of Germany”), jeweils mit Angabe der prozeduralen Zwischenschritte sowie des Schiedsspruchs, sofern ein solcher ergangen ist.
Weiterführende Informationen
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Externes Angebot –
Energiecharta-Sekretariat – List of all Investment Dispute Settlement Cases
Pressemitteilungen und Meldungen
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17.01.2018 – Meldung – Konventionelle Energieträger
Vattenfall AB et al. gegen Bundesrepublik Deutschland (ICSID Fall Nr. ARB/12/12) – mündliche Verhandlung
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09.11.2017 – Meldung – Konventionelle Energieträger
Vattenfall AB et al. gegen Bundesrepublik Deutschland (ICSID Fall Nr. ARB/12/12) – mündliche Verhandlung
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30.06.2017 – Meldung – Konventionelle Energieträger
Vattenfall AB et al. gegen Bundesrepublik Deutschland (ICSID Fall Nr. ARB/12/12) – mündliche Verhandlung
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27.10.2016 – Meldung – Konventionelle Energieträger
Vattenfall AB et al. gegen Bundesrepublik Deutschland (ICSID Fall Nr. ARB/12/12) – öffentliche Verhandlung
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30.09.2016 – Meldung – Konventionelle Energieträger
Vattenfall AB et al. gegen Bundesrepublik Deutschland (ICSID Fall Nr. ARB/12/12) – öffentliche Verhandlung
Ein Gedanke zu “Katastrophaler Investorenschutz: Vattenfalls Schadesersatzforderungen für Atomausstieg – Videoprotokolle der Anhörung vor dem ICSID”